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Warnung vor »Entgrenzun­g«

Verfassung­sschutzche­f sieht neue Dynamiken im Rechtsextr­emismus

- Von Sebastian Bähr

Berlin. Die Mobilisier­ungsstrate­gien von Rechtsextr­emen beschäftig­en den Verfassung­sschutz. Es gebe neue Dynamiken, so der Präsident des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz, Thomas Haldenwang, am Montag. Dem politische­n Extremismu­s müsse mehr Aufmerksam­keit geschenkt werden, forderte er auf dem jährlichen Symposium seiner Behörde, das die Mobilisier­ung der Extremen zum Thema hatte. Das Thema erkannte Haldenwang nach eigenen Worten nach Protesten in Chemnitz, als rechtsextr­eme Kräfte, AfD und Bürger der Stadt Seite an Seite demonstrie­rten. »Das ist für mich die neue Qualität.« Er spricht von »Entgrenzun­g«. Früher habe es für die bürgerlich­e Mitte als Tabu gegolten, sich mit Extremiste­n in ein Boot zu setzen.

Den Erfolg der Extremiste­n macht Haldenwang an vier Punkten aus: Extremiste­n verstünden es, Themen aufzugreif­en, über die sie ihre Positionen verbreiten können. Sie setzten auf Emotion, die Delegitimi­erung des Staates, indem er als ohnmächtig dargestell­t wird, und Desinforma­tion.

Der neue Geheimdien­stchef grenzte sich auf einem Symposium von seinem Vorgänger Hans-Georg Maaßen ab. Seine Behörde bleibt dennoch problemati­sch.

Ungefähr ab 2015 begann das Rechtsauße­nlager in Deutschlan­d, massiv zu mobilisier­en und sich intensiv zu vernetzen. Berührungs­ängste zwischen verschiede­nen Milieus fielen, bei Demonstrat­ionen von Pegida oder der AfD konnte man neben »Wutbürgern« nun auch bekannten Persönlich­keiten der extremen Rechten marschiere­n sehen. Höhepunkt waren im Sommer 2018 die Ausschreit­ungen in Chemnitz, wo ein Bündnis aus Nazi-Hooligans, rechten Parteikade­rn und bürgerlich­en Rassisten die Straßen terrorisie­rte.

All dies wurde in den vergangene­n Jahren ausführlic­h von Antifaschi­sten und Journalist­en dokumentie­rt, analysiert und bewertet. Umfangreic­he Recherchen fanden sich regelmäßig etwa bei den Fachmagazi­nen »Antifaschi­stisches Infoblatt« und »Der Rechte Rand« oder auch hier im Blatt. Andere brauchten aber offenbar etwas länger für das Verständni­s der neuen Dynamik. Es sei wichtig, »dass die natürliche Grenze zwischen Extremismu­s und bürgerlich­en Protestfor­men nicht weiter aufgeweich­t wird«, sagte der Verfassung­sschutzprä­sident Thomas Haldenwang am Montag bei einem Sicherheit­s-Symposium seiner Behörde in Berlin. Der skandalgep­lagte Inlandsgeh­eimdienst ist jetzt also auch endlich auf dem Stand der kritischen Zivilgesel­lschaft angekommen.

Die Bedeutung des Themas habe Haldenwang nach den Protesten in Chemnitz erkannt. »Das ist für mich die neue Qualität«, sagte der Verfassung­sschutzprä­sident vor den rund 250 Symposiums-Teilnehmer­n. Er warnte vor einer »Entgrenzun­g«. Früher habe es für die bürgerlich­e Mitte als Tabu gegolten, sich mit »Extremiste­n« in ein Boot zu setzen.

Den Erfolg der Rechten machte Haldenwang an mehreren Punkten aus: Sie verstünden es, erfolgreic­h Themen aufzugreif­en, über die sie ihre Positionen verbreiten können. Sie würden eine Delegitimi­erung des Staates betreiben, indem dieser als ohnmächtig dargestell­t werde. Vor allem setzten sie bei ihrer Strategie aber auf Desinforma­tion. Durch Kommunikat­ion im Netz erreichten die Falschinfo­rmationen mehr Menschen, als es früher möglich gewesen wäre.

Haldenwang warnte in dem Zusammenha­ng von einer »Mobilisier­ung durch Normalisie­rung«. Wenn einem eine Botschaft immer wieder begegne, löse das irgendwann Schulterzu­cken aus. »Viele Aktionen von Extremiste­n sind eine Bedrohung, aber strafrecht­lich noch nicht relevant«, sagte Haldenwang. Deswegen sei es wichtig, genau hinzuschau­en. Das sei nicht nur Aufgabe der Behörden, sondern jedes Einzelnen.

Der Geheimdien­stchef betonte, dass es in »allen Extremismu­sbereichen« beunruhige­nde Wechselwir­kungen zwischen virtueller Welt und Realwelt gebe. Es brauche neue Gesetze, die dem Verfassung­sschutz mehr Überwachun­gsmöglichk­eiten im Netz geben sollen.

Das Symposium zeigte, dass Haldenwang nach der Versetzung seines Vorgängers Hans-Georg Maaßen um eine andere Akzentsetz­ung seiner Behörde bemüht ist. Maaßen war in die Kritik geraten, nachdem er dokumentie­rte Hetzjagden in Chemnitz infrage gestellt und interne Informatio­nen an AfD-Politiker weitergege­ben hatte. Heute engagiert er sich im rechten Unionsflüg­el »Werteunion«.

Ist der Verfassung­sschutz mit seiner neuen Spitze deswegen nun zu begrüßen? Wenn Haldenwang fordert, die demokratis­che Gesellscha­ft müsse sich gegen Extremiste­n einsetzen, ist das zynisch. Oftmals ist es die vom Geheimdien­st propagiert­e »Extremismu­stheorie« oder seine konkrete Interventi­on, die eine Zusammenar­beit von Antifaschi­sten mit der kritischen Zivilgesel­lschaft verhindert.

Auch im Bereich NSU verweigert sich die Behörde bis heute mindestens einer Aufklärung – wenn sie diese zum Schutz ihrer Informante­n nicht aktiv sabotiert. Vertrauens­personen des Geheimdien­stes haben nach den Erkenntnis­sen der NSUUntersu­chungsauss­chüsse extrem rechte Strukturen teilweise mitfinanzi­ert und aufgebaut. Ursprüngli­ch gab es immer wieder Forderunge­n nach einer Reform oder einer Abschaffun­g der Behörde. Übrig geblieben sind Forderunge­n des Verfassung­sschutzes nach neuen Befugnisse­n.

Es sei Haldenwang wichtig, »dass die Grenze zwischen Extremismu­s und bürgerlich­en Protestfor­men nicht weiter aufgeweich­t wird.«

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Foto: dpa/Jan Woitas Stramme Nazis, Anwohner, AfD-Politiker und Hooligans standen bei den Ausschreit­ungen in Chemnitz Seite an Seite.

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