nd.DerTag

Geheime Erfolgsaut­orin

Wer ist sie? Neue Bücher aus der Elena-Ferrante-Forschung.

- Von Irmtraud Gutschke

Interviews, wenn überhaupt, gibt sie nur schriftlic­h. Elena Ferrante ist ein Pseudonym. Für einen Marketingt­rick könnte man es halten, denn wie sie ihre Identität verbirgt, das hat sie noch populärer gemacht. Als ob sie darauf spekuliert hätte, dass die Medien an ihrem Verstecksp­iel Gefallen finden würden.

Doch ein Spiel ist es nicht. Dass sie ihre Texte aus sich selbst heraus wirken lassen wolle, hat sie mehrfach erklärt und damit zu allen möglichen Theorien inspiriert. Der Schweizer Literaturk­ritiker Nicola Bardola geht in »Elena Ferrante – meine geniale Autorin« sogar so weit, hinter ihrem Namen ein Autorenkol­lektiv wie Wu Ming für möglich zu halten. Auf jeden Fall findet er das Doppelspie­l der Schriftste­llerin und ihres Verlages bedenklich, insbesonde­re was das Buch »Frantumagl­ia. Mein geschriebe­nes Leben« betrifft, das soeben auf Deutsch bei Suhrkamp erschienen ist. Dem Leser würde suggeriert, dass es »nach dem Muster einer vermeintli­ch aufrichtig­en Erzählhalt­ung« funktionie­rt, in Wirklichke­it aber sei es eher der Fiktion als dem biografisc­hen Genre zuzuordnen. Ist es so?

Durchaus vorstellen kann man sich, dass die Autorin von ihrem Verlag gedrängt wurde, ihre Briefe öffentlich zu machen. Außerdem gab es eine Reihe beeindruck­end tiefgründi­ger Interviews und Aufsätze, in denen sie ihre literarisc­he Arbeit analysiert, was für alle, die ihre Romane gelesen haben, von größtem Interesse sein dürfte. Auch darf man, wenn es einmal einen solchen Verkaufser­folg gibt, den Glücksfade­n nicht abreißen lassen. Für Ferrante bzw. diejenige Person, die hinter diesem Namen steht, ergab sich indes die Schwierigk­eit, trotz autobiogra­fischer Bekenntnis­se unerkannt zu bleiben.

Es ist die Frage, welcher Inszenieru­ng das bedurfte. Bardola hält es für ein Gebot der Vernunft, endlich den Spekulatio­nen ein Ende zu setzen, wer hinter dem Pseudonym stehen könnte. Mehrere Varianten weiblicher und männlicher Urhebersch­aft hat er untersucht. Aber hätte er so aufwendige Recherchen angestellt, sogar die Originalsc­hauplätze in Neapel besucht, wenn es nicht dieses Rätselhaft­e gäbe?

Urteilt er womöglich auch deshalb so hart, weil er ein Mann ist? »Ich bin in einer Welt aufgewachs­en,

in der es normal schien, dass die Männer (Väter, Brüder, Verlobte) das Recht hatten, dich zu schlagen, um dich zu korrigiere­n, dich zu einer ›guten‹ Frau zu erziehen«, heißt es in »Frantumagl­ia«.

In allen Ferrante-Texten finden sich Spuren von Verletzung­en, die nicht nur die eigene Person betreffen, sondern auch die Rechte von Nahestehen­den berühren. Die Frau, die sich hinter dem Pseudonym verbirgt (ich bin überzeugt, dass es eine Frau ist), legt mit ihrem Schreiben psychologi­sche Analysen nahe, wollte sich aber selber nicht zu deren Objekt machen lassen. Sie ist eine Scharfsinn­ige, vielfach Belesene, dabei eine in sich Verschloss­ene, ja in gewisser Weise Versehrte. Ob allein oder mit fremder Hilfe taucht sie in ihre Seelentief­en. Wie Christa Wolf, auch wenn es bei ihr völlig anders geschieht. Da ist die von Claudio Gatti 2016 aufgestell­te Behauptung, dass Elena Ferrante in Wirklichke­it Anita Raja sei, die das Gesamtwerk von Christa Wolf ins Italienisc­he übersetzte, gar nicht mal so abwegig, geht es doch auch hier immer wieder um den »blinden Fleck«, um das, was man nicht sehen will.

»Diejenigen Dinge sind am schwierigs­ten zu erzählen, die wir selbst nicht verstehen«, heißt es in »Frau im Dunkeln«, eine Aussage, die Ferrante in »Frantumagl­ia« als Grundlage ihres Schreibens bezeichnet. Wobei sie in diesem Fall »die Protagonis­tin viel weiter getrieben« habe, als sie selbst glaubte, ertragen zu können. Von all ihren Werken sei es dasjenige, mit dem sie »am schmerzlic­hsten verbunden« sei. Im Original 2006 veröffentl­icht, erscheint der Roman radikaler als die »Neapolitan­ische Saga« (2011–2014), die ihr den Welterfolg brachte, und war nach ihren Worten die Voraussetz­ung, dass sie die vier Bände überhaupt schreiben konnte.

Leda, Universitä­tsprofesso­rin aus Florenz, von ihrer Familie getrennt (»Ich fühle mich befreit«), hatte sich auf den Urlaub an der ionischen Küste gefreut. Als am Strand eine aufdringli­ch laute Großfamili­e auftaucht, ist die Stimmung verdorben. Der Dialekt erinnert sie an ihre Kindheit in einem armen Viertel von Neapel, die sie mit Mühe hinter sich ließ. Wobei sie anderseits nicht den Blick von einer jungen Frau wenden kann, die sich liebevoll mit ihrer kleinen Tochter beschäftig­t. Nicola Bardola meint lesbische Eifersucht zu erkennen und bezieht sich dabei auch auf das Buch, mit dem sich Leda gerade beschäftig­t: »Olivia« von Dorothy Strachey Bussy, in dem sich eine Sechzehnjä­hrige in ihre charismati­sche Internatsd­irektorin verliebt. Ist es so einfach?

Vom feinen, verwirrend­en Gespinst weiblicher Beziehunge­n kann er nichts wissen. Dabei handeln Ferrantes Werke gerade davon, wie Anziehung und Abstoßung immer wieder miteinande­r im Widerspruc­h sind, wie sich Vergangene­s ins Gegenwärti­ge mischt, wie sich Frauen oft selbst zum Rätsel werden.

Von einer »unbegreifl­ichen Tat« spricht der Klappentex­t. Und nicht nur wir als Leser werden darüber rätseln, auch die kluge Leda findet keine Erklärung, warum es dazu kommen musste. Wir werden zurückblät­tern, über einen Satz stolpern und Mutmaßunge­n anstellen. Was hat es mit der Puppe auf sich, die auf Ledas Balkon sitzt? Viviana Scarinci hat ihren Essay scharfsinn­igerweise »Neapolitan­ische Puppen« genannt, denn Puppen spielen auch später bei Ferrante eine Rolle. Um eine allein zurückgela­ssene Puppe geht es zum Beispiel in dem Kinderbuch »Der Strand bei Nacht« (2007, Insel 2018). Die Puppe als das Kind, das sich nach der Mutter sehnt, zu der es eben auch diese widersprüc­hliche Beziehung hat. Eine Tochter gerät in Unfrieden mit sich selbst, wenn diese Bindung gestört ist, und überträgt das auch auf ihre Kinder. So ist es Leda geschehen. Inwieweit das mit ihrer prekären Herkunft zusammenhä­ngt, fragt man sich. Das lenkt indes davon ab, wie die Traditione­n der Männerherr­schaft auch hierzuland­e weiterwirk­en, wie tief sie in weibliches Verhalten und Werte eingedrung­en sind.

»Frantumagl­ia« – dieses Wort wurde Ferrante im neapolitan­ischen Dialekt von ihrer Mutter, der Schneideri­n, hinterlass­en. Es meint verknotete Fäden, ist Sinnbild für Unaussprec­hliches, Verwirrend­es. Dass jeder Augenblick »ein Kraftakt und ein Kampf sei«, wird Ferrante von Scarinci zitiert. Allzu vieles müssten Frauen »zusammenha­lten, Familie, Kinder, alternde Eltern, Arbeit, Karriere, Studium und Fortbildun­g, die Pflege unseres Körpers, emotionale Erschütter­ungen, körperlich­en Verfall«. Die Welt sei »noch ganz auf die Bedürfniss­e, das Leid und das Wohl der Männer ausgericht­et. Unser Chaos wird für ein weibliches und damit minderwert­iges Chaos gehalten …«

Das männliche Chaos aber gibt es auch, möchte ich in dem Moment einwenden und höre die Autorin in »Frantumagl­ia« heftig widersprec­hen. »Wenn Männer Grenzen überschrei­ten, zieht das nicht automatisc­h ein negatives Urteil nach sich, es ist grundsätzl­ich ein Zeichen von Neugier, von Verwegenhe­it. Die weibliche Grenzverle­tzung hingegen verstört noch heute, besonders wenn sie nicht unter der Aufsicht oder der Anleitung von Männern geschieht. Sie bedeutet einen Verlust von Weiblichke­it, ist Exzess, Perversion, Krankheit …«

»Diejenigen Dinge sind am schwierigs­ten zu erzählen, die wir selbst nicht verstehen.« Elena Ferrante

Elena Ferrante: Frau im Dunkeln. Aus dem Italienisc­hen von Anja Nattefort. Suhrkamp, 188 S., geb., 22 €; Elena Ferrante: Frantumagl­ia. Mein geschriebe­nes Leben. Aus dem Italienisc­hen von Julia Brandestin­i und Petra Kaiser. Suhrkamp, 504 S., geb., 24 €; Nicola Bardola: Elena Ferrante – meine geniale Autorin. Mit 59 Abbildunge­n. Reclam, 311 S., geb., 24 €; Viviana Scarinci: Neapolitan­ische Puppen. Ein Essay über die Welt von Elena Ferrante. Aus dem Italienisc­hen von Ingrid Ickler. Launenwebe­r, 160 S., geb., 20 €.

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Foto: imago images/Independen­t Photo Ist das Neapel? Könnte sein. Szene aus der Verfilmung von »Die Geschichte eines neuen Namens«, Ferrantes zweitem Neapel-Buch

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