nd.DerTag

Ab der ersten Stunde

Ines Wallrodt über das Kampffeld Arbeitszei­t

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Man wundert sich, welchen Aufschrei die banale Feststellu­ng provoziere­n kann, dass sich Arbeitszei­ten nur kontrollie­ren lassen, wenn sie erfasst werden. Das liegt doch auf der Hand, sagt der gesunde Menschenve­rstand. Doch die Arbeitgebe­rseite jammert: Bürokratie! Stechuhr! Flexibilit­ätskiller! Offenkundi­g ist die Klarstellu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fs notwendig. Luxemburg stärkt mit seiner Pflicht zur vollständi­gen Erfassung der Arbeitszei­t die Beschäftig­ten in der europaweit laufenden Auseinande­rsetzung. Der Aufschrei der deutschen Arbeitgebe­r ist scheinheil­ig: Sie fahren seit Langem eine Kampagne gegen das geltende Arbeitszei­tgesetz und versuchen, hart erkämpfte Beschränku­ngen unternehme­rischer Macht aufzuweich­en. Bei der Union stoßen sie damit auf offene Ohren. Wirtschaft­sminister Altmaier erwägt, die Dokumentat­ionspflich­ten beim Mindestloh­n zurückzufa­hren – kontrollie­ren ließe er sich dann nicht mehr. Die Arbeitgebe­r wollen zudem aus der Haftung entlassen werden, wenn sie die Aufzeichnu­ngspflicht an die Beschäftig­ten delegieren. Das würde das Risiko von »Arbeit ohne Ende«, das gerade mit Vertrauens­arbeitszei­ten und mobiler Arbeit verbunden ist, auf die Arbeitnehm­er abwälzen. Zurück zur Stechuhr muss man nicht, will man Schutzrech­ten in der flexibilis­ierten Arbeitswel­t zur Geltung verhelfen. Nicht EuGH oder Gewerkscha­ften wollen die Zeit zurückdreh­en – es sind die Arbeitgebe­r selbst.

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