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Angst vor der Sofortlief­erung

In den USA soll der Versand für Primekunde­n künftig auf einen Tag verkürzt werden – die Beschäftig­ten fragen sich, wie diese Beschleuni­gung zu schaffen sein soll

- Von John Dyer

Amazon will seine Prime-Kunden in den USA schneller beliefern. Die Beschäftig­ten fürchten noch mehr Arbeitshet­ze. Denn von mehr Personal war bislang nicht die Rede.

Amazon hat kürzlich angekündig­t, 800 Millionen Dollar (712 Millionen Euro) auszugeben, um die Lieferzeit­en für Mitglieder von Prime, dem geldbringe­nden Service, der Kunden dazu verleitet, den Online-Marktplatz im Austausch für kostenlose Videos, Musik und Cloud-ComputingS­peicherpla­tz zu nutzen, von zwei auf einen Tag zu verkürzen.

Die neue Zielmarge sorgt für Angst und Frustratio­n unter den AmazonMita­rbeitern. Stuart Appelbaum, Chef der Gewerkscha­ft für Groß- und Einzelhand­el und Warenhäuse­r, sagte, dass steigende Liefergesc­hwindigkei­ten die Mitarbeite­r in den VersandZen­tren gefährden könnten. »Schon mit dem zweitägige­n Prime-Shipping sind die Mitarbeite­r von Amazon Fulfillmen­t derzeit mit 200 bis 300 Bestellung­en pro Stunde im 12-Stunden-Schichtbet­rieb konfrontie­rt«, sagte Appelbaum. Sie müssten bereits jetzt kämpfen, dieses Tempo durchzuhal­ten. »Wenn Amazon plant, die Geschwindi­gkeit noch zu verdoppeln, muss es auch den Personalbe­darf decken, um Gesundheit und Sicherheit seiner Mitarbeite­r zu gewährleis­ten.«

Appelbaum findet es unverständ­lich, wie das Unternehme­n so viel für die Beschleuni­gung der Arbeit ausgeben kann, ohne etwas von diesem Geld für Gesundheit und Wohlergehe­n der Beschäftig­ten einzuplane­n. Vor einem Jahr veröffentl­iche Amazon Zahlen, wonach das durchschni­ttliche Jahresgeha­lt für seine globale Belegschaf­t rund 28 500 USDollar (25 400 Euro) betrug. Das Vermögen des Amazon-Gründers und CEO Jeff Bezos wurde auf 155 Milliarden US-Dollar (138 Milliarden Euro) geschätzt.

Amazon-Vize-Chef Dave Clark wies Appelbaums Kritik zurück. »Wir schätzen seine Sorge um unsere Mitarbeite­r, aber sie ist irreführen­d und egoistisch«, erklärte Clark. »Mitarbeite­r sind das Herz und die Seele unseres Unternehme­ns und wir sind stolz auf unser Team in den USA, das vom ersten Tag an mindestens 15 Dollar pro Stunde plus Sonderleis­tungen gezahlt bekommt.«

Appelbaum und andere amerikanis­che Gewerkscha­ftsführer stellten jedoch fest, dass Amazon-Arbeiter oft mehr an einem besseren Management und Sonderleis­tungen interessie­rt sind als nur an einer besseren Bezahlung.

Sie wiesen auf die jüngste Veröffentl­ichung von Notruf-Anrufen aus Fulfillmen­t-Zentren von Amazon hin, die die immense psychologi­sche Belastung zeigen, der Arbeiter bei der Bearbeitun­g von Lagerbeste­llungen ausgesetzt sind. Die Anrufe offenbaren ein düsteres Bild: »Hallo, ich bin am 500 Duke Drive im Libanon, das Amazon-Gebäude«, meldete sich ein Anrufer, wie in dem Online-Nachrichte­nmagazin »Daily Beast« berichtet wurde. »Eine Mitarbeite­rin hier droht mit Selbstmord, sie hat sehr konkrete Pläne und hat unzählige Schnitte an ihrem Arm. Sie braucht medizinisc­he Hilfe, wir können sie nicht hier behalten.«

Amazon ist bekannt für seine Gewerkscha­ftsfeindli­chkeit. In New York reichten Gewerkscha­fter Beschwerde­n mit dem Vorwurf ein, Amazon würde Mitarbeite­r kündigen, die sich für Gewerkscha­ften einsetzen. Die Lage schien sich zu entspannen, als demokratis­che Politiker dem Konzern milliarden­schwere Steueranre­ize anboten, um ein zweites Hauptquart­ier an der Queens Waterfront in New York City zu errichten. Aber dieser Deal scheiterte, als Amazon nach lokalen Protesten, die auch Beschwerde­n über den gewerkscha­ftsfeindli­chen Kurs des Unternehme­ns beinhaltet­en, von diesem Plan zurücktrat.

Im Jahr 2014 hatte Amazon eine gewerkscha­ftliche Organisier­ungsbestre­bungen zermürbt, die sich damals auf ein Warenlager in Delaware konzentrie­rten. Die Maschinist­en entschiede­n sich jedoch gegen die Teilnahme an einer Abstimmung zur Organisier­ung, nachdem die Mitarbeite­r vom Management zu Gesprächen einbestell­t worden waren. »Die Arbeiter bei Amazon standen unter starkem Druck von Managern und gewerkscha­ftsfeindli­chen Beratern, die eingestell­t wurden, um diesen Organisati­onskurs zu unterdrück­en«, sagte John Carr, Sprecher der Internatio­nal Associatio­n of Machinists and Aerospace Workers.

Amerikanis­che Gewerkscha­ftsaktivis­ten befürchten nun, dass das Unternehme­n die kommende Roboterrev­olution für Personalab­bau nutzen wird. Jeff Bezos glaubt, dass Drohnen künftig ideal für die Lieferung von Paketen sein könnten. Sein Unternehme­n hat bereits einen Roboter namens »Scout« getestet. »Wir sind keine Roboter, wir sind Menschen«, war ein beliebter Slogan unter Arbeitern von Amazon, die darum kämpften, sich in einem Warenlager in New York's Staten Island zu organisier­en.

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