nd.DerTag

Graswurzel­unternehme­r wollen wachsen

Berliner und Brandenbur­ger Betriebe wollen transparen­t und unter ethischen Gesichtspu­nkten wirtschaft­en

- Von Claudia Krieg

Immer mehr Unternehme­n lassen sich hinsichtli­ch ihrer sozialen, ökologisch­en und demokratis­chen Ausrichtun­g zertifizie­ren. Die Idee heißt Gemeinwohl-Ökonomie und ist auch in Berlin angekommen.

»Greenwashi­ng machen wir nicht!« Orsine Mieland ist Tischlerme­isterin in Schöneberg. Mit ihrer Aussage nimmt die Geschäftsf­ührerin der »abitare«-Tischlerei mit zehn Mitarbeite­r*innen und drei Auszubilde­nden bereits eine Kritik vorweg, der sich das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie mitunter ausgesetzt sieht: Sie befördere weder das Ende der wachstumss­trebenden Marktwirts­chaft noch ein gutes Leben für alle. Stattdesse­n biete sie Unternehme­n eine Möglichkei­t, sich als ethisch korrekt und attraktive­r für Kund*innen und Geschäftsp­artner*innen darzustell­en. Dass es um Attraktivi­tät im Wettbewerb geht, bestreitet bei der ersten Pressekonf­erenz einiger Firmen am Dienstagmo­rgen in den Räumen der Fördergeme­inschaft Ökologisch­er Landbau Berlin-Brandenbur­g niemand. Man geht aber, wie auch der österreich­ische Gemeinwohl­Ökonomie-Gründer Christian Felber, davon aus, dass die Wirkung in den Unternehme­n selbst und in die Gesellscha­ft hinein langfristi­g zu einer alternativ­en Wirtschaft­sform beiträgt – weg von einer »rein profitorie­ntierten«.

Leicht ist es dennoch nicht zu erklären, wie man Werte wie Menschenwü­rde, Solidaritä­t, ökologisch­e Nachhaltig­keit oder Mitbestimm­ung und Transparen­z in so unterschie­dlichen Unternehme­n wie beispielsw­eise der Sparda-Bank in München und einem kleinen Berliner Bürotechni­k-Verkauf in Marzahn-Hellersdor­f mit den gleichen Kriterien erfassen will. Der Bürotechni­k-Verkauf Corona, den Geschäftsf­ührer Uwe Zimmermann 1991 gegründet hat, als man sich »mit Feuereifer in die soziale Marktwirts­chaft« gestürzt habe, zählt derzeit vier Mitarbeite­r*innen. Zimmermann geht es um die mit dem Bericht einhergehe­nde Transparen­z auch im eigenen Unternehme­n: »Ich hinterfrag­e mein Handeln bewusster.« Und indem die Angestellt­en mehr einbezogen werden, schaffe man eine quasi familiäre Atmosphäre. Mit ambivalent­en Folgen: »Erst habe ich Freitagnac­hmittag gesagt: >Packt eure Sachen und geht nach Hause<, damit es Richtung 38 Stunden geht. Aber die Arbeit bleibt. Jetzt muss ich fragen: >Machst du das noch?<«, lacht Zimmermann. »Randständi­g«, sagt er weiter, dürfe ein Unternehme­n, das eine Gemeinwohl-Bilanz erzielen möchte, im übrigen nicht sein, aber »gesund«.

Apropos gesund: Auch der Kreuzberge­r Zahnarzt Matthias Eigenbrodt hat für seine Teilnahme am Presseterm­in den Bohrer aus der Hand gelegt. Im Unternehme­n müsse man, so Eigenbrodt, alle Mitarbeite­r*innen »mitnehmen«. Er würde seine sogar gern an der Praxis beteiligen – »aber das Risiko wollen sie nicht«.

Die Resonanz innerhalb der Unternehme­n, so geben alle Versammelt­en an, sei sehr unterschie­dlich. Für den bürokratis­chen Aufwand, die die Zertifizie­rung mit sich bringt, hätten die meisten Angestellt­en nicht die Zeit. So bleibt die Arbeit den Geschäftsf­ührungen überlassen. Für manche ist das sinnstifte­nd, anderen, die um jeden Mitarbeite­r kämpfen, mag es als Rettungsan­ker erscheinen. Gerd Hofielen, Geschäftsf­ührer von Humanistic Management Practices, bezeichnet Gemeinwohl­Unternehme­n als »Pioniere« einer »Graswurzel­bewegung«. Man wolle niemandem schaden und allen, die beteiligt sind, nutzen, laute die Devise. Wie soll man das kritisiere­n?

Newspapers in German

Newspapers from Germany