Der zähe Abschied von Öl und Gas
Konzerne wie Shell und Total steigen in den Strommarkt ein
Europas Ölkonzerne bereiten sich darauf vor, dass wirksame Maßnahmen gegen die Klimakrise ergriffen werden. Der Abschied vom lukrativen Öl- und Gasgeschäft fällt ihnen dennoch schwer.
Der Chef des französischen Ölkonzerns Total fährt ein Elektroauto und sieht dies als Statement an: »Ich bin überzeugt, dass wir in Städten in 10 bis 15 Jahren massenweise Elektroautos haben werden«, so Patrick Pouyanné. Sollte er recht behalten, wird das die Nachfrage nach dem Hauptprodukt seiner Firma reduzieren. Die britische Denkfabrik Carbon Tracker schätzt, dass die globale Ölnachfrage im nächsten Jahrzehnt ihren Höhepunkt erreicht haben und die Nachfrage dann schnell sinken wird. Gleichzeitig dürfte der globale Stromverbrauch stark ansteigen. Aus Klimasicht ist das unerlässlich, denn die CO2-Emissionen müssen bis 2030 halbiert werden, wenn die Chance bestehen soll, die Erwärmung bei 1,5 Grad Celsius zu stoppen. Der Chef des niederländisch-britischen Ölkonzerns Royal Dutch Shell, Ben van Beurden, meint zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens: »Ich bin recht zuversichtlich, dass Paris umgesetzt wird, weil es einen signifikanten, gesellschaftlichen Druck gibt. Und ich habe die Absicht, davon zu profitieren.«
Shell hat sich denn auch ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Der Konzern will in zwölf Jahren der größte Stromanbieter der Welt sein. Das sorgt derzeit in Deutschland für Aufregung, denn Shell will die Muttergesellschaft des Ökostromanbieters Lichtblick übernehmen. Dabei dürfte es Shell nicht zuletzt auf eine Lichtblick-Software abgesehen haben, die Solaranlagen, Windräder und Batterien zu einem »virtuellen Kraftwerk« verknüpft.
Im Strommarkt verfolgen Shell und Co. die gleiche Strategie wie in ihrem Ölgeschäft: Alle Glieder der Wertschöpfungskette werden vertikal integriert – vom Ölfeld bis zur Tankstelle respektive vom Solarkraftwerk bis zum Stromkunden. John Abbott von Shell sagte kürzlich: »Die Realität ist, dass wir bei einigen dieser Wertschöpfungsketten nicht wissen, wo die Gewinne sein werden.« Folglich gehen die Konzerne auf Nummer sicher und investieren in alle Kettenglieder.
Das können sie sich auch leisten, denn dank des zuletzt wieder gestiegenen Ölpreises sprudeln die Gewinne. Zudem sind Total, Shell & Co. im Vergleich zu den meisten Stromkonzernen gigantisch. Der weltgrößte Produzent von Ökostrom, Nextera Energy aus den USA, hatte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 17 Milliarden Dollar. Das ist weniger als der Gewinn von Shell im gleichen Jahr und nicht einmal ein Zwanzigstel des Umsatzes. Daher müssen die europäischen Ölkonzerne für den Einstieg ins Stromgeschäft auch nur kleine Teile ihrer Investitionen verwenden: Bei Shell und dem norwegischen Konzern Equinor (vormals Statoil) sind es fünf bzw. sechs Prozent, beim italienischen Konzern ENI vier und bei Total sowie der britischen BP rund drei Prozent. Der große Rest fließt ins herkömmliche Geschäft mit Öl und Gas.
Das liegt auch an der erwarteten Rendite. Bei der Öl- und Gasförderung in einem Entwicklungsland rechnen institutionelle Investoren mit einer Rendite von 20 Prozent. Bei einem Wind- oder Solarkraftwerk in einem Industriestaat geben sie sich mit zehn Prozent zufrieden. Marktbeobachter gehen daher davon aus, dass die Rendite der Ölkonzerne sinkt, je größer das Stromgeschäft wird. Die US-Investmentbank Goldman Sachs ist allerdings anderer Meinung: »Wir glauben, dass dieser Schluss einige entscheidende Dynamiken des Übergangs zu einer Welt mit geringen CO2Emissionen ignoriert.«
Carbon Tracker schätzt, dass bei ENI, Equinor, Shell, Total sowie dem spanischen Konzern Repsol 20 bis 30 Prozent der geplanten Investitionen in Öl und Gas nicht mit dem Zwei-GradZiel vereinbar sind. BP steht etwas besser da – hier sind es 10 bis 20 Prozent. Ein anderer britischer Thinktank namens CDP hat untersucht, wie gut Öl- und Gaskonzerne auf eine Klimapolitik vorbereitet sind, die sich an den Zielen des Pariser Abkommens orientiert. Auf den ersten fünf Plätzen der Studie liegen ausschließlich europäische Firmen: Equinor, Total, Shell, ENI und Repsol. Das liegt allerdings auch daran, dass die großen US-Konzerne ExxonMobil und Chevron bislang gar nicht ins Stromgeschäft investieren.
Diese investierten dafür sogar noch im vergangenen Jahr in LobbyingMaßnahmen, die eine ehrgeizige Klimapolitik verhindern sollen. Das taten aber auch BP und in geringerem Maß Shell und Total, wie eine Studie der britischen Anti-Lobbying-Organisation Influence Map ergab. Shell hat aber mittlerweile angekündigt, aus Industrieverbänden auszutreten, die das Paris-Abkommen nicht unterstützen. Auf Druck von Investoren hat sich der Konzern zudem Emissionsziele gesetzt, die nicht nur den Ausstoß im Konzern, sondern auch den beim Verbrauch von Shell-Produkten umfassen (»Scope-3-Emissionen«), also bei der Verbrennung von Öl und Gas.
Damit diese Ziele eingehalten werden, hat Shell die Gehälter seines Managements an deren Erreichung gekoppelt. Andrew Logan vom Investorenverband Ceres lobt die Briten deswegen: »Shell ist die einzige Firma in der Industrie, die bereit war, diese Wasserscheide zu überschreiten.« Damit die »Scope-3-Emissionen« sinken, ist Shell sogar dafür, dass in Großbritannien der Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren nicht erst ab 2040 verboten wird, wie es derzeit diskutiert wird. Während der Klimakonferenz 2018 sagte Shell-Chef van Beurden: »Wenn man das früher machen könnte, wäre das natürlich willkommen.« Nicht alle seine Kollegen dürften dieser Meinung gewesen sein.