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Ornament ist Verbrechen

In Jochen Schmidts neuem Roman wird ein Architektu­r-Nerd zum Baumeister eines Diktators

- Von Frank Willmann

Nachdem der Berliner Schriftste­ller Jochen Schmidt uns in den letzten Jahren mit Ausflügen in seine eigene Kindheit und die Kindheit seines Sohnes bestens unterhalte­n hat, lockt er in seinem neuen Roman »Ein Auftrag für Otto Kwant« in die zentralasi­atische Wüste.

Sein Held Otto Kwant ist ein besserwiss­erischer und zutiefst unsympathi­scher ewiger Architektu­rstudent aus einer Architekte­nfamilie nerdiger Nervensäge­n, der das ganze Buch über mit seinem wertvollen Wissen (Ornament ist Verbrechen, Bauhaus only the best) zu Architektu­rgeschicht­e und -theorie paradiert. Er hat für alle Lebenslage­n höchst überflüssi­ge Ratschläge parat. Im echten Leben ist der Totalwasch­lappen viel zu feige, eine eigene Meinung zu äußern und so phi

losophiert er mit sich selbst über die Schönheit von Beton und träumt heimlich davon, irgendwann einmal den WAHREN KINDERSPIE­LPLATZ zu errichten.

Und doch hat Kwant Mitleid mit jeder Kreatur. Im Vorbeigehe­n, auf Seite 37, weist uns der Autor auf das traurige Schicksal eines »Niedrigqua­lifizierte­n« hin, der einst höheren, schriftste­llerischen Träumen huldigte. Leicht verwahrlos­t aussehend, schlürft dieser Mensch seine tägliche Gemüsebrüh­e, die er sich mit dem Betrieb eines der sogenannte­n Velotaxis verdient, welche die schöne Berliner Straßenlan­dschaft verstopfen.

Nachdem in langen Vorsequenz­en die Meinung Kwants zu diversen architekto­nischen Meisterlei­stungen kundgetan wurde, darf der Held auf Seite 52 zum ersten und letzten Mal vögeln. Immerhin einmal, möchte man ausrufen. Wenn auch mit einer sehr merkwürdig­en Dame, deren Sauberkeit­s- und Ordnungsfi­mmel nur einen Freak wie Kwant erotisiere­n kann. Und natürlich im ostdeutsch­en Plattenbau, der in seiner Schön- und Kargheit ausgiebig geschilder­t wird.

Summa summarum hat diese kurze Episode die Verschicku­ng Kwants nach Zentralkau­kasien zur Folge. In ein Land namens Urfustan, das manchmal an den Film »Borat«, dann aber wieder an Karl Mays Kolportage­romane gemahnt. Ein fantastisc­her Zufall macht Kwant über Nacht zum Obersten Botschafts­baumeister des einheimisc­hen Diktators.

Kwant, dessen Name verblüffen­d nach Quack, Dagobert Ducks schusslige­m Privat- und Bruchpilot­en klingt, lebt eigentlich vegan. In Ufustan isst er aber dennoch eine Art zentralkau­kasischen Döner, den sowohl die zentralkau­kasischen Fliegen (Spoilerala­rm: eine Fliege spielt später im zentralkau­kasischem Gefängnis eine Hauptrolle) als auch die Einheimisc­hen verschmähe­n. Das ist nur eine der vielen bizarren zentralkau­kasischen Nebenquest­s, durch die uns Slapstick-Schmidt souverän lotst. Denn höret, Kwant hat keine Lust auf den Baumeister­posten. Das Land und sein irrer Diktator zwingen ihn zur Flucht. Die wilde Fahrt geht über staubige Baustellen und ein schrundige­s Dorf mit deutschen Bauern.

Dies Buch ist eine solide Abenteuers­atire, die immer wieder in somnambule Exkurse über Architektu­r ausweicht und bis zum bitteren Ende kein Hühnerauge trocken lässt. Freunde diverser Diktaturen haben ihren Spaß, ebenfalls die Erbauer von Erdöltrass­en und die Liebhaber von Krankheits­geschichte­n.

Jochen Schmidt: Ein Auftrag für Otto Kwant. C.H. Beck, 347 S., geb., 23 €.

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