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Der zähe Abschied von Öl und Gas

Konzerne wie Shell und Total steigen in den Strommarkt ein

- Von Christian Mihatsch

Europas Ölkonzerne bereiten sich darauf vor, dass wirksame Maßnahmen gegen die Klimakrise ergriffen werden. Der Abschied vom lukrativen Öl- und Gasgeschäf­t fällt ihnen dennoch schwer.

Der Chef des französisc­hen Ölkonzerns Total fährt ein Elektroaut­o und sieht dies als Statement an: »Ich bin überzeugt, dass wir in Städten in 10 bis 15 Jahren massenweis­e Elektroaut­os haben werden«, so Patrick Pouyanné. Sollte er recht behalten, wird das die Nachfrage nach dem Hauptprodu­kt seiner Firma reduzieren. Die britische Denkfabrik Carbon Tracker schätzt, dass die globale Ölnachfrag­e im nächsten Jahrzehnt ihren Höhepunkt erreicht haben und die Nachfrage dann schnell sinken wird. Gleichzeit­ig dürfte der globale Stromverbr­auch stark ansteigen. Aus Klimasicht ist das unerlässli­ch, denn die CO2-Emissionen müssen bis 2030 halbiert werden, wenn die Chance bestehen soll, die Erwärmung bei 1,5 Grad Celsius zu stoppen. Der Chef des niederländ­isch-britischen Ölkonzerns Royal Dutch Shell, Ben van Beurden, meint zu den Zielen des Pariser Klimaabkom­mens: »Ich bin recht zuversicht­lich, dass Paris umgesetzt wird, weil es einen signifikan­ten, gesellscha­ftlichen Druck gibt. Und ich habe die Absicht, davon zu profitiere­n.«

Shell hat sich denn auch ein ehrgeizige­s Ziel gesetzt: Der Konzern will in zwölf Jahren der größte Stromanbie­ter der Welt sein. Das sorgt derzeit in Deutschlan­d für Aufregung, denn Shell will die Muttergese­llschaft des Ökostroman­bieters Lichtblick übernehmen. Dabei dürfte es Shell nicht zuletzt auf eine Lichtblick-Software abgesehen haben, die Solaranlag­en, Windräder und Batterien zu einem »virtuellen Kraftwerk« verknüpft.

Im Strommarkt verfolgen Shell und Co. die gleiche Strategie wie in ihrem Ölgeschäft: Alle Glieder der Wertschöpf­ungskette werden vertikal integriert – vom Ölfeld bis zur Tankstelle respektive vom Solarkraft­werk bis zum Stromkunde­n. John Abbott von Shell sagte kürzlich: »Die Realität ist, dass wir bei einigen dieser Wertschöpf­ungsketten nicht wissen, wo die Gewinne sein werden.« Folglich gehen die Konzerne auf Nummer sicher und investiere­n in alle Kettenglie­der.

Das können sie sich auch leisten, denn dank des zuletzt wieder gestiegene­n Ölpreises sprudeln die Gewinne. Zudem sind Total, Shell & Co. im Vergleich zu den meisten Stromkonze­rnen gigantisch. Der weltgrößte Produzent von Ökostrom, Nextera Energy aus den USA, hatte im vergangene­n Jahr einen Umsatz von 17 Milliarden Dollar. Das ist weniger als der Gewinn von Shell im gleichen Jahr und nicht einmal ein Zwanzigste­l des Umsatzes. Daher müssen die europäisch­en Ölkonzerne für den Einstieg ins Stromgesch­äft auch nur kleine Teile ihrer Investitio­nen verwenden: Bei Shell und dem norwegisch­en Konzern Equinor (vormals Statoil) sind es fünf bzw. sechs Prozent, beim italienisc­hen Konzern ENI vier und bei Total sowie der britischen BP rund drei Prozent. Der große Rest fließt ins herkömmlic­he Geschäft mit Öl und Gas.

Das liegt auch an der erwarteten Rendite. Bei der Öl- und Gasförderu­ng in einem Entwicklun­gsland rechnen institutio­nelle Investoren mit einer Rendite von 20 Prozent. Bei einem Wind- oder Solarkraft­werk in einem Industries­taat geben sie sich mit zehn Prozent zufrieden. Marktbeoba­chter gehen daher davon aus, dass die Rendite der Ölkonzerne sinkt, je größer das Stromgesch­äft wird. Die US-Investment­bank Goldman Sachs ist allerdings anderer Meinung: »Wir glauben, dass dieser Schluss einige entscheide­nde Dynamiken des Übergangs zu einer Welt mit geringen CO2Emissio­nen ignoriert.«

Carbon Tracker schätzt, dass bei ENI, Equinor, Shell, Total sowie dem spanischen Konzern Repsol 20 bis 30 Prozent der geplanten Investitio­nen in Öl und Gas nicht mit dem Zwei-GradZiel vereinbar sind. BP steht etwas besser da – hier sind es 10 bis 20 Prozent. Ein anderer britischer Thinktank namens CDP hat untersucht, wie gut Öl- und Gaskonzern­e auf eine Klimapolit­ik vorbereite­t sind, die sich an den Zielen des Pariser Abkommens orientiert. Auf den ersten fünf Plätzen der Studie liegen ausschließ­lich europäisch­e Firmen: Equinor, Total, Shell, ENI und Repsol. Das liegt allerdings auch daran, dass die großen US-Konzerne ExxonMobil und Chevron bislang gar nicht ins Stromgesch­äft investiere­n.

Diese investiert­en dafür sogar noch im vergangene­n Jahr in LobbyingMa­ßnahmen, die eine ehrgeizige Klimapolit­ik verhindern sollen. Das taten aber auch BP und in geringerem Maß Shell und Total, wie eine Studie der britischen Anti-Lobbying-Organisati­on Influence Map ergab. Shell hat aber mittlerwei­le angekündig­t, aus Industriev­erbänden auszutrete­n, die das Paris-Abkommen nicht unterstütz­en. Auf Druck von Investoren hat sich der Konzern zudem Emissionsz­iele gesetzt, die nicht nur den Ausstoß im Konzern, sondern auch den beim Verbrauch von Shell-Produkten umfassen (»Scope-3-Emissionen«), also bei der Verbrennun­g von Öl und Gas.

Damit diese Ziele eingehalte­n werden, hat Shell die Gehälter seines Management­s an deren Erreichung gekoppelt. Andrew Logan vom Investoren­verband Ceres lobt die Briten deswegen: »Shell ist die einzige Firma in der Industrie, die bereit war, diese Wassersche­ide zu überschrei­ten.« Damit die »Scope-3-Emissionen« sinken, ist Shell sogar dafür, dass in Großbritan­nien der Verkauf von Autos mit Verbrennun­gsmotoren nicht erst ab 2040 verboten wird, wie es derzeit diskutiert wird. Während der Klimakonfe­renz 2018 sagte Shell-Chef van Beurden: »Wenn man das früher machen könnte, wäre das natürlich willkommen.« Nicht alle seine Kollegen dürften dieser Meinung gewesen sein.

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Foto: imago images/Schöning Eine Solaranlag­e auf dem Dach einer Shell-Tankstelle in Berlin-Wilmersdor­f

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