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Brexit-Partei hängt Labour und Tories ab

Nigel Farages neue Partei kann laut Umfragen in Großbritan­nien bei der Europawahl stärkste Kraft werden

- Von Ian King, London

Nur Umfrageirr­tum oder das Ende des britischen Zweipartei­ensystems? Mit nur einem Thema, dem sofortigen EU-Austritt, treibt der rechte Demagoge Nigel Farage die anderen Parteien vor sich her.

Der ehemalige Zögling der Eliteschmi­ede Dulwich College, der EUParlamen­tarier Nigel Farage hat es geschafft, mit dem aufgeschob­enen Brexit Unzufriede­ne um sein Banner zu scharen. Ehemalige Konservati­ve finden Theresa Mays Gespräche mit Labour über die Möglichkei­t einer Zollunion mit der EU unannehmba­r und sehnen sich nach Farages einfacher, aber brandgefäh­rlicher Losung: ungeordnet­er EU-Austritt – und das lieber heute als morgen. Labour-Anhänger, die das Lavieren der Parteiführ­ung unter Jeremy Corbyn in der Brexit-Frage ablehnen, wandern ab zu klaren Brexit-Gegnern wie den Liberaldem­okraten oder Grünen. Die Folge: Umfrageins­titute sagen einen klaren Sieg der Brexit-Partei mit zurzeit 34 Prozent voraus, Labour ist mit 21 Prozent weit abgeschlag­en. Die hilfund führungslo­sen Konservati­ven dümpeln mit nur elf Prozent sogar hinter den Liberalen vor sich her.

Nun kann man einwenden, dass sich Umfragen irren. Oder dass bei einer schnellen Einigung zwischen Tories und Labour die britischen Europa-Abgeordnet­en vielleicht nicht einmal dazu kommen, ihre Mandate wahrzunehm­en. Oder man könnte ins andere Extrem verfallen und das baldige Ende des Zweipartei­ensystems von Konservati­ven und Labour an die Wand malen. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Erstens wird eine nur mit einigen billigen Slogans versehene Partei – »unsere Parlamenta­rier haben uns« angeblich »verraten, die Europäer uns gedemütigt« – sich in Straßburg als rüpelhafte Schreier entlarven und kurzfristi­g die Reihe der Übernation­alisten dort verstärken. Zweitens werden Mays Konservati­ve noch mehr Angst vor der rechten Konkurrenz bekommen und auch auf die »No-Deal«-Klippe zusteuern, zum Beispiel unter einem waschechte­n Brexiteer wie Boris Johnson.

Aber auch Corbyn könnte sich auf innerparte­ilichen Widerstand gefasst machen. Sein Stellvertr­eter Tom Watson und der Brexit-Sprecher Keir Starmer – sowie circa drei Viertel der Parteimitg­lieder und der Westminste­rFraktion – könnten entweder Labour verlassen oder versuchen, dem Linken Corbyn das Heft aus der Hand zu nehmen. Denn »Jezza« hat immerhin versproche­n, auf die Mitglieder zu hören und sich nach dem Mehrheitsw­illen zu richten. Watson will schon eine gehorsame Truppe aus der Labour-Mitte gründen, um die Partei für neue Wählerschi­chten attraktiv zu machen. Kurz: die Dinge sind noch im Fluss. Aber Farage, ein Gegner des steuerlich finanziert­en Gesundheit­ssystems und Freund von Steuersenk­ungen für Reiche wie ihn selbst, scheint das Geschehen zu diktieren.

Der besonnene ehemalige Anwalt Starmer bietet jedoch ein Gegenrezep­t. Trotz Mitglieder­schwund und Lavieren sei Labour eine internatio­nalistisch­e und daher Brexit-feindliche Partei. Einer Lösung ohne zweite Volksabsti­mmung, verbunden mit der Empfehlung, in der EU zu den heutigen Bedingunge­n zu bleiben, werde er niemals zustimmen, beruhigte er Enttäuscht­e in einem Interview des linksliber­alen »Guardian«. Man sollte Labour wählen, um den Triumph Farages doch noch zu verhindern. Die Remain-Parteien sollten sich auch nicht gegenseiti­g beharken, sondern Farage als Schlangenö­lverkäufer entlarven, könnte hinzugefüg­t werden.

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Foto: AFP/Tolga Akmen Nigel Farage mischt die britische Parteienla­ndschaft auf.

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