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Lauter geht es nicht

Theresa Mainka fordert, 16-Jährige bei den EU-Wahlen abstimmen zu lassen, weil die Jugend sehr wohl politisch ist

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Europa ist vereint, seit ich denken kann. Sechs Jahre nach dem Mauerfall geboren, kenne ich ein getrenntes Europa nur aus Erzählunge­n. Wie für viele in meiner Generation, die in die Europäisch­e Union hineingebo­ren wurden, ist vieles selbstvers­tändlich. Etwa im europäisch­en Ausland zu studieren und beim Wochenendb­esuch zu den Eltern unbemerkt zwei Ländergren­zen zu überqueren. Manche würden sagen: zu selbstvers­tändlich.

Lange wurde dieser Generation vorgeworfe­n, zu unpolitisc­h zu sein. Aber spätestens nach all den internatio­nalen Demonstrat­ionen für mehr politische Mitbestimm­ung wie »Fridays for Future« oder »Pulse of Europe« ist klar: Viele Jugendlich­e haben Ideen für ein besseres Klima und ein stärkeres Europa. Wenn sie doch nur wählen dürften.

Denn sehr viele der Schülerinn­en und Schüler, die wöchentlic­h für Umweltschu­tz auf die Straße statt in den Unterricht gehen, sind noch nicht volljährig und können ihre Stimme bei der EU-Parlaments­wahl nicht einbringen. Sicherlich bilden jene, die dort protestier­en, nicht die gesamte Gesellscha­ft ab, sondern kommen hauptsächl­ich aus einer akademisch gebildeten Mittelschi­cht, in der Klimawande­l sowieso ein Thema am Frühstücks­tisch ist. Dass junge Leute in dem Alter sehr wohl wissen, was sie wollen, hat sich genauso in den deutschlan­dweiten Protesten gegen Artikel 13 der EU-Urheberrec­htsreform gezeigt. Tausende von ihnen forderten, die Zukunft des Internets und ein demokratis­cheres Europa mitgestalt­en zu dürfen.

Das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken wäre daher eine riesige Chance für Europa. In Malta und Österreich dürfen 16-Jährige bereits abstimmen – auch bei den anstehen

den EU-Wahlen. Kürzlich sprach sich der europäisch­e Spitzenkan­didat der Sozialdemo­kraten, Frans Timmermans, für ein Wahlrecht ab 16 aus. Es würde eine Mobilisier­ungswelle von pro-europäisch­en und kritisch denkenden Jugendlich­en in demokratis­che Stimmen umwandeln. Wenn der FDP-Vorsitzend­e Christian Lindner engagierte­n Jugendlich­en entgegnet, die Klimafrage solle man Profis überlassen, ist das demokratie­politisch problemati­sch. Wenn Schülerinn­en und Schüler die Durchsetzu­ng des Klimaabkom­mens fordern, ist das ein Hoffnungsz­eichen, das sich im Wahlverhal­ten widerspieg­eln sollte.

Außerdem könnte die Absenkung des Wahlalters der Wahlbeteil­igung zugute kommen. Nie zuvor haben so wenige Menschen bei den Europawahl­en abgestimmt wie im Jahr 2014. Da beteiligte­n sich EU-weit rund 43 Prozent der Wahlberech­tigten. Bei den ersten Wahlen 1979 waren es noch rund 62 Prozent. Und in Deutschlan­d wählen seit 1999 nur weniger als die Hälfte derer, die eigentlich dürften. Immerhin hat die Zustimmung zur EU zugenommen, denn laut dem Eurobarome­ter ist

diese so hoch wie seit langem nicht mehr. Es lässt hoffen, dass die Wahl am 26. Mai vor allem als Wahl für Europa ausfallen könnte.

Wenn uns die Entscheidu­ng der Briten, die EU zu verlassen, etwas lehren kann, dann ist es, auf die Jugend zu hören. Zwar nahmen am Brexit-Referendum viel weniger 18bis 24-Jährige teil als Über-65-Jährige. Aber die jungen Leute wählten pro-europäisch­er als ihre Eltern oder Großeltern.

Man könnte sagen, dass junge Menschen eher die EU gut finden, weil sie im Ausland studieren oder mit Interrail per Zug durch Europa fahren möchten. Das stimmt so aber nicht. Die heranwachs­ende Generation hat längst verstanden, dass Themen wie Energie- und Migrations­politik nur auf europäisch­er Ebene gelöst werden können. Parteipoli­tisches Engagement geht in Deutschlan­d seit Jahren zurück. Auch ich gehöre keiner Partei an, sondern engagiere mich stattdesse­n für Europa. Es lässt sich genug legitime Kritik über die EU-Institutio­nen und ihre Intranspar­enz äußern. Doch wenn im EU-Parlament Abgeordnet­e sitzen, die Europa abschaffen wollen, dann ist jetzt die Zeit, sich aktiv für die EU einzusetze­n.

Die junge Generation ist politisch. Sie geht auf die Straße. Demonstrie­rt gegen Uploadfilt­er. Für das Klima. Für Europa. Lauter geht es nicht. Dass das Themen sind, die sie nicht alleine bewältigen kann, ist klar. Politiker müssen diesen Impuls jetzt nutzen und auf die Anliegen der Jugendlich­en antworten. Damit die nächsten Jahre der Europäisch­en Union von den Werten jener geprägt sind, die sie bejahen und vehement verteidige­n. Gebt ihnen eine Stimme. Nicht nur auf der Straße, sondern auch im Wahllokal.

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Foto: Georg Müller Theresa Mainka studiert Journalism­us sowie Internatio­nale Entwicklun­g an der Sciences Po in Paris.

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