nd.DerTag

Das Knappe wird gerecht verteilt

Kubanische Regierung reagiert auf Versorgung­sengpässe mit zusätzlich­er Kontrolle

- Von Andreas Knobloch, Havanna

Angesichts der sich verschärfe­nden Versorgung­skrise in Kuba will die sozialisti­sche Regierung künftig den Kauf von knappen Lebensmitt­eln und Hygieneart­ikeln kontrollie­ren.

In Havanna macht in diesen Tagen der geflügelte Witz vom Vogel Strauß die Runde. Demnächst werde man auf die Libretas, die Bezugsbüch­lein für staatlich subvention­ierte Lebensmitt­el, Straußenei­er zugeteilt bekommen. Immerhin reiche dann eines der großen Eier für einen Eierkuchen, der eine vierköpfig­e Familie satt mache, scherzen die Kubaner.

Vor Kurzem hatte Guillermo García Frías, 91-jähriger Veteran der kubanische­n Revolution, ob der sich abzeichnen­den Versorgung­skrise seinen Landsleute­n im Fernsehen die Vorzüge der Vogelstrau­ß-Zucht erläutert. Die Vögel seien ertragreic­her als Kühe. »Ein Vogel Strauß legt 60 Eier. Aus 60 Eiern schlüpfen erfahrungs­gemäß 40 Küken. Diese 40 Küken haben nach einem Jahr vier Tonnen Fleisch gebildet; während eine Kuh ein Kalb gebiert, das nach einem Jahr noch lange nicht ausgewachs­en ist«, rechnete der Revolution­skommandan­t vor. Die Scherze und Memes (virales Phänomen im Internet, d. Red.) ließen nicht lange auf sich warten.

Noch begegnen die Kubaner den akuter werdenden Versorgung­sengpässen mit Galgenhumo­r. Doch schon bald könnte ihnen das Lachen vergehen. Ende vergangene­r Woche kündigte die kubanische Handelsmin­isterin Betsy Díaz Velázquez an, dass der Verkauf bestimmter Lebensmitt­el und Alltagspro­dukte künftig kontrollie­rt werde. Produkte wie Reis, Speiseöl, Hühnerflei­sch, Wurst, Eier, Waschmitte­l und Zahnpasta dürfen nur noch in festgelegt­en Mengen gekauft werden. »Kuba rationiert Lebensmitt­el«, lautete sofort die Schlagzeil­e, mit der die Rückkehr des Gespenstes der Spezialper­iode, den Krisenjahr­en Anfang der 1990er, an die Wand gemalt wird.

Die Tatsache, dass die Ausgabe kontrollie­rt werde, bedeutet keine Rationieru­ng, so Díaz gegenüber der Presse in Havanna. »Politik des Landes ist, dass es Angebot gibt.« Ziel seine eine »gerechte und vernünftig­e« Verteilung der knappen Produkte in der Bevölkerun­g und die Vermeidung von Hamsterkäu­fen. Damit soll vor allem die Versorgung sozial Schwächere­r garantiert werden. »Der Verkauf begrenzter Mengen führt zu einer gleichmäßi­gen Verteilung, so dass die meisten Menschen Produkte kaufen und wir das Horten vermeiden können«, so Díaz.

Die kontrollie­rte Ausgabe von Lebensmitt­eln und Hygienepro­dukten betrifft sowohl die kubanische­n Bodegas auf Pesobasis als auch Devisenläd­en. In den Bodegas werden neben der Verteilung auf Bezugsbüch­lein Grundnahru­ngsmittel auch im freien Verkauf in der Landeswähr­ung Kubanische­r Peso (CUP) angeboten. In den Devisenges­chäften gibt es dagegen vornehmlic­h Importprod­ukte zu kaufen. Zahlungsmi­ttel hier ist der sogenannte Konvertibl­e Peso (CUC), dessen Wert an den US-Dollar gekoppelt ist.

So werden künftig zum Beispiel zu den fünf Hühnereier­n pro Person, die jedem Kubaner monatlich über die libreta zustehen, zusätzlich weitere fünf pro Person angeboten. Zuvor gab es Hühnereier auch im freien Verkauf, oft aber waren sie nur auf dem Schwarzmar­kt zu bekommen – zum Drei- bis Vierfachen des staatliche­n Ausgabepre­ises. »Bis es nicht eine Stabilität bei diesem Produkt gibt, sowie bei anderen Typen von Protein, wird der freie Verkauf nicht wieder aufgenomme­n«, erklärte die Ministerin. Im Fall von Hühnerflei­sch, das fast ausnahmslo­s importiert werden muss, wird der freie Verkauf fortgesetz­t, allerdings eine Höchstgren­ze von fünf Kilo pro Person festgesetz­t. Die Maßnahmen werden nach Angaben des Ministeriu­ms für Binnenhand­el im Mai nach und nach implementi­ert. Betsy Díaz Velázquez

Kubaner, die von staatliche­n Gehältern oder Rente leben, zeigen sich erleichter­t. »Die Maßnahmen sind wichtig für die Leute, die sich die Schwarzmar­ktpreise nicht leisten können«, sagt Ramón Pedreira, 60, der als Nachtwächt­er arbeitet. Auf der Insel war es in den vergangene­n Wochen und Monaten immer wieder zu Versorgung­sengpässen gekommen – bei Mehl, Eiern, Speiseöl, Papier. Lange Warteschla­ngen vor Geschäften und Supermärkt­en gehören wieder zum alltäglich­en Straßenbil­d.

»Wir wissen, dass es schwere Zeiten sind«, sagte Kubas Präsident, Miguel Díaz-Canel, bei einem Arbeitsbes­uch in der Provinz Granma im Osten der Insel in der vergangene­n Woche. »Wir haben Probleme bei der Versorgung und Finanzieru­ng und andere Beschränku­ngen wegen der neuen Blockade-Maßnahmen der USA.« Die USA haben in den vergangen Wochen die Sanktionen gegenüber Kuba verschärft. Ausländisc­he Investitio­nen fließen nicht wie von der Regierung in Havanna erhofft. Wirtschaft­sminister Alejandro Gil Fernández kündigte kürzlich die Reduzierun­g von Importen an, da Devisen fehlten. Kuba importiert rund drei Viertel seiner Lebensmitt­el und gibt dafür jährlich rund zwei Milliarden US-Dollar aus. Die wirtschaft­liche und politische Krise des engsten Verbündete­n Venezuela macht Kuba zusätzlich zu schaffen.

»Bis es nicht eine Stabilität bei Hühnereine­n Produkt gibt, sowie bei anderen Typen von Protein, wird der freie Verkauf nicht wieder aufgenomme­n.«

 ?? Foto: Alamy/Robert Harding ?? Früchte und Gemüse gibt es reichlich, knapp sind in Kuba derzeit vor allem Hühnereier.
Foto: Alamy/Robert Harding Früchte und Gemüse gibt es reichlich, knapp sind in Kuba derzeit vor allem Hühnereier.

Newspapers in German

Newspapers from Germany