Ornament ist Verbrechen
In Jochen Schmidts neuem Roman wird ein Architektur-Nerd zum Baumeister eines Diktators
Nachdem der Berliner Schriftsteller Jochen Schmidt uns in den letzten Jahren mit Ausflügen in seine eigene Kindheit und die Kindheit seines Sohnes bestens unterhalten hat, lockt er in seinem neuen Roman »Ein Auftrag für Otto Kwant« in die zentralasiatische Wüste.
Sein Held Otto Kwant ist ein besserwisserischer und zutiefst unsympathischer ewiger Architekturstudent aus einer Architektenfamilie nerdiger Nervensägen, der das ganze Buch über mit seinem wertvollen Wissen (Ornament ist Verbrechen, Bauhaus only the best) zu Architekturgeschichte und -theorie paradiert. Er hat für alle Lebenslagen höchst überflüssige Ratschläge parat. Im echten Leben ist der Totalwaschlappen viel zu feige, eine eigene Meinung zu äußern und so phi
losophiert er mit sich selbst über die Schönheit von Beton und träumt heimlich davon, irgendwann einmal den WAHREN KINDERSPIELPLATZ zu errichten.
Und doch hat Kwant Mitleid mit jeder Kreatur. Im Vorbeigehen, auf Seite 37, weist uns der Autor auf das traurige Schicksal eines »Niedrigqualifizierten« hin, der einst höheren, schriftstellerischen Träumen huldigte. Leicht verwahrlost aussehend, schlürft dieser Mensch seine tägliche Gemüsebrühe, die er sich mit dem Betrieb eines der sogenannten Velotaxis verdient, welche die schöne Berliner Straßenlandschaft verstopfen.
Nachdem in langen Vorsequenzen die Meinung Kwants zu diversen architektonischen Meisterleistungen kundgetan wurde, darf der Held auf Seite 52 zum ersten und letzten Mal vögeln. Immerhin einmal, möchte man ausrufen. Wenn auch mit einer sehr merkwürdigen Dame, deren Sauberkeits- und Ordnungsfimmel nur einen Freak wie Kwant erotisieren kann. Und natürlich im ostdeutschen Plattenbau, der in seiner Schön- und Kargheit ausgiebig geschildert wird.
Summa summarum hat diese kurze Episode die Verschickung Kwants nach Zentralkaukasien zur Folge. In ein Land namens Urfustan, das manchmal an den Film »Borat«, dann aber wieder an Karl Mays Kolportageromane gemahnt. Ein fantastischer Zufall macht Kwant über Nacht zum Obersten Botschaftsbaumeister des einheimischen Diktators.
Kwant, dessen Name verblüffend nach Quack, Dagobert Ducks schussligem Privat- und Bruchpiloten klingt, lebt eigentlich vegan. In Ufustan isst er aber dennoch eine Art zentralkaukasischen Döner, den sowohl die zentralkaukasischen Fliegen (Spoileralarm: eine Fliege spielt später im zentralkaukasischem Gefängnis eine Hauptrolle) als auch die Einheimischen verschmähen. Das ist nur eine der vielen bizarren zentralkaukasischen Nebenquests, durch die uns Slapstick-Schmidt souverän lotst. Denn höret, Kwant hat keine Lust auf den Baumeisterposten. Das Land und sein irrer Diktator zwingen ihn zur Flucht. Die wilde Fahrt geht über staubige Baustellen und ein schrundiges Dorf mit deutschen Bauern.
Dies Buch ist eine solide Abenteuersatire, die immer wieder in somnambule Exkurse über Architektur ausweicht und bis zum bitteren Ende kein Hühnerauge trocken lässt. Freunde diverser Diktaturen haben ihren Spaß, ebenfalls die Erbauer von Erdöltrassen und die Liebhaber von Krankheitsgeschichten.
Jochen Schmidt: Ein Auftrag für Otto Kwant. C.H. Beck, 347 S., geb., 23 €.