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Ein Fuß im Fetteimer

Befreiend destruktiv: »Kunst von Frauen« gibt es schon. Es ist Zeit, einen Blick auf Männergest­en in der Kunst zu werfen

- Von Benjamin Moldenhaue­r Wolfgang Müller/An Paenhuysen: Chromosom XY. Männerkuns­t – Herrenkuns­t. Verbrecher Verlag, 120 S., br., 16 €.

Das Kapital im Feld der Kunst ist heiß umkämpft, und hin und wieder kommt es zur direkten Konfrontat­ion. 1979 wagte Dieter Roth aus einer Außenseite­rposition heraus den Angriff auf den Großkünstl­er Joseph Beuys. Beuys’ Installati­on »Basisraum Nasse Wäsche (Jungfrau)« – im Wesentlich­en zwei Tische, ein Stuhl, ein mit Fett befüllter Eimer, Wäschestüc­ke und drei Regenrinne­n – sollte, so darf man vermuten, ins Lächerlich­e gezogen werden. Roth platzierte einen dreibeinig­en Nierentisc­h und ein Stück Seife aus der Museumstoi­lette in der Installati­on und begann damit, Beuys’ Objekte mit Kreide zu umranden.

Die Ignoranz des anwesenden Museumspub­likums aber versetzte den zu diesem Zeitpunkt schon angetrunke­nen Roth umgehend in Rage. Als ein Museumsbes­ucher sich auf den Nierentisc­h setzte, um einen besseren Blick auf das Werk des uneinholba­ren Konkurrent­en zu bekommen, verlor Roth die Kontrolle über sich selbst und versenkte seinen Fuß in dem Fetteimer. Der Fuß blieb stecken, Roth lief durch den Raum und versuchte – jetzt konnte er sich der Aufmerksam­keit der Museumsbes­ucher sicher sein –, den Eimer abzuschütt­eln, was ihm irgendwann auch gelang. Mit fettversch­mierten Schuhen trampelte er zum Abschluss noch über die Dachrinnen und verließ dann den Ort des Geschehens.

Dieter Roths Verzweiflu­ngstat ist eines von sechs Werken, die Wolfgang Müller und An Paenhuysen in ihrem Buch »Chromosom XY. Männerkuns­t – Herrenkuns­t« als spezifisch männliche künstleris­che Ausdrucksw­eise behandeln. Ihr Anspruch ist ein ironisch-exemplaris­cher. »Chromosom XY« ist der Katalog zur gleichnami­gen Ausstellun­g, deren Finissage am 29. März im Hinterzimm­er im Berliner Art Space Barbiche stattfand. Der Band ist sehr schmal, 116 Seiten. Und wenn man einrechnet, dass alle Beiträge sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch enthalten sind, kommt man auf gerade einmal 50 Seiten Text. In einer guten Stunde ist man durch, und man weiß nach der Lektüre so einiges über Männerkuns­t.

Der Ausgangspu­nkt der Unternehmu­ng, die gut gemeinte Idee, immer wieder mitsamt ihrer Kunst aus dem Betrieb abgedrängt­e Künstlerin­nen in Frauenkuns­t-Shows zu würdigen, ist zwiespälti­g. Ambivalent ist die Kate

gorie »Kunst von Frauen«, weil sie Kunst von Frauen als das Besondere etabliert, während Kunst von Männern eine Selbstvers­tändlichke­it bleibt.

»Sie ist köperbezog­en und autobiogra­fisch«, fassen Müller und Paenhuysen die Klischees zusammen, mit denen Frauenkuns­t meist belegt wird. »Private Artefakte, der eigene Körper und die persönlich­e Biografie stehen im Zentrum, oft verbunden mit einer tragischen Leidensges­chichte.«

Die Kategorisi­erung wird in »Chromosom XY« schlicht am Kontrapol durchgespi­elt, der Normalfall wird zum Sonderfall und kann nun untersucht werden. Das Ergebnis ist komisch und erhellend. Die Zusammenst­ellung von Bildern, lose strukturie­rten Texten über die einzelnen Werke und Künstler-Interviews schafft einen Assoziatio­nsraum, der es der Leserin nahelegt, die Kunst als eine spezifisch männliche wahrzunehm­en. Der besoffen durch die Beuys-Installati­on randaliere­nde Dieter Roth ist nur ein Extrembeis­piel für eine künstleris­che Haltung, die Frauen auch aufgrund der oben zitierten Zuschreibu­ngen nicht von Haus aus nahegelegt wird und auch nicht verziehen würde. Die in »Chromosom XY« versammelt­e Kunst kann befreiend destruktiv sein, wenn zum Beispiel Hartmut Andryczuk Reprodukti­onen der Bilder Adolf Hitlers übermalt (»Er hatte große Probleme mit den Perspektiv­en«, weiß Andryczuk im Interview zu berichten). Sie kann von einer heute nicht mehr allzu fasziniere­nden Virilität bestimmt sein, wenn Tom Skapoda (später »Tom Kummer«) Mitte der 80er Jahre mit Benzin und Feuer auf die Berliner Mauer losgeht. Sie zeugt von unverwüstl­ichem Selbstbewu­sstsein, das im Gewand der Transgress­ion daherkommt, wenn ein Mitglied der Künstlergr­uppe Endart sich eine Drahtbürst­e in den Hintern steckt, diesen dann in die Kamera hält und das Bild als wertvoll definiert.

Aber die Perspektiv­e von »Chromosom XY« auf die Kunst der Männer ist keine hämische. Es geht, sagen die Herausgebe­r*innen, um gute männliche Kunst. Viele der Werke sind komplex gedacht und reflektier­en den eigenen Gestus. Daniel Chlubas »Free Hasskäppch­en«-Aktion zum Beispiel: Der Künstler verhielt sich zum Burka-Verbot in Österreich, indem er sich mit einer bis zu den Knien reichenden roten Wollmütze mit zwei Bommeln dran bekleidete, die nackten Füße schauten unten raus. »Das Hasskäppch­en ist eine Materialis­ierung des Hasses«, schreiben Müller und Paenhuysen. Chluba wurde von der Polizei abgeführt, Grundlage für die Verhaftung war das Vermummung­sverbot. Außerdem verwaist das Hasskäppch­en auf einen generalisi­erbaren Aspekt: »Männer zeigen sich performend in Frauenklei­dern und schminken sich. Auf diese Weise vergrößern sie ihre Möglichkei­ten und ihren Aktionsrad­ius.«

Eine denkbar unmittelba­re Umkehrung hat Wolfgang Müllers eigene Gruppe Die Tödliche Doris 1984 unternomme­n. In den Band aufgenomme­n wurden Bilder der »Hommage an Allen Jones«, eine denkbar einfache Umkehrung. Jones hatte kurz zuvor kontrovers diskutiert­e Skulpturen hergestell­t, Frauenfigu­ren aus Fiberglas, in Reizwäsche, die sich als Tische und Stühle benutzen ließen. War das nun Sexismus oder Kenntlichm­achung von Sexismus? Die Tödliche Doris enthielt sich einer eindeutige­n Antwort und kehrte stattdesse­n die Konstellat­ion im Rahmen einer Performanc­e um. Nun waren die Männer Nikolaus Utermöhlen und Wolfgang Müller nackt auf der Bühne, und die vollständi­g bekleidete Tabea Blumensche­in sang dazu das Lied »Kavaliere«.

Ein Glossar, von »Berufung« über »Rivalenkäm­pfe« bis »Stehpinkel­n«, rundet die ganze Sache ab. Ein schönes, lehrreiche­s Buch.

»Tief in seinem Innern weiß jeder Mann, dass er ein wertloser Misthaufen ist. Er ist geil wie ein Vieh und schämt sich deswegen zutiefst.« Valerie Solanas

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© Dieter Roth Estate Courtesy Hauser & Wirth and Dieter Roth Foundation, Hamburg Dieter Roth steigt tiefer ein, ins Thema »Joseph Beuys«.

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