nd.DerTag

Eine alternativ­e Krisenerzä­hlung

Felix Jaitner über die Nützlichke­it der russischen Propaganda

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Es ist kaum zu glauben: Der Kreml fördert die Berliner Antifa – das behauptet keine geringere Zeitung als die »New York Times«. Als Beweise einer zweiwöchig­en Recherche präsentier­t sie die Aussagen eines ehemaligen Analysten des FBI und die Tatsache, dass einige Antifa-Webseiten auf russischen Servern registrier­t sind. Abgesehen davon, dass deren Nutzung noch lange keine automatisc­he Zusammenar­beit mit dem jeweiligen Staat zur Folge hat, spricht auch die staatliche Repression antifaschi­stischer Initiative­n in Russland gegen diese These. Manchmal lohnen sich Landeskenn­tnisse halt doch, auch wenn sie Stereotype widerlegen.

Im gleichen Atemzug erwähnt der Artikel, dass auch die europäisch­en Rechtspart­eien wie die AfD oder die italienisc­he Lega durch Russland unterstütz­t werden. Das Gespenst der russischen Propaganda liefert den Eliten hierzuland­e eine treffliche Erklärung für aktuelle Krisenphän­omene wie zum Beispiel den gesellscha­ftlichen Rechtsruck. Denn dort, wo der Kreml ins Spiel kommt, wird nicht mehr über die Folgen neoliberal­er Politik geredet. Und je länger sie wiederholt wird, desto mehr verfängt das Narrativ. Russland steht hinter der Krise der bürgerlich-liberalen Gesellscha­ftsordnung, nicht aber der Widerspruc­h zwischen Demokratie und Kapitalism­us, zwischen politische­r Gleichheit und sozialer Ungleichhe­it.

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