Angst vor der Sofortlieferung
In den USA soll der Versand für Primekunden künftig auf einen Tag verkürzt werden – die Beschäftigten fragen sich, wie diese Beschleunigung zu schaffen sein soll
Amazon will seine Prime-Kunden in den USA schneller beliefern. Die Beschäftigten fürchten noch mehr Arbeitshetze. Denn von mehr Personal war bislang nicht die Rede.
Amazon hat kürzlich angekündigt, 800 Millionen Dollar (712 Millionen Euro) auszugeben, um die Lieferzeiten für Mitglieder von Prime, dem geldbringenden Service, der Kunden dazu verleitet, den Online-Marktplatz im Austausch für kostenlose Videos, Musik und Cloud-ComputingSpeicherplatz zu nutzen, von zwei auf einen Tag zu verkürzen.
Die neue Zielmarge sorgt für Angst und Frustration unter den AmazonMitarbeitern. Stuart Appelbaum, Chef der Gewerkschaft für Groß- und Einzelhandel und Warenhäuser, sagte, dass steigende Liefergeschwindigkeiten die Mitarbeiter in den VersandZentren gefährden könnten. »Schon mit dem zweitägigen Prime-Shipping sind die Mitarbeiter von Amazon Fulfillment derzeit mit 200 bis 300 Bestellungen pro Stunde im 12-Stunden-Schichtbetrieb konfrontiert«, sagte Appelbaum. Sie müssten bereits jetzt kämpfen, dieses Tempo durchzuhalten. »Wenn Amazon plant, die Geschwindigkeit noch zu verdoppeln, muss es auch den Personalbedarf decken, um Gesundheit und Sicherheit seiner Mitarbeiter zu gewährleisten.«
Appelbaum findet es unverständlich, wie das Unternehmen so viel für die Beschleunigung der Arbeit ausgeben kann, ohne etwas von diesem Geld für Gesundheit und Wohlergehen der Beschäftigten einzuplanen. Vor einem Jahr veröffentliche Amazon Zahlen, wonach das durchschnittliche Jahresgehalt für seine globale Belegschaft rund 28 500 USDollar (25 400 Euro) betrug. Das Vermögen des Amazon-Gründers und CEO Jeff Bezos wurde auf 155 Milliarden US-Dollar (138 Milliarden Euro) geschätzt.
Amazon-Vize-Chef Dave Clark wies Appelbaums Kritik zurück. »Wir schätzen seine Sorge um unsere Mitarbeiter, aber sie ist irreführend und egoistisch«, erklärte Clark. »Mitarbeiter sind das Herz und die Seele unseres Unternehmens und wir sind stolz auf unser Team in den USA, das vom ersten Tag an mindestens 15 Dollar pro Stunde plus Sonderleistungen gezahlt bekommt.«
Appelbaum und andere amerikanische Gewerkschaftsführer stellten jedoch fest, dass Amazon-Arbeiter oft mehr an einem besseren Management und Sonderleistungen interessiert sind als nur an einer besseren Bezahlung.
Sie wiesen auf die jüngste Veröffentlichung von Notruf-Anrufen aus Fulfillment-Zentren von Amazon hin, die die immense psychologische Belastung zeigen, der Arbeiter bei der Bearbeitung von Lagerbestellungen ausgesetzt sind. Die Anrufe offenbaren ein düsteres Bild: »Hallo, ich bin am 500 Duke Drive im Libanon, das Amazon-Gebäude«, meldete sich ein Anrufer, wie in dem Online-Nachrichtenmagazin »Daily Beast« berichtet wurde. »Eine Mitarbeiterin hier droht mit Selbstmord, sie hat sehr konkrete Pläne und hat unzählige Schnitte an ihrem Arm. Sie braucht medizinische Hilfe, wir können sie nicht hier behalten.«
Amazon ist bekannt für seine Gewerkschaftsfeindlichkeit. In New York reichten Gewerkschafter Beschwerden mit dem Vorwurf ein, Amazon würde Mitarbeiter kündigen, die sich für Gewerkschaften einsetzen. Die Lage schien sich zu entspannen, als demokratische Politiker dem Konzern milliardenschwere Steueranreize anboten, um ein zweites Hauptquartier an der Queens Waterfront in New York City zu errichten. Aber dieser Deal scheiterte, als Amazon nach lokalen Protesten, die auch Beschwerden über den gewerkschaftsfeindlichen Kurs des Unternehmens beinhalteten, von diesem Plan zurücktrat.
Im Jahr 2014 hatte Amazon eine gewerkschaftliche Organisierungsbestrebungen zermürbt, die sich damals auf ein Warenlager in Delaware konzentrierten. Die Maschinisten entschieden sich jedoch gegen die Teilnahme an einer Abstimmung zur Organisierung, nachdem die Mitarbeiter vom Management zu Gesprächen einbestellt worden waren. »Die Arbeiter bei Amazon standen unter starkem Druck von Managern und gewerkschaftsfeindlichen Beratern, die eingestellt wurden, um diesen Organisationskurs zu unterdrücken«, sagte John Carr, Sprecher der International Association of Machinists and Aerospace Workers.
Amerikanische Gewerkschaftsaktivisten befürchten nun, dass das Unternehmen die kommende Roboterrevolution für Personalabbau nutzen wird. Jeff Bezos glaubt, dass Drohnen künftig ideal für die Lieferung von Paketen sein könnten. Sein Unternehmen hat bereits einen Roboter namens »Scout« getestet. »Wir sind keine Roboter, wir sind Menschen«, war ein beliebter Slogan unter Arbeitern von Amazon, die darum kämpften, sich in einem Warenlager in New York's Staten Island zu organisieren.