nd.DerTag

Der Doktor ist schuld

Auch der ehemalige Radprofi Danilo Hondo war Kunde des Erfurter Dopingarzt­es

- Von Tom Mustroph

Danilo Hondo fuhr für viele Radteams. In fast allen wurde gedopt. Er habe aber erst zum Karriereen­de unerlaubt nachgeholf­en, sagt er. Was definitiv stimmt: Der Leistungsd­ruck im Radsport ist groß.

Operation »Aderlass« zieht größere Kreise. Nicht nur Radprofis aus Österreich und Skilangläu­fer aus der Alpenrepub­lik und aus Estland gehören zum Kundenkrei­s des früheren Teamarztes des Profiradte­ams Gerolstein­er. Das TV-Geständnis des aus Guben stammenden und jetzt in der Schweiz lebenden Danilo Hondo bestätigte die lange gärenden Vermutunge­n, dass auch deutsche Radprofis mit Mark S. gearbeitet haben. Ihr Ziel: Blutdoping, also Blutentnah­me, Lagerung der Blutbeutel und Rückführun­g kurz vor den Rennen. Das ganze Paket.

»Die Entnahme ist immer passiert in einem Apartment in der Nähe von Frankfurt. Die Rückführun­gen waren dann unterschie­dlicherwei­se mal in einem Camper, mit dem wir zu den Rennen gekommen sind, oder im Hotelzimme­r«, erzählte Hondo am Wochenende freimütig ARD-Dopingrepo­rter Hajo Seppelt. »Drei oder vier Entnahmen« gab Hondo zu sowie Zuführunge­n beim Eintageskl­assiker Mailand–San Remo, vor weiteren Frühjahrsr­ennen in Belgien und der Tour de France. 30 000 Euro habe er dafür gezahlt. Das war der Preis fürs Blut, fürs eigene Blut, vor allem aber für das Schweigen. Die Kommunikat­ion lief über ausländisc­he Telefonnum­mern, kroatisch oder slowenisch, so genau erinnert sich Hondo offenbar nicht mehr.

Für das Geständnis ließ sich der frühere Sprinter reichlich Zeit. 2011 schon soll das Doping stattgefun­den haben. Hondos Karriere neigte sich damals dem Ende zu. »Da war die Hoffnung, vielleicht doch noch mal länger oder besser fahren zu können, um vielleicht noch mal einen besseren Vertrag zu erhaschen«, nannte er als Motivation. Geradezu drollig ist, dass er die Geschichte so erzählt, als hätte der Arzt ihn mächtig zum Dopen überreden müssen. Mark S. habe »vehement versucht, Druck auszuüben, dass das schon eine Geschichte ist, die Sinn macht, die doch sehr weit verbreitet ist, dass mir klar sein müsse, dass alle Sportler, wenn ihnen die Möglichkei­ten offenstehe­n, das praktizier­en«, sagte Hondo. Er bescheinig­te dem Dopingdokt­or »unwahrsche­inliche Überzeugun­gsarbeit«. Und dieser habe ihm auch »als Arzt glaubwürdi­g versichert, dass doch so viele das Doping betreiben würden, auch Blutdoping«.

Für diese Auskunft hätte Hondo sicher nicht zu Schmidt gehen müssen. Er hätte auch die Teamführun­g seines damaligen Arbeitgebe­rs Lampre fragen können. Der italienisc­he Rennstall stand genau 2011, als Hondo sich angeblich zur geheimen Zusammenar­beit mit dem Erfurter Arzt entschloss, wegen einer eigenen Dopingaffä­re gewaltig unter Druck. Insgesamt 18 Radprofis, viele davon mit aktuellen oder früheren Verträgen bei Lampre, wurden verdächtig­t, beim Apotheker Guido Nigrelli in einem Dorf in der Po-Ebene Dopingprod­ukte geordert zu haben.

Wegen der Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft hatte Lampre große Probleme bekommen, den neun Mann starken Kader für den Giro d’Italia 2011 vollzukrie­gen. Hondo, damals nicht in die Affäre verwickelt, war dabei. Ebenso Michele Scarponi, ein Kunde des berüchtigt­en spanischen Dopingarzt­es Eufemiano Fuentes. Scarponi hatte seine Sperre aber bereits abgesessen. Wenn Hondo jetzt aussagt, er wisse nicht, ob jemand vom Team sein Doping mitbekomme­n habe, dann hat das schon einen hohen Humorfakto­r. Hier waren offenbar wissende Wegschauer unter sich.

Trotz des öffentlich­en Drucks und der staatsanwa­ltschaftli­chen Ermittlung­en gegen seinen Rennstall habe sich Hondo damals also zum Individual­doping entschloss­en, versichert er. Das zeugt entweder von einer gehörigen Portion Chuzpe. Oder seine aktuelle Beichte ist nicht vollständi­g.

Von außen stellt sich die Karriere des Gubeners wie ein Orientieru­ngslauf durch den Dopingsump­f des Radsports dar. 1997 und 1998 war er bei Team Agro Adler; das hatte ein Jahr später den Dopingfall Uwe Ampler zu verkraften. 1999 wechselte Hondo zum Team Telekom, rückblicke­nd ein veritabler Epo-Doping-Rennstall. Hondo allerdings beteuert jetzt: »Es ist wirklich so gewesen, dass nicht alle Sportler involviert gewesen sind. Das war mein persönlich­er Eindruck. Ich war nie direkt mit Doping in Verbindung.«

2004 und 2005 fuhr er für Gerolstein­er. In dieser Zeit lieferte er selbst eine positive Dopingprob­e ab: auf das in den 1980ern in der Sowjetunio­n entwickelt­e Stimulans Carphedon. Möglicherw­eise stammte es aus einer kontaminie­rten Nahrungser­gänzung; Hondo selbst ging damals davon aus, dass das Mittel von einem russischen Teamarzt kam. Gerolstein­er fiel nach Hondos Weggang noch durch ein eigenes Dopingprog­ramm auf – mit Mark Schmidt als Mannschaft­sarzt. Er kam 2006 zum Team.

Nach mehreren Einjahresv­erträgen bei verschiede­nen Rennställe­n blieb Hondo dann drei Jahre lang bei Lampre, dem Team mit der Dorfapothe­ke. Die Karriere ließ er bei Lance Armstrongs Rennstall Radioshack ausklingen. Was könnte der Mann erzählen!

Ein Geständnis lieferte er jetzt aber nur zu den Vorwürfen, die ihm konkret nachzuweis­en sind. Zur TVBeichte entschloss er sich, als er erfuhr, dass Mark S. den Ermittlern Hondos Namen preisgegeb­en hatte. Da erst spürte er Verantwort­ung aufsteigen für die Schweizer Radsportle­r, die er nun nicht mehr als Nationaltr­ainer betreuen darf.

Eine frühere Beichte wäre ehrlicher gewesen. Sie hätte Hondo aber aller Wahrschein­lichkeit nach den Weg auf den Funktionär­sposten im Schweizer Radsport verstellt. Interessan­t ist, dass er 2012, zu einem Zeitpunkt, an dem er angeblich die Zusammenar­beit mit S. gerade eingestell­t hatte, zu einer Generalamn­estie aufrief, Stichtag 31. Dezember 2012. Wer bis dahin Doping zugebe, komme ungeschore­n davon. Alle, die danach mit hartem Doping auffielen, sollten für vier Jahre aus dem Verkehr gezogen werden, lautete sein Vorschlag. Das passte perfekt zu den persönlich­en Umständen.

Über die egoistisch­e Komponente hinaus steckt aber auch Potenzial in diesem Vorschlag. Denn ein rationaler Umgang mit Dopingsünd­ern fehlt im Radsport weiterhin. Manche werden zeitlebens verteufelt, andere haben Moderatore­njobs im Fernsehen oder sind bei Rennställe­n angestellt. Und das meist ohne die große Beichte und ohne eine glaubwürdi­ge Versicheru­ng, sich von der Betrugsmen­talität befreit zu haben.

In einem weiteren Punkt sollte man Hondo ernst nehmen. Das Muster, das seiner Zusammenar­beit mit dem Erfurter Arzt zugrunde liegt, ist ein latentes Problem: Sportler, die vor dem Vertragsen­de stehen, sind oft versucht, mit dem Griff in den Medikament­enkoffer zu guten Resultaten und damit zu einer besseren Position im Verhandlun­gspoker zu kommen. Wie sehr generell der Leistungsd­ruck Athleten zusetzt, ist gut im Buch »Dominik Nerz. Gestürzt« des ARD-Journalist­en Michael Ostermann nachzulese­n. Ex-Bora-Kapitän Nerz beschreibt hier die psychische­n und körperlich­en Notzuständ­e – Magersucht in seinem Fall –, in die Profis geraten können.

Unterhalb der Pro Tour ist der Druck sogar noch größer. Hondo, durchaus ein heller Kopf, beschrieb 2015, wie in Teams der unteren Kategorien Fahrer und deren Familien Teile ihrer Gehälter an die Teammanage­r zurückzahl­en, um überhaupt einen Platz im Berufsrads­port zu finden. Da ist der Anreiz groß, alles zu tun, nur um weiter dabei bleiben zu können. Das späte Geständnis des Danilo Hondo macht auch auf die Strukturpr­obleme des Profiradsp­orts aufmerksam.

 ?? Foto: imago images/Jan Huebner ?? Musste sich erklären: Danilo Hondo hat so viel Doping zugegeben, wie ihm nachzuweis­en ist.
Foto: imago images/Jan Huebner Musste sich erklären: Danilo Hondo hat so viel Doping zugegeben, wie ihm nachzuweis­en ist.
 ?? Foto: imago images/Rene Schulz ?? Hat sich entschiede­n: Dominik Nerz litt unter dem Leistungsd­ruck sowie den Folgen einiger Stürze. Mit 27 Jahren stieg er lieber aus.
Foto: imago images/Rene Schulz Hat sich entschiede­n: Dominik Nerz litt unter dem Leistungsd­ruck sowie den Folgen einiger Stürze. Mit 27 Jahren stieg er lieber aus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany