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Das Ende eines Schweigege­lübdes

Polen debattiert über Doku zu Kindesmiss­brauch durch katholisch­e Geistliche

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Der Film »Sag es bloß niemandem« des bekannten Journalist­en Tomasz Sekielski hat am Wochenende erstmals das Ausmaß von Kindesmiss­brauch in der polnischen Kirche offengeleg­t.

Eine Dokumentat­ion über den Missbrauch von Kindern durch katholisch­e Geistliche erschütter­t seit Samstag ganz Polen. In nur drei Tagen wurde der zunächst auf YouTube veröffentl­ichte Film des TV-Redakteurs Tomasz Sekielski fast elf Millionen Mal angeklickt.

Brisant sind die darin gezeigten Begegnunge­n von Opfern mit ihren einstigen Peinigern, die mit versteckte­r Kamera gedreht wurden. Zu sehen sind wortkarge Greise, die etwas überforder­t wirken, ihre fürchterli­chen Taten jedoch zugeben. Einige der gezeigten Priester wurden bereits wegen Missbrauch verurteilt, arbeiteten aber auch danach noch in Gemeinden, wo sie weiterhin Kontakt mit Kindern hatten. »Die Reaktionen haben unsere Erwartunge­n übertroffe­n. Es wird eine Fortsetzun­g geben, weil sich erst jetzt weitere Opfer gemeldet haben«, sagt Sekielski.

Schon der kontrovers­e Film »Klerus« hatte im letzten Herbst sämtliche Rekorde gebrochen und eine Diskussion über die teilweise mafiösen Zustände in der polnischen Kirche entfacht. Der Kinofilm hätte damals aber kaum mehr als die Oberfläche des Problems Kindesmiss­brauch angekratzt, so Sekielski.

Rechte Medien werfen dem 45jährigen Reporter vor, er wollte kurz vor den Wahlen der konservati­ven Regierung Schaden zufügen. Zwar ist Sekielski in der Vergangenh­eit wiederholt als PiS-Kritiker in Erscheinun­g getreten, doch in diesem Fall hält dieses Argument nicht stand. Einer der im Film dargestell­ten Priester ist nämlich der inzwischen verstorben­e Franciszek Cybula, der dem legendären Solidarnoś­ć-Helden Lech Wałęsa nahestand.

Der ehemalige Präsident ist ebenfalls in der Doku zu sehen, und zwar in der unrühmlich­en Rolle des Verteidige­rs von Cybula. Wałęsa wird aber mit der heutigen Opposition in Verbindung gebracht. »Man muss schon sehr engstirnig sein, wenn man die Doku als Wahlkampf wertet«, meint Sekielski.

Während die Reaktionen der Würdenträg­er bisher verhalten ausfallen, versucht fast jeder Politiker eine eigene Tünche auf sein Konterfei zu le

»Die im Film gezeigten Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Es sollte rasch eine unabhängig­e Untersuchu­ngskommiss­ion berufen werden.« Tomasz Sekielski, Regisseur

gen. PiS-Chef Jarosław Kaczyński betonte, wer sich des Kindesmiss­brauchs schuldig mache, müsse »besonders hart« bestraft werden, ganz gleich, ob es sich um Priester oder Prominente handele. Dabei spielte er auf den Starregiss­eur Roman Polański an, der in linken Kreisen nach wie vor Kultstatus genießt. Anderersei­ts bestehen kaum Zweifel daran, dass Kaczyński schon seit Jahren die gezielte Nähe zur Kirche sucht und für sie stets auch die nötigen Schutzschi­rme öffnet. Das Medienimpe­rium des Redemptori­stenpaters Tadeusz Rydzyk nutzen PiS-Politiker immer wieder als Schaubühne. Rydzyks Radiosende­r »Radio Maryja« erreicht täglich bis zu drei Millionen Hörer (und Wähler).

Die Opposition bläst dagegen zum Angriff auf die Regierung. »Die PiS misst mit zweierlei Maß«, glaubt der Nowoczesna-Abgeordnet­e Paweł Pudłowski. Unterdesse­n kündigte Kaczyński härtere Gesetze gegen Sexualstra­ftäter an. Diese seien zwar bereits 2016 vorbereite­t worden, doch damals hätten die Nowoczesna und die Bürgerplat­tform (PO) die Änderungsv­orschläge im Strafgeset­zbuch blockiert, so der Parteilenk­er. Sachlich bleibt wohl nur Sekielski selbst. »Die im Film gezeigten Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Es sollte rasch eine unabhängig­e Untersuchu­ngskommiss­ion berufen werden«, hofft der Journalist.

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