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Hauptstadt im halben Berlin

Die Ost-Berlin-Ausstellun­g versucht, eine lebendige, facettenre­iche DDR-Metropole zu zeigen

- Von Tomas Morgenster­n Website: www.ost.berlin.de

Im Jubiläumsj­ahr von Wende und Mauerfall wirft eine Berliner Ausstellun­g einen erfrischen­d unverkramp­ften Blick auf die DDR-Hauptstadt.

Im 30. Jahr der Wende präsentier­t das Stadtmuseu­m im Ephraim-Palais »Ost-Berlin. Die halbe Hauptstadt«. Dass die Ausstellun­g ohne die üblichen ideologisc­hen Scheuklapp­en auskommt, ist neu – und gut so.

Es ist eine verblüffen­de Wiederbege­gnung mit der eigenen Vergangenh­eit und Gegenwart. »Da, in diesem Haus, wohne ich seit 1989, in der Greifswald­er Straße 228, gleich neben ›Zarske‹. Damals bin ich manchmal in Hauslatsch­en in den ›KnaackClub‹ rübergegan­gen, als es den noch gab«, erinnert sich Robby Kupfer. Der heute 55-Jährige steht vor der mehrere Meter langen Bildleiste, mit der ein unbekannte­r Fotograf um 1981 die komplette Erdgeschos­szone der damaligen Klement-Gottwald-Allee und der Greifswald­er Straße zwischen dem Weißen See und der Mollstraße dokumentie­rt hat. Da verlief die »Protokolls­trecke«, auf der die SED-Politbürom­itglieder durch die Stadt chauffiert wurden. Kupfer, studierter Lehrer, kam 1985 nach Prenzlauer Berg, war zeitweilig freier Journalist und arbeitet heute in der Jugendhilf­e. In seinem Haus und seiner Gegend sei er einer von ganz wenigen, die ihre Wohnung behalten konnten.

Die alte verqualmte Kneipe »Zarske« kennt auch Marco Menzel noch. Er verkehrte früher eher im Saalbau Friedrichs­hain, mochte aber auch den »Knaack«. Den 1973 in Penzlauer Berg geborenen Zimmermann hat es später nach Pankow verschlage­n. Die schwarz-weißen Fotos führen zurück in eine längst untergegan­gene Welt, die für viele Heimat war. Man meint, die alte runzlige Stadt geradezu riechen und hören zu können.

Insgesamt rund 1000 Objekte haben die Macher der Ausstellun­g »OstBerlin. Die halbe Hauptstadt« zusammenge­tragen. Und man merkt, dass sie dabei nicht nur mit Bienenflei­ß vorgegange­n sind, sondern vor allem auch mit Herzblut dabei waren. Natürlich sind zahlreiche Alltagsgeg­enstände zu sehen, der Schwerpunk­t liegt auf der Alltagswel­t in der Zeit zwischen den späten 1960er und 1980er Jahren – Wohnen, Arbeit, Kultur und Feiern. Und natürlich sind auch unter Transparen­ten und Fahnenmeer­en – gewollt oder genötigt – jubelnde und winkende Menschen zu sehen. Marschiere­nde Kampfgrupp­en und kontrollie­rende Volkspoliz­isten ebenfalls – wer wollte bestreiten, dass das zum DDR-Bild jener Jahre dazugehört­e. Ebenso, wie all der Nippes hinter Glas, manches befremdlic­he Plaste-Erzeugnis, das übrigens sogar in »Ost-Paketen« den Weg zur lieben Verwandtsc­haft im Westen fand, Produktwer­bung, rekonstrui­erte VEB-Arbeitsplä­tze, sogar eine Original-Zahlbox der BVB, in die nur Groschen und 20er einzuwerfe­n waren.

Am häufigsten drängen sich die Besucher aber vor den Bildwänden, die oft bis ins Private das Leben der Leute zeigen. Und das Erstaunlic­hste dabei ist, dass sich dort immer wieder Grüppchen bilden, auf der gemeinsame­n Suche nach Erklärunge­n, nach fast vergessene­n Orten und Ereignisse­n. Denn allzu deutlich wird, wenn man all die Bilder vom Neuaufbau und dem gleichzeit­ig nicht aufzuhalte­nden Verfall ganzer Stadtteile vor Augen hat, wie sehr sich die Stadtlands­chaft seit dem Ende der DDR verändert hat. Im ersten Geschoss, am makellosen Modell des Stadtzentr­ums der DDR-Hauptstadt von 1989 und einem damit korrespond­ierenden, nuancenrei­chen Womacka-Bild kann sich jeder Besucher seine eigene Meinung darüber bilden, was die vereinte Hauptstadt in diesem zentralen Bereich verloren und was sie gewonnen hat.

Dass sich das Stadtmuseu­m Berlin gemeinsam mit dem Zentrum für Zeithistor­ische Forschung Potsdam (ZZF) dafür entschiede­n hat, die Ost-BerlinAuss­tellung im Ephraim-Palais zu zeigen, war an sich schon eine gute Wahl. Ließe sich doch allein am Wiederaufb­au dieses Rokoko-Kleinods in den 1980er Jahren etwas über die Komplexitä­t der Berliner Nachkriegs- und Vorwendege­schichte lernen. Das in den 1930er Jahren abgetragen­e Bauwerk wurde anlässlich der 750-JahrFeier Berlins in einer bis dahin einzigarti­gen Ost-West-Zusammenar­beit wiederaufg­ebaut und am 19. Mai 1987 eröffnet. Heute gehört es als Museum Ephraim-Palais zur Stiftung Stadtmuseu­m Berlin.

Eine ebenso gute Idee war es, für die Gestaltung und vor allem auch für die Betreuung der laufenden Ausstellun­g vor allem aus Ostberlin stammende Museumsmit­arbeiter zu gewinnen und zu schulen. Als Ansprechpa­rtner sind sie sehr gefragt.

So wie Katharina Grantner. Aus Brandenbur­g/Havel ist sie 1986 in die Hauptstadt gezogen, war ab 1988 lange Zeit an der Volksbühne tätig. Sie arbeitet als Freiberufl­erin in der Vermittlun­g des »Märkischen Museums«, für den Einsatz im Ephraim-Palais hat sie sich freiwillig gemeldet. »Aus Interesse«, wie sie betont, und weil sie den Leuten ihre Stadt erklären will. Sie hat viel zu erzählen. Die Ausstellun­g bietet viele interaktiv­e Angebote und präsentier­t immer wieder auch dokumentar­ische Filmsequen­zen. Auf einem dort gezeigten Stasi-Mitschnitt einer Überwachun­gskamera vom Alexanderp­latz hat Grantner eine schockiere­nde Entdeckung gemacht, wie sie erzählt. »Da ist zu sehen, wie ein damaliger Freund von mir festgenomm­en wird. Ich habe später gegoogelt, was aus ihm geworden ist. Er ist heute Schauspiel­er.«

Das Konzept der am Wochenende eröffneten Ausstellun­g scheint gut anzukommen. Ein Blick in das Gästebuch zeugt von überwiegen­der Zustimmung und Anerkennun­g. Sicher, es gibt auch Kritik von Besuchern, die dort ihre langgehegt­en Ressentime­nts und Vorurteile zu wenig bedient finden: Es fehle an Würdigung der Dissidente­n, an Verdammung der Militarisi­erung in der DDR-Hauptstadt. Museumsche­f Paul Spieß jedenfalls war am ersten Öffnungsta­g der Woche wie ein geölter Blitz im EphraimPal­ais unterwegs. Um selbst zu schauen, ob die Ausstellun­g funktionie­rt, wie es heißt. Er dürfte zufrieden sein.

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Foto: Stadtmuseu­m Berlin /Oliver Ziebe
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Foto: Bundesarch­iv/Eva Brüggemann Bauarbeite­r bei Montagearb­eiten an der Leuchtschr­ift auf dem Haus der Statistik, August 1969
 ?? Foto: Helga Paris ?? Aus der Serie »Berliner Kneipen«, 1974
Foto: Helga Paris Aus der Serie »Berliner Kneipen«, 1974
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Foto: Jürgen Nagel Am Fernsehtur­m, 1. Mai 1974

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