nd.DerTag

Aufbau mit Hinderniss­en

Sanktionen und Mangelwirt­schaft: Syrer wünschen sich von den Hilfsorgan­isationen mehr Flexibilit­ät

- Von Karin Leukefeld, Homs

Auch Sanktionen bremsen den Elan der syrischen Bevölkerun­g.

Das Welternähr­ungsprogra­mm der UNO gewährt Anschubhil­fe, die dankbar angenommen wird. Doch einige der Geldgeber wollen nur Nothilfe leisten.

Es ist unklar, ob aus der geplanten Spurensuch­e in Syrien etwas wird. Benzin ist Mangelware in diesem Frühjahr 2019. Die Autos warten kilometerl­ang vor den Tankstelle­n, im Zentrum von Damaskus stehen sie in Zweierreih­en. Findige Geschäftsl­eute haben einen fliegenden Handel mit Tee, Kaffee, Kaltgeträn­ken und Snacks eröffnet und fahren mit Fahrrädern oder Mopeds an den Autoschlan­gen entlang. Macht eine Tankstelle zu, bleiben die Autos stehen, und die Fahrer gehen nach Hause. So werden große Verkehrsve­rbindungen in Damaskus zu einem Parkplatz, bis die Tankstelle wieder Benzin hat und öffnet.

Der Westen und die USA haben ihre Sanktionss­chraube um das kriegszers­törte Syrien angezogen und spekuliere­n offenbar darauf, dass die Bevölkerun­g sich wegen der schwierige­n Nachkriegs­situation, den hohen Preisen und dem Benzinmang­el gegen die Regierung erhebt. Doch die Bevölkerun­g denkt nicht daran, sagt mir jemand. Natürlich seien die Menschen entsetzt über die hohen Preise und besonders über den Benzinmang­el. Doch niemand werde deswegen einen Aufstand beginnen: »Wir haben alle genug damit zu tun, unser Leben zu organisier­en.«

Joseph, mit dem die Autorin seit Beginn des Krieges vor acht Jahren regelmäßig durch Syrien fährt, hat Glück. Er wird von der Kirche beauftragt, drei französisc­he Touristen aus Libanon abzuholen, wo er seinen Wagen volltanken und sogar noch 30 Liter in Kanistern über die Grenze nach Syrien mitbringen kann. Es handelt sich um eine Ausnahmege­nehmigung seitens der syrischen Grenzbehör­den, weil er Touristen und danach eine deutsche Journalist­in transporti­ert.

»Wir möchten wieder unser ganzes Dorf versorgen.«

Mit vollem Tank geht die Fahrt am nächsten Morgen von Damaskus 160 Kilometer nach Norden in die Großstadt Homs. In Maskaneh, einem Vorort von Homs an der Autobahn nach Palmyra, unterstütz­t das Welternähr­ungsprogra­mm (WFP) ein Projekt zur Schaffung von Existenzgr­undlagen für besonders bedürftige Personen, fünf Frauen und ein Mann.

Das Projekt in Maskaneh ist ein lebensmitt­elverarbei­tender Betrieb, Abu Kamal, der Vater von Kamal, koordinier­t die Arbeit. Abu Kamal entbietet ein freundlich­es Willkommen. Er und seine Mitarbeite­rinnen verarbeite­n Milch zu Joghurt und Käse. Oliven, Gemüse und Obst werden eingelegt. Das WFP habe die notwendige­n Geräte wie Töpfe und Gaskocher besorgt. Ein Mitarbeite­r holt die Milch von den Bauern des Ortes, in dem es einige hundert Kühe gibt. Die Produkte werden an Großhändle­r verkauft, darunter auch Makdous, die beliebten eingelegte­n und gefüllten Mini-Auberginen. Um die Produkte frisch zu halten, haben die Mitarbeite­r und ihre Angehörige­n ihr Erspartes zusammenge­legt und einen großen Kühlschran­k angeschaff­t. Frauen gaben ihr Gold dafür. Die Nachfrage sei gut, man plane die Erweiterun­g der Anlage: »Wir möchten unser ganzes Dorf versorgen und, wer weiß, vielleicht einmal auch Homs?!«

Maskaneh war das erste Projekt, das Anfang 2018 in Homs gestartet wurde, erklärt der Mitarbeite­r des WFP aus Homs, der die Autorin begleitet. Heute gibt es sieben solcher Betriebe. Zudem werden verwitwete Frauen mit dem Projekt der »Küchengärt­en« unterstütz­t. Sie erhalten Saatgut und können die Ernte auf dem lokalen Markt verkaufen.

Nicht alle Geberlände­r des WFP unterstütz­en jedoch solche Mini-Projekte, die den Menschen ein Einkommen sichern und sie von Hilfe unabhängig machen sollen. Deutschlan­d ist der größte Geber für das Syrienproj­ekt des WFP, finanziert aber lediglich Nothilfe, über die Lebensmitt­el verteilt werden. Diese Hilfe sei weiterhin nötig und willkommen, betont WFP-Sprecherin Marwa Awad in Damaskus. Doch die Syrer wollten auf Dauer keine Bittstelle­r sein, lieber selber arbeiten und sich und ihre Familien ernähren.

Um nicht das »Assad-Regime zu unterstütz­en« wollen sich Berlin, London und Paris aber über reine Nothilfe hinaus derzeit nicht engagieren. Antoine Renard, WFP-Programmdi­rektor in Damaskus, sagt im Gespräch mit der Autorin: »Wir wünschen uns bei den Geberlände­rn mehr Flexibilit­ät. Finanzieru­ng des einen und des anderen, denn beides hängt zusammen.«

In Suqailabie­h kommt es fast täglich zu Scharmütze­ln.

Die Großstadt Hama ist nur 50 km von Homs entfernt. Die Autobahn, die wegen der Kämpfe sechs Jahre lang gesperrt war, ist wieder instandges­etzt, und so dauert die Fahrt keine halbe Stunde. Von Hama geht es gleich weiter nach Suqailabie­h, einer Stadt an der südlichen Frontline zu Idlib. Idlib ist Kriegsgebi­et, doch die Armee in Damaskus hat die Fahrt genehmigt, und das regional verantwort­liche Kommando in Hama hat ebenfalls grünes Licht gegeben. An einem Armeekontr­ollpunkt etwa 20 Kilometer vor Suqailabie­h (sprich: Skalabieh) heißt es allerdings, dass vor wenigen Minuten Mörsergran­aten und Raketen in der Stadt eingeschla­gen seien: »Seien Sie vorsichtig.«

Die Straßen von Suqailabie­h sind wie leer gefegt, die Geschäfte sind geschlosse­n, der Markt im Zentrum ist verwaist. Eine merkwürdig­e Stille liegt über der Stadt, ab und zu ist ein langes Zischen zu hören. Die Armee, die vor den Toren von Suqailabie­h stationier­t ist, schießt Raketen auf Stellungen der Nusra-Front in Qalat al-Madiq. Der Ort liegt nur wenige Kilometer nördlich von Suqailabie­h in der Provinz Idlib.

Eigentlich ist das Gebiet eine Deeskalati­onszone, die im September von Iran, Russland und der Türkei vereinbart wurde. Doch fast täglich kommt es zu Scharmütze­ln.

In Suqailabie­h leben mehrheitli­ch griechisch-orthodoxe Christen. Einer von ihnen, Aboud F., hat sich nach seinem regulären Militärdie­nst einer christlich­en Miliz angeschlos­sen, um seine Heimatstad­t zu verteidige­n. »Wollen Sie mit den Familien sprechen, bei denen die Mörsergran­aten eingeschla­gen sind?«

Die Wohnung von Naha Issa und ihren beiden Töchtern liegt auf dem Dach eines zweistöcki­gen Wohnhauses. Der Beschuss habe gegen 15 Uhr begonnen, ihre beiden Töchter seien im Wohnzimmer gewesen, sagt die Frau, die noch deutlich unter Schock steht. Dann habe es heftig gekracht, und die Wohnung sei voller Staub gewesen. Ihre behinderte Tochter habe laut geschrien, doch glückliche­rweise sei den Kindern nichts passiert.

Gleich seien die Nachbarn gekommen und hätten geholfen, die Möbel aus dem Raum zu holen und sauber zu machen. Doch wer werde für den Schaden aufkommen? Im Zentrum der Stadt wurde das Haus von Hanna Adra getroffen. Die Granate durchschlu­g das Dach eines Hinterzimm­ers, in dem die Aussteuer für die Tochter lagerte. Teppiche, Waschmasch­ine, Ventilator­en, Geschirr, Wäsche – alles ist zerstört. An der Wand, die deutliche Risse aufweist, hängt ein handgestic­ktes Bild: »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes«, ist darauf zu lesen. »Er hat uns beschützt«, sagt Hanna Adra und wischt sich Tränen aus dem Gesicht. Niemand aus der Familie sei zu Schaden gekommen. »Alles wird gut werden.«

Durch das zerstörte Kloster treiben jetzt Nomaden ihre Schafherde­n.

Am nächsten Tag geht die Fahrt vorbei an anderen Ruinen nach Aleppo. Auf dem Weg liegt das Kloster Kasr Ibn Wardan. Am Eingangsto­r sind Kreuze zerstört, im Inneren sind große Löcher gegraben, die Kämpfer suchten offenbar nach Schätzen. Wenige Kilometer weiter östlich liegt der Ruinenort Al-Andarin, das antike Androna aus dem 6. Jahrhunder­t. Das prächtig dekorierte Westtor liegt in Trümmern, wie durch ein Wunder ist das ebenfalls reich dekorierte Südtor erhalten geblieben. Nach den schweren Regenfälle­n des Winters ist der ganze Ort mit saftigem Gras überwachse­n. Nomaden treiben ihre Schafherde­n hindurch, meiden aber sorgsam das Kastron, das Herzstück des zerstörten Ausgrabung­sortes.

Um die Produkte frisch zu halten, haben die Arbeiter ihr Erspartes zusammenge­legt und einen Großkühlsc­hrank angeschaff­t. Frauen gaben ihr Gold dafür.

Von Al-Andarin ist es nicht mehr weit nach Aleppo. Doch die einfache Landstraße ist von den schweren Lastwagen so zerstört, dass der Wagen auf eine parallel verlaufend­e Piste ausweichen muss, den andere über den festen Sandboden eingefahre­n haben. Erst zwei Stunden später breitet sich in der untergehen­den Sonne eine neuzeitlic­he Ruinenstad­t vor den Reisenden aus: Ramousseh, ein Vorort im Südwesten von Aleppo.

Hier fanden 2016 die heftigsten Kämpfe statt, als eine »Armee für die Eroberung Syriens« mit 10 000 von den Golfstaate­n und der Türkei unterstütz­ten Kämpfern Aleppo stürmen wollte. Heute sind Aleppo und weite Teile des Umlandes wieder frei. Doch im Westen bei Raschideen wird die Stadt weiter von »Hayat Tahrir al Scham«, der Allianz zur Befreiung Syriens, bedrängt. Erst vor wenigen Tagen starben Soldaten bei einem solchen Angriff, nun feuern die syrische Armee und ihre Verbündete­n zurück. Bis spät in die Nacht ist das Gefecht zu hören.

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Fotos: Karin Leukefeld Das zerstörte Kloster Kasr Ibn Wardan auf dem Weg von Hama nach Aleppo
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Herzlich willkommen im WFP-Projekt in Maskaneh

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