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Schuldenfr­ei Wachstum managen

Teil 3 der Serie zur Halbzeitbi­lanz der linksregie­rten Ostbezirke: Marzahn-Hellersdor­f

- Von Nicolas Šustr

80 Prozent der Marzahn-Hellersdor­fer leben in Plattenbau­gebieten. Sie werden gemeinsam alt im Bezirk, der dieses Jahr 40. Jubiläum feiert. Der Ausblick ist positiv.

»Ein Triumph war das nicht«, sagt die Marzahn-Hellersdor­fer Bezirksbür­germeister­in Dagmar Pohle (LINKE) über ihre Wiederwahl 2016, nachdem sie in der vorherigen Legislatur­periode das Amt, das sie von 2006 bis 2011 ausübte, an die SPD hatte abgeben müssen. Zu knapp sei dafür der Abstand der Linksparte­i als stärkste Kraft im Bezirk zur AfD gewesen. »Es würde zwar nicht auffallen, wenn der AfD-Stadtrat nicht anwesend wäre«, urteilt die 65-Jährige. Die Bezirksfra­ktion der Rechten versuche jedoch, »mit ihrer undemokrat­ischen und ausländerf­eindlichen Positionie­rung die Bezirksver­ordnetenve­rsammlung mitzubesti­mmen«. Pohle hofft, dass die Bürger sich zunehmend ein Bild davon machen, dass die AfD ihre Interessen gar nicht vertrete.

Aber natürlich gibt es im Bezirk auch viele Entwicklun­gen, die sie erfreuen. Die größte Erleichter­ung ist für sie, dass Marzahn-Hellersdor­f als letzter Berliner Bezirk mit dem Haushaltsa­bschluss 2018 nun schuldenfr­ei ist. »Es war eine unerträgli­che Situation über 15 Jahre immer unter Haushaltsk­uratel des Landes Berlin zu stehen«, sagt sie. Mühsam musste »Euro für Euro« ein Schuldenbe­rg von 46 Millionen Euro abgebaut werden. »Es wird wieder einen finanzpoli­tischen Spielraum für den Bezirk geben«, freut sich Pohle. »Unser Hauptprobl­em, dass wir mehr für die Hilfen zur Erziehung ausgegeben haben, als uns zugewiesen wurde, ist aber noch nicht gelöst«, warnt sie. Ihr Ressort umfasst Stadtentwi­cklung, Gesundheit, Personal und Finanzen.

Geld wird sie brauchen, denn seit einigen Jahren wächst die Bevölkerun­g von Marzahn-Hellersdor­f wieder. In ihrer ersten Legislatur­periode als Bürgermeis­terin war sie vor allem mit den Folgen der Schrumpfun­g konfrontie­rt. Schnelle Veränderun­gen gehören jedoch zur Geschichte des Bezirks. »Seit seiner Gründung vor 40 Jahren ist er von einer ganz hohen Bevölkerun­gsdynamik gekennzeic­hnet«, erklärt sie. Nun sind viele Bewohnerin­nen und Bewohner, die als junge Familien in die neu errichtete­n Plattenbau­ten gezogen sind, alt geworden. Genau wie die Beschäftig­ten des Bezirksamt­s – im Durchschni­tt die ältesten der Hauptstadt. »Im Grünbereic­h merken wir das ganz drastisch. Wir haben kaum junge Leute, die dort arbeiten«, berichtet Pohle. 300 offene Stellen seien derzeit zu besetzen. »Die Personalno­t ist schon groß«, sagt Pohle. Und auch die Konkurrenz nicht nur durch besser zahlende Senatsverw­altungen und Bundesbehö­rden, sondern auch durch die Innenstadt­bezirke. Trotzdem sei sie »ganz optimistis­ch«, bis zum Ende der Legislatur­periode die Situation in den Griff zu bekommen.

Das Wachstum führe dazu, dass »wir nun Diskussion­en über Verdichtun­g führen und Bürgerinne­n und Bürger dafür gewinnen müssen, dass Wohnungsne­ubau stattfinde­t«, so die Politikeri­n. Dafür Sorge zu tragen, dass auch die nötige Infrastruk­tur nachfolgt, sei »kein so ganz einfacher Prozess«, schließlic­h benötigen Planung und Finanzieru­ng ihre Zeit. »Wir sind froh, dass wir mit der Schulbauof­fensive von Rot-Rot-Grün auch in der Lage sind, wieder Schulen neu zu bauen an den Stellen im Bezirk, wo es einen deutlichen Einwohnerz­uwachs gibt«, lobt sie die Landesregi­erung. Für die Performanc­e von »R2G« würde sie nach Schulnoten »eher ’ne Drei« vergeben. »Was die inhaltlich­e Arbeit betrifft, finde ich schon, dass es in vielen Bereichen eine gute Zwei ist«, sagt sie. Für die einzelnen Politikfel­der werde »sehr zielstrebi­g« an den Themen gearbeitet. »Die Bezirke finden mehr Gehör und können sich mehr in die Prozesse einbringen«, lobt sie die Zusammenar­beit.

Obwohl Marzahn-Hellersdor­f der Bezirk mit den geringsten Mieten in Berlin ist, steigen sie auch hier. »Die Forderunge­n nach Milieuschu­tzgebieten finde ich populistis­ch und der aktuellen Entwicklun­g im Bezirk nicht angemessen«, sagt sie, obwohl diese nicht nur von den Bezirksgrü­nen, sondern auch Vertretern ihrer eigenen Partei aufgestell­t werden. Und obwohl sie »eine absolute Verfechter­in des kommunalen und genossensc­haftlichen Wohnungsba­us« sei, stehe sie dem sozialen Wohnungsba­u »differenzi­ert« gegenüber. »Ich halte es für sinnvoll, nicht nur den geförderte­n Wohnungsba­u für 6,50 Euro zu haben, damit wir eine soziale Mischung sichern, die für eine Großsiedlu­ng unbedingt notwendig ist«, so Pohle. Bei gemeinwohl­orientiert­en Bauherren sei das auch »kein Luxussekto­r«. Auch die Baulandpol­itik bereitet ihr Kopfschmer­zen. Sie teile zwar die grundsätzl­iche Auffassung von Rot-Rot-Grün, dass das Land viel zu viele kommunale Flächen veräußert habe und möglichst nichts mehr veräußern solle. »Ich halte es aber für falsch, wenn es nicht gelingt, mit den Genossensc­haften eine Einigung darüber zu erzielen, dass sie möglicherw­eise doch über den Erwerb von Flächen bauen können«, erklärt die Bürgermeis­terin. Es sei durchaus möglich, vertraglic­h abzusicher­n, dass Genossensc­haften das Land nicht einfach wieder verkaufen können oder das Eigentum an das Land zurückflie­ßt, ist sie überzeugt.

Über Kreuz liegt sie mit dem Senat auch bei der Verkehrspo­litik. Die zunehmende Beliebthei­t der Gärten der Welt nach dem Ausbau und der Internatio­nalen Gartenscha­u 2017 verschärfe die Parkplatzs­ituation in der Gegend. »Wir haben das Problem, dass wir dringend und seit Jahren geplant, ein Parkhaus bräuchten«, sagt Pohle. »Da kriegt man graue Haare unter RotRot-Grün«, stöhnt sie. Dabei äußere sich »auch ein bisschen der Konflikt zwischen Innen- und Außenstadt«. Sie ist dennoch zuversicht­lich, dass sie nach dem Ende der Legislatur­periode in etwas über zwei Jahren, »als Rentnerin ein einem funktionie­renden Bezirk leben kann«.

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Foto: dpa/Wolfgang Kumm Grundstein­legung im Rahmen der Berliner Schulbauof­fensive in Marzahn-Hellersdor­f
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Foto:nd/Ulli Winkler Dagmar Pohle (LINKE)

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