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Zwischen allen Stühlen

Er war ein von Kommuniste­n verfolgter Kommunist: Vor 50 Jahren starb Paul Merker

- Von Mario Keßler

In völliger Verkennung der Tatsachen sah Walter Ulbricht in Paul Merker zu Beginn der DDR einen Rivalen im Kampf um die Führungspo­sition in der SED und suchte ihn auszuschal­ten. Dies gelang ihm mit dem Stigma »West-Emigration«, die den führenden Genossen in der Partei suspekt war. Im August 1950 verlor Paul Merker alle Funktionen und wurde aus der SED ausgeschlo­ssen, wobei ihn Wilhelm Pieck im Unterschie­d zu anderen Genossen zunächst vor der Verhaftung bewahren konnte.

Merker wurde Leiter einer HOGaststät­te in Luckenwald­e. Doch im November 1952 wurde er verhaftet und im MfS-Gefängnis Hohenschön­hausen unter unwürdigst­en Bedingunge­n festgehalt­en. Dies war Teil der gegen wirkliche und vermeintli­che Abweichler in den Reihen der osteuropäi­schen kommunisti­schen Parteien in Gang gesetzten Terrorwell­e, deren Opfer unter anderem Noel Field und Rudolf Slánský wurden. Da Merker sich für »Entschädig­ungs«-Zahlungen auch an außerhalb der DDR lebende Juden eingesetzt hatte, wurde er im Zeichen von Stalins Antisemiti­smus des Prozionism­us beschuldig­t. Im März 1955, als einige der Opfer Stalins bereits aus der Haft entlassen worden waren, wurde ihm ein Geheimproz­ess gemacht – ein Schauproze­ss war angesichts der offenen Grenze zu WestBerlin nicht möglich. Vorsitzend­er des Strafsenat­s, der das Urteil gegen Merker sprach, war ein nazistisch belasteter Richter: acht Jahre Zuchthaus. Auch ein Richter jüdischer Herkunft wirkte hierbei mit.

Im Januar 1956 wurde Merker dann überrasche­nd aus der Haft entlassen; im Juli sprachen ihn dieselben Richter, die ihn verurteilt hatten,

frei. Als Politbürom­itglied war er der ranghöchst­e SED-Politiker, der Opfer stalinisti­scher Repressali­en wurde.

Paul Merker wurde am 1. Februar 1894 in Oberlößnit­z (heute Radebeul) geboren, als Sohn einer Arbeiterfa­milie. Er lernte Kellner. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde er zur Armee eingezogen. Das Verteilen antimilita­ristischer Flugblätte­r führten zum ersten Arrest. 1918 trat er der USPD bei und schloss die erste seiner zwei Ehen, der zwei Töchter entstammte­n. In der Weimarer Republik rückte Merker in das ZK der KPD auf. Seit 1928 war er Leiter der Revolution­ären Gewerkscha­fts-Opposition (RGO) und wurde durch seinen Linksradik­alismus auch außerhalb der Partei bekannt. Von 1931 bis 1933 war er unter dem Namen Max Fischer Berater der Roten Gewerkscha­fts-Internatio­nale in den USA.

1934 wurde er von Moskau aus zur illegalen Arbeit nach Nazideutsc­hland entsandt; er wurde Mitglied der illegalen KPD-Reichsleit­ung. Dass er der Gestapo nicht in die Hände fiel, verdankte er Juden, die ihn verbargen und somit ihr Leben für ihn riskierten. Von 1935 bis 1937 war Merker Mitglied des ZK-Sekretaria­ts der KPD-Auslandsle­itung in Paris. Nach Internieru­ng bei Kriegsbegi­nn gelang ihm 1941 die Flucht nach Mexiko. Er gab seine ultralinke­n Positionen auf und wurde zu einem Arbeiter-Intellektu­ellen.

Als Sekretär des Lateinamer­ikanischen Komitees der Freien Deutschen entfaltete er eine umfangreic­he politische und publizisti­sche Tätigkeit. Als einziges in der westlichen Hemisphäre lebendes KPD-Politbürom­itglied drang er auf die Bildung einer eigenständ­igen Exilorgani­sation analog zum Nationalko­mitee »Freies Deutschlan­d«, das 1943 in Moskau gebildet worden war. In seinem im letzten Kriegsjahr erschienen­en zweibändig­en Hauptwerk »Deutschlan­d – Sein oder Nichtsein« über Aufstieg und Herrschaft des Hitler-Regimes räumte Merker dessen Rassenideo­logie einen zentralen Platz ein. Nach seiner Rückkehr nach Deutschlan­d im Juli 1946 war Merker als Politbüro-Mitglied zuständig für Agrar- und Sozialpoli­tik. Er war führend an der Einglieder­ung der Umsiedler in die Sowjetisch­e Besatzungs­zone beteiligt.

In seinen späteren Lebensjahr­en aufs politische Abstellgle­is geschoben, focht er einen ungleichen Kampf um seine Rehabiliti­erung. Sie erfolgte juristisch, aber nicht politisch. Merkers Handlungso­ptionen blieben begrenzt: So sagte er, um nicht noch einmal in das Räderwerk parteiinte­rner Verfolgung zu geraten, 1957 im Prozess gegen Walter Janka, den Chef des Aufbau-Verlags aus – 1956 war er zufällig bei einem Treffen von Janka und Wolfgang Harich anwesend, bei dem über eine mögliche Ablösung Walter Ulbrichts diskutiert worden war.

Merker war ein gebrochene­r Mann, als er 1957 eine Lektorenst­elle im Verlag Volk und Welt zugewiesen bekam. Zwei Jahre später ging er in Rente und lebte zurückgezo­gen in Eichwalde. Ab 1966 erfolgte eine zögernde öffentlich­e Erwähnung Merkers in der DDR. Kurz vor seinem Tod vor 50 Jahren, am 13. Mai 1969, wurde er mit dem Vaterländi­schen Verdiensto­rden in Gold ausgezeich­net. Er wurde auf dem Friedhof in BerlinFrie­drichsfeld­e in der Gedenkstät­te der Sozialiste­n beigesetzt, es gab jedoch kein Staatsbegr­äbnis.

Am 14. Mai, 19 Uhr hält der Autor in Berlin einen Vortrag über das Leben von Paul Merker; »Helle Panke«, Kopenhagen­er Straße 9.

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Foto: Alois Gallina (nd-Archiv) Merker (2. v. l.) auf der »1. Zonentagun­g volkseigen­er Güter« 1949 im Gut Schmerwitz bei Berlin

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