Hauptstadt im halben Berlin
Die Ost-Berlin-Ausstellung versucht, eine lebendige, facettenreiche DDR-Metropole zu zeigen
Im Jubiläumsjahr von Wende und Mauerfall wirft eine Berliner Ausstellung einen erfrischend unverkrampften Blick auf die DDR-Hauptstadt.
Im 30. Jahr der Wende präsentiert das Stadtmuseum im Ephraim-Palais »Ost-Berlin. Die halbe Hauptstadt«. Dass die Ausstellung ohne die üblichen ideologischen Scheuklappen auskommt, ist neu – und gut so.
Es ist eine verblüffende Wiederbegegnung mit der eigenen Vergangenheit und Gegenwart. »Da, in diesem Haus, wohne ich seit 1989, in der Greifswalder Straße 228, gleich neben ›Zarske‹. Damals bin ich manchmal in Hauslatschen in den ›KnaackClub‹ rübergegangen, als es den noch gab«, erinnert sich Robby Kupfer. Der heute 55-Jährige steht vor der mehrere Meter langen Bildleiste, mit der ein unbekannter Fotograf um 1981 die komplette Erdgeschosszone der damaligen Klement-Gottwald-Allee und der Greifswalder Straße zwischen dem Weißen See und der Mollstraße dokumentiert hat. Da verlief die »Protokollstrecke«, auf der die SED-Politbüromitglieder durch die Stadt chauffiert wurden. Kupfer, studierter Lehrer, kam 1985 nach Prenzlauer Berg, war zeitweilig freier Journalist und arbeitet heute in der Jugendhilfe. In seinem Haus und seiner Gegend sei er einer von ganz wenigen, die ihre Wohnung behalten konnten.
Die alte verqualmte Kneipe »Zarske« kennt auch Marco Menzel noch. Er verkehrte früher eher im Saalbau Friedrichshain, mochte aber auch den »Knaack«. Den 1973 in Penzlauer Berg geborenen Zimmermann hat es später nach Pankow verschlagen. Die schwarz-weißen Fotos führen zurück in eine längst untergegangene Welt, die für viele Heimat war. Man meint, die alte runzlige Stadt geradezu riechen und hören zu können.
Insgesamt rund 1000 Objekte haben die Macher der Ausstellung »OstBerlin. Die halbe Hauptstadt« zusammengetragen. Und man merkt, dass sie dabei nicht nur mit Bienenfleiß vorgegangen sind, sondern vor allem auch mit Herzblut dabei waren. Natürlich sind zahlreiche Alltagsgegenstände zu sehen, der Schwerpunkt liegt auf der Alltagswelt in der Zeit zwischen den späten 1960er und 1980er Jahren – Wohnen, Arbeit, Kultur und Feiern. Und natürlich sind auch unter Transparenten und Fahnenmeeren – gewollt oder genötigt – jubelnde und winkende Menschen zu sehen. Marschierende Kampfgruppen und kontrollierende Volkspolizisten ebenfalls – wer wollte bestreiten, dass das zum DDR-Bild jener Jahre dazugehörte. Ebenso, wie all der Nippes hinter Glas, manches befremdliche Plaste-Erzeugnis, das übrigens sogar in »Ost-Paketen« den Weg zur lieben Verwandtschaft im Westen fand, Produktwerbung, rekonstruierte VEB-Arbeitsplätze, sogar eine Original-Zahlbox der BVB, in die nur Groschen und 20er einzuwerfen waren.
Am häufigsten drängen sich die Besucher aber vor den Bildwänden, die oft bis ins Private das Leben der Leute zeigen. Und das Erstaunlichste dabei ist, dass sich dort immer wieder Grüppchen bilden, auf der gemeinsamen Suche nach Erklärungen, nach fast vergessenen Orten und Ereignissen. Denn allzu deutlich wird, wenn man all die Bilder vom Neuaufbau und dem gleichzeitig nicht aufzuhaltenden Verfall ganzer Stadtteile vor Augen hat, wie sehr sich die Stadtlandschaft seit dem Ende der DDR verändert hat. Im ersten Geschoss, am makellosen Modell des Stadtzentrums der DDR-Hauptstadt von 1989 und einem damit korrespondierenden, nuancenreichen Womacka-Bild kann sich jeder Besucher seine eigene Meinung darüber bilden, was die vereinte Hauptstadt in diesem zentralen Bereich verloren und was sie gewonnen hat.
Dass sich das Stadtmuseum Berlin gemeinsam mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) dafür entschieden hat, die Ost-BerlinAusstellung im Ephraim-Palais zu zeigen, war an sich schon eine gute Wahl. Ließe sich doch allein am Wiederaufbau dieses Rokoko-Kleinods in den 1980er Jahren etwas über die Komplexität der Berliner Nachkriegs- und Vorwendegeschichte lernen. Das in den 1930er Jahren abgetragene Bauwerk wurde anlässlich der 750-JahrFeier Berlins in einer bis dahin einzigartigen Ost-West-Zusammenarbeit wiederaufgebaut und am 19. Mai 1987 eröffnet. Heute gehört es als Museum Ephraim-Palais zur Stiftung Stadtmuseum Berlin.
Eine ebenso gute Idee war es, für die Gestaltung und vor allem auch für die Betreuung der laufenden Ausstellung vor allem aus Ostberlin stammende Museumsmitarbeiter zu gewinnen und zu schulen. Als Ansprechpartner sind sie sehr gefragt.
So wie Katharina Grantner. Aus Brandenburg/Havel ist sie 1986 in die Hauptstadt gezogen, war ab 1988 lange Zeit an der Volksbühne tätig. Sie arbeitet als Freiberuflerin in der Vermittlung des »Märkischen Museums«, für den Einsatz im Ephraim-Palais hat sie sich freiwillig gemeldet. »Aus Interesse«, wie sie betont, und weil sie den Leuten ihre Stadt erklären will. Sie hat viel zu erzählen. Die Ausstellung bietet viele interaktive Angebote und präsentiert immer wieder auch dokumentarische Filmsequenzen. Auf einem dort gezeigten Stasi-Mitschnitt einer Überwachungskamera vom Alexanderplatz hat Grantner eine schockierende Entdeckung gemacht, wie sie erzählt. »Da ist zu sehen, wie ein damaliger Freund von mir festgenommen wird. Ich habe später gegoogelt, was aus ihm geworden ist. Er ist heute Schauspieler.«
Das Konzept der am Wochenende eröffneten Ausstellung scheint gut anzukommen. Ein Blick in das Gästebuch zeugt von überwiegender Zustimmung und Anerkennung. Sicher, es gibt auch Kritik von Besuchern, die dort ihre langgehegten Ressentiments und Vorurteile zu wenig bedient finden: Es fehle an Würdigung der Dissidenten, an Verdammung der Militarisierung in der DDR-Hauptstadt. Museumschef Paul Spieß jedenfalls war am ersten Öffnungstag der Woche wie ein geölter Blitz im EphraimPalais unterwegs. Um selbst zu schauen, ob die Ausstellung funktioniert, wie es heißt. Er dürfte zufrieden sein.