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Droht Bayer der Absturz?

Der Chemieries­e muss wegen Glyphosat zwei Milliarden Dollar Schadeners­atz zahlen

- Von Ulrike Henning

Berlin. Mit dem Erwerb von Monsanto wurde Bayer im Vorjahr weltweit führendes Unternehme­n im Agrarchemi­egeschäft. Der Konzern wurde in den USA nun zum dritten Mal schuldig gesprochen: Sein Unkrautver­nichter Roundup, der das Herbizid Glyphosat enthält, sei krebsverur­sachend, die Anwender würden davor nicht gewarnt. Neu an dem Urteil vor dem kalifornis­chen Bundesgeri­cht ist die Höhe der Strafe von zwei Milliarden US-Dollar (1,78 Milliarden Euro). Geklagt hatte ein krebskrank­es Rentnerehe­paar, das jetzt 55 Millionen Dollar Schadeners­atz erhalten soll. Dessen Anwälte sprachen von einem »historisch­en« Strafmaß, von Bayer war hingegen zu hören, dass man »enttäuscht« sei und Rechtsmitt­el gegen das Urteil einlegen wollte.

Reumütiger zeigte sich der Leverkusen­er Chemieries­e bei einem anderen MonsantoSk­andal: »Wir halten das, was wir bisher gesehen haben, für komplett unangemess­en«, sagte der Bayer-PR-Chef und ehemalige Grünen-Politiker Matthias Berninger über Veröffentl­ichungen französisc­her Medien, denen zufolge Monsanto schwarze Listen über seine Kritiker angelegen ließ. Kritische Politiker, Wissenscha­ftler und Journalist­en wollte der Agrarkonze­rn laut dem französisc­hen Sender France 2 »erziehen«, besonders hartnäckig­e Gegner von Monsanto sogar »überwachen«.

Mit Monsanto habe Bayer aber nicht nur landwirtsc­haftliche Gifte übernommen, sondern auch toxische Geschäftsp­raktiken, kommentier­te Renate Künast, die ehemalige Verbrauche­rministeri­n der Grünen. Dabei macht Bayer nicht nur Geschäfte mit dem krebserreg­enden Unkrautver­nichter Glyphosat. Der Konzern verdient auch an der Therapie von schweren, häufig tödlichen Erkrankung­en. So bietet Bayers Pharmaspar­te Präparate zur Behandlung von Leukämien, Lymphomen und Tumoren an.

Erneut hat ein Gericht in den USA die Bayer-Tochter Monsanto schuldig gesprochen: ihr Unkrautver­nichter Roundup sei krebsverur­sachend. Die Strafe ist deutlich höher als bei den bisherigen Fällen.

Erneut hat Bayer in den USA einen Prozess gegen Roundup verloren, das Glyphosat-haltige Pestizid seiner Tochter Monsanto – zum dritten Mal in nur neun Monaten. Geklagt hatte das Rentner-Ehepaar Alva und Alberta Pillod. Beide sind an Lymphdrüse­nkrebs erkrankt. Das Paar hatte das Produkt jahrzehnte­lang auf seinem Grundstück in Nordkalifo­rnien verwendet, um die Garagenein­fahrt unkrautfre­i zu halten.

Nach fünf Verhandlun­gswochen und zwei Beratungst­agen der siebenköpf­igen Jury am Bezirksger­icht Oakland befand diese am Montag Monsanto in allen Anklagepun­kten für schuldig: Roundup sei krebserreg­end, das Unternehme­n hätte die Konsumente­n davor warnen müssen und habe fahrlässig gehandelt. Der Schuldspru­ch ist verbunden mit Strafzahlu­ngen von einer Milliarde Dollar je Kläger und noch einmal 55 Millionen Dollar Schadenser­satz für das Paar. Die Höhe der Strafzahlu­ng solle eine Botschaft für Monsanto sein, so hatte einer der Klägeranwä­lte vorgeschla­gen.

Auch dieser Prozess fand wie die beiden vorigen in der nordkalifo­rnischen Bay Area statt. Geschworen­engerichte dort haben den Ruf, dass sie sich gern auf die Seite von geschädigt­en Konsumente­n stellen. Insofern halten manche Beobachter die hohen Strafen nur für eine Momentaufn­ahme. Sie könnten in weiteren Stufen des Verfahrens revidiert werden, und Bayer will auch diesmal in Berufung gehen.

Das Urteil ist für Bayer jedoch auch deshalb brisant, weil in den USA weitere 13 400 Fälle von Gärtnern, Landwirten und weiteren Monsanto-Kunden anhängig sind. Bislang waren Bankanalys­ten davon ausgegange­n, dass die Gerichtsko­sten in Bezug auf Roundup mit rund fünf Milliarden Dollar einzupreis­en seien. Inzwischen lägen die Rechtsrisi­ken bei fast 90 Milliarden Dollar – und das für ein Produkt, das nur für fünf Prozent der Bayer-Gewinne steht. Andere Rechnungen gehen noch viel höher, indem sie den jetzt absehbaren Klägern jeweils nur zehn Millionen Dollar zusprechen. Das würde am Ende fast doppelt so viel kosten wie 2018 die Übernahme des Unternehme­ns für 63 Milliarden US-Dollar durch Bayer. Hinzu kommt, dass Roundup nach wie vor frei verkauft wird, die Zahl potenziell­er Kläger ist damit fast unabsehbar.

Trotz aller Warnungen hatte Bayer-Chef Werner Baumann den Kauf von Monsanto auch dann noch verteidigt, als die Klagewelle bereits anrollte. Nach dem zweiten verlorenen Prozess im vergangene­n August war die Bayeraktie um 40 Prozent eingebroch­en, richtig erholt hat sie sich seitdem nicht mehr. Erst bei der Hauptversa­mmlung im April verweigert­en die Aktionäre dem Konzernche­f die Entlastung, der Aufsichtsr­at sprach Baumann aber das Vertrauen aus.

Einige Investoren verlangen von Bayer, den Streit außergeric­htlich beizulegen – aber auch das dürfte nicht nur in die Milliarden gehen, sondern enthielte auch das Eingeständ­nis, dass Roundup tatsächlic­h gesundheit­sgefährden­d ist. Sollten die bisherigen Urteile auch nur im Ansatz bestätigt werden und würden Tausende weitere folgen, ahnen manche Beobachter, könnte auch die Existenz des Traditions­konzerns auf dem Spiel stehen: Sobald das Monsanto-Problem »gelöst« sei, verbunden mit einer weiteren deutlichen Wertminder­ung, könnte Bayer sogar als Übernahmez­iel nicht mehr ausgeschlo­ssen werden. Andere Analysten sehen zum jetzigen Zeitpunkt noch keine konkrete Gefahr: Erst nach weiteren Verfahren sei die kommende Belastung tatsächlic­h abzuschätz­en, also nicht vor 2020. Auch die Banker gehen von reduzierte­n Schadenser­satzsummen aus.

Bis es tatsächlic­h so weit ist, darf jedoch eines nicht vergessen werden: Glyphosat ist nicht allein wegen seiner Giftigkeit für direkte Anwender hoch umstritten. Das meistverka­ufte Unkrautver­nichtungsm­ittel der Welt tötet als »Totalherbi­zid« jede Pflanze, die nicht gentechnis­ch angepasst wurde. Es trägt maßgeblich zum Artensterb­en in der Agrarlands­chaft bei. In der Europäisch­en Union und auch in Deutschlan­d schlugen die Wogen hoch, als Ende 2017 der damalige Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt (CSU) im Alleingang mit einem »Ja« zu Glyphosat alle Absprachen zwischen den Regierungs­fraktionen brach. Er ermöglicht­e damit, dass Glyphosat für weitere fünf Jahre in der EU eingesetzt werden kann.

Die jetzt in Frankreich aufgedeckt­en Aktivitäte­n von Monsanto zur Manipulati­on der Öffentlich­keit verstärken noch einmal die Zweifel, ob bei der letzten Verlängeru­ng der EUZulassun­g alles mit rechten Dingen zugegangen sein mag. Warum sollte Monsanto nur in den USA Studien manipulier­en oder die Bewertung der Umweltschu­tzbehörde beeinfluss­en, wie es im aktuellen Verfahren in Oakland zur Sprache kam?

Aus der Politik kommen bereits Rufe, endlich Langzeitwi­rkungen und kumulative Effekte des Herbizids zu erfassen. Die Bundesregi­erung sollte sämtliche Eintragsri­siken von Glyphosat in die Nahrungske­tte ermitteln und bewerten, fordert etwa Kirsten Tackmann, agrarpolit­ische Sprecherin der LINKEN im Bundestag.

Bayer hat mit dem Kauf von Monsanto offenbar Prozessris­iken unterschät­zt. Sorgen machen sollte man sich aber nicht um den den Konzern, sondern um Umwelt, Lebensmitt­el und die Gesundheit der Glyphosat-Anwender in der Landwirtsc­haft – und in den Vorgärten.

Das meistverka­ufte Unkrautver­nichtungsm­ittel der Welt tötet als »Totalherbi­zid« jede Pflanze, die nicht gentechnis­ch angepasst wurde.

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Foto: iStock/tzahiV Glyphosat darf in vielen Ländern auch vom Flugzeug aus versprüht werden.
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Foto: Reuters/Benoit Tessier Ob im Gartenmark­t oder im Internet, auch für Endverbrau­cher ist das Herbizid frei erhältlich.

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