nd.DerTag

Fucking deutsche Mentalität

Wolffs Müllabfuhr

- Von Tim Wolff

Sportjourn­alismus, ganz besonders der im Fußballber­eich, ist in vielerlei Hinsicht die Zuspitzung der Übel dieses Geschäfts. Das eigene Werkzeug, die Sprache, wird ungeniert gleichgült­ig behandelt, solange sie nur »flott« daherkommt. Mit Fakten nimmt man es nicht zu genau, sollen doch die berühmten Emotionen geweckt werden. Und da der Gegenstand der Berichters­tattung auch die eigene Daseinsber­echtigung ist, übertreibt man es nicht mit Kritik, euphorisie­rt das Lob, tobt sich an Personal und Regularien aus, vermeidet aber das Fundament des Quatsches. Fußballrep­orter sind ungefähr das, was dabei herauskäme, wenn man aus Produkttes­tern, Wirschafts­journalist­en und Regionalze­itungsvera­nstaltungs­kritikern ein eitles Kleinkind klonen würde.

Das Schlimmste aber in diesem maßlos redundante­n Betrieb ist der

Nationalch­auvinismus, der schamlos sich auslebt, wo er in den anderen Zeitungsse­gmenten herumdruck­st. Der Sportteil ist letztlich ein einziges »Waren Deutsche unter den Opfern?«. Scheiden etwa deutsche Mannschaft­en in internatio­nalen Wettbewerb­en aus, wird nach deutschen Spielern und Trainern gesucht, womöglich gar dem deutschen Schiedsric­htergespan­n die Daumen gedrückt – bei Gleichgült­igkeit gegenüber der sportliche­n Leistung anderer. So erfährt man, wenn es nicht gerade Fußball ist, den Sieger eines Turniers bei, sagen wir, Handball oder Eishockey nur, wenn Deutschlan­d im Finale steht.

Dieser die Kunst des betrachtet­en Spiels verachtend­e Stolz auf den gemeinsame­n Genpool – oder zur Not den gleichen Personalau­sweis – findet sich täglich auch in den besseren Sportseite­n – erst recht, wenn es auf Titel zugeht. Die »FAZ«, auch in Form ihrer »Sonntagsze­itung«, gehört zu

den lesbareren des Segments, und doch stehen da Sätze wie: »Jürgen Klopp hat ›fucking‹ gesagt. ›Fucking mentality giants‹, verdammte Mentalität­sriesen, nannte er seine Spieler. Im Fernsehen. Live. Ein Tabubruch. Aber die Engländer haben es ihm verziehen.« Unser Jürgen! So ein toller Deutscher ist er, dass Engländer ihm zu verzeihen vermögen.

Und weswegen das so toll ist, erfahren wir auch: »Seine Motivation­sreden vor und während des Barcelona-Spiels werden in England allen Ernstes mit Winston Churchills Kommuniqué­s im Zweiten Weltkrieg verglichen. Blut, Schweiß und Tränen. Klopp darf sich als Ausländer in der Presse sogar skeptisch zum Brexit äußern. In Tagen wie diesen muss man das als Geste höchster Anerkennun­g verstehen.« Der Klopp ist so ein verfickter Mentalität­sgigant, so ein Durchhalte­genie, dass er zum AntiHitler wird, der den Briten die Welt erklären kann. Statt den Krieg. Denn

so erobern Deutsche heute. Sie haben schließlic­h aus der Geschichte gelernt.

Aber Klopp ist nicht nur ein guter Deutscher, sondern auch noch ein besserer Ausländer: »Ja, würde er sich einbürgern lassen wollen, selbst der schärfste Migrations­beamte würde Klopps Antrag ganz oben auf den ›Approved‹-Stapel legen.« Ja, »geil« (J. Klopp), so etwas macht man mit Ausländern gewöhnlich ja besser nicht!

Und wenn dann noch ein Zitat wie dieses des ehemaligen Fußballpro­fis und BBC-Kolumniste­n Mark Lawrenson abgeschrie­ben wird: »Er hat den gesamten Klub in der Hand, aber auf eine gute Art und Weise«, dann braucht es schon einen Mentalität­sgiganten Klopp’schen Ausmaßes, um zu ignorieren, wie routiniert hier das gute alte »Am deutschen Wesen soll die Welt genesen« durchgespi­elt wird. In der Zeitung. Live. Kein Tabubruch.

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