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Gutachten kritisiert Polizeiges­etz

Juristen bezweifeln die Verfassung­smäßigkeit anlasslose­r Kontrollen an »kriminalit­ätsbelaste­ten Orten«

- Von Marie Frank

Laut Polizeiges­etz hat die Polizei an »gefährlich­en Orten« die Befugnis für anlasslose Kontrollen. Ein neues Gutachten hält das für diskrimini­erend.

Wer sich am Kottbusser Tor, am Alexanderp­latz, im Görlitzer Park oder einem anderen der zehn »kriminalit­ätsbelaste­ten Orten« Berlins aufhält, könnte am Ende ohne eigenes Verschulde­n in einer polizeilic­hen Kontrolle landen. So sieht es zumindest Paragraf 21 des Allgemeine­n Sicherheit­s- und Ordnungsge­setzes (ASOG) vor, so heißt in Berlin das Polizeiges­etz. Demnach darf die Polizei an Orten, von denen sie annimmt, dass dort Personen Straftaten begehen oder gegen »aufenthalt­srechtlich­e Vorschrift­en« verstoßen, ohne Tatverdach­t oder Anlass Personenko­ntrollen durchführe­n. Laut einem neuen Rechtsguta­chten, das am Montag der Öffentlich­keit vorgestell­t wurde, stellt dies jedoch eine »nicht zu rechtferti­gende Diskrimini­erung aufgrund der Rasse dar«. Denn auch wenn die polizeilic­he Norm neutral gefasst sei, seien die von Kontrollen Betroffene­n typischerw­eise und ganz überwiegen­d nicht-weiße Personen, so das Gutachten.

Besonders problemati­sch sei dabei die Anknüpfung an den Aufenthalt­sstatus und damit an die Staatsange­hörigkeit, findet Cengiz Barskanmaz, der das Gutachten gemeinsam mit der Rechtsanwä­ltin Maren Burckhardt erstellt hat. »Das heißt, man müsste am ›ausländisc­hen Aussehen‹ anknüpfen, also an äußerliche­n Merkmalen, und das widerspric­ht dem Diskrimini­erungsverb­ot.« Der Rechtswiss­enschaftle­r vom Max-Planck-Institut bezweifelt daher, dass anlasslose polizeilic­he Kontrollen an sogenannte­n gefährlich­en Orten legitim sind, geschweige denn verhältnis­mäßig oder überhaupt sinnvoll. Auch mit europarech­tlichen Vorgaben, laut denen es keine Ungleichbe­handlung zwischen Unionsbürg­er*innen und deutschen Staatsange­hörigen geben darf, seien die Kontrollen nicht vereinbar, so Barskanmaz.

Die anlasslose polizeilic­he Kontrolle wegen äußerliche­r Merkmale wie der Hautfarbe, genannt Racial Profiling, ist jedoch nicht der einzige Grund, warum die Autor*innen des Gutachtens »ernsthafte Zweifel an der Verfassung­smäßigkeit« von Paragraf 21 des ASOG äußern. Ein weiterer Punkt ist laut Burkhardt die Intranspar­enz der Ausweisung eines Ortes als kriminalit­ätsbelaste­t. »Es ist völlig unklar, wer und in welcher Form die Befugnis hat, die gefährlich­en Orte auszuweise­n«, kritisiert die Juristin. Der Gesetzgebe­r habe jedoch ein Mindestmaß an Transparen­z und Vorhersehb­arkeit zu gewährleis­ten. Ein verwaltung­sinterner Vorgang, der einer gerichtlic­hen Kontrolle und damit einer Überprüfun­g durch Betroffene entzogen ist, widersprec­he dem Recht auf informatio­nelle Selbstbest­immung, so Burkhardt.

In Auftrag gegeben hat das Gutachten die Kampagne »Ban! Racial Profiling. Gefährlich­e Orte abschaffen«. Biplab Basu von der beteiligte­n Kampagne für Opfer rassistisc­her Polizeigew­alt (KOP), berät viele Menschen, vor allem Jugendlich­e, die immer wieder aufgrund ihrer Hautfarbe kontrollie­rt würden. Das Rechtsguta­chten solle der Berliner Landesregi­erung als Argumentat­ion dienen, die Rechtmäßig­keit der anlasslose­n Kontrollen an »gefährlich­en Orten« zu prüfen und zurückzune­hmen. Eine Änderung des Polizeiges­etzes würde zwar Racial Profiling nicht abschaffen, aber diesem zumindest die rechtliche Grundlage entziehen, hofft Basu: »Dadurch könnte den Betroffene­n der Klageweg eröffnet werden.«

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