Graswurzelunternehmer wollen wachsen
Berliner und Brandenburger Betriebe wollen transparent und unter ethischen Gesichtspunkten wirtschaften
Immer mehr Unternehmen lassen sich hinsichtlich ihrer sozialen, ökologischen und demokratischen Ausrichtung zertifizieren. Die Idee heißt Gemeinwohl-Ökonomie und ist auch in Berlin angekommen.
»Greenwashing machen wir nicht!« Orsine Mieland ist Tischlermeisterin in Schöneberg. Mit ihrer Aussage nimmt die Geschäftsführerin der »abitare«-Tischlerei mit zehn Mitarbeiter*innen und drei Auszubildenden bereits eine Kritik vorweg, der sich das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie mitunter ausgesetzt sieht: Sie befördere weder das Ende der wachstumsstrebenden Marktwirtschaft noch ein gutes Leben für alle. Stattdessen biete sie Unternehmen eine Möglichkeit, sich als ethisch korrekt und attraktiver für Kund*innen und Geschäftspartner*innen darzustellen. Dass es um Attraktivität im Wettbewerb geht, bestreitet bei der ersten Pressekonferenz einiger Firmen am Dienstagmorgen in den Räumen der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg niemand. Man geht aber, wie auch der österreichische GemeinwohlÖkonomie-Gründer Christian Felber, davon aus, dass die Wirkung in den Unternehmen selbst und in die Gesellschaft hinein langfristig zu einer alternativen Wirtschaftsform beiträgt – weg von einer »rein profitorientierten«.
Leicht ist es dennoch nicht zu erklären, wie man Werte wie Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit oder Mitbestimmung und Transparenz in so unterschiedlichen Unternehmen wie beispielsweise der Sparda-Bank in München und einem kleinen Berliner Bürotechnik-Verkauf in Marzahn-Hellersdorf mit den gleichen Kriterien erfassen will. Der Bürotechnik-Verkauf Corona, den Geschäftsführer Uwe Zimmermann 1991 gegründet hat, als man sich »mit Feuereifer in die soziale Marktwirtschaft« gestürzt habe, zählt derzeit vier Mitarbeiter*innen. Zimmermann geht es um die mit dem Bericht einhergehende Transparenz auch im eigenen Unternehmen: »Ich hinterfrage mein Handeln bewusster.« Und indem die Angestellten mehr einbezogen werden, schaffe man eine quasi familiäre Atmosphäre. Mit ambivalenten Folgen: »Erst habe ich Freitagnachmittag gesagt: >Packt eure Sachen und geht nach Hause<, damit es Richtung 38 Stunden geht. Aber die Arbeit bleibt. Jetzt muss ich fragen: >Machst du das noch?<«, lacht Zimmermann. »Randständig«, sagt er weiter, dürfe ein Unternehmen, das eine Gemeinwohl-Bilanz erzielen möchte, im übrigen nicht sein, aber »gesund«.
Apropos gesund: Auch der Kreuzberger Zahnarzt Matthias Eigenbrodt hat für seine Teilnahme am Pressetermin den Bohrer aus der Hand gelegt. Im Unternehmen müsse man, so Eigenbrodt, alle Mitarbeiter*innen »mitnehmen«. Er würde seine sogar gern an der Praxis beteiligen – »aber das Risiko wollen sie nicht«.
Die Resonanz innerhalb der Unternehmen, so geben alle Versammelten an, sei sehr unterschiedlich. Für den bürokratischen Aufwand, die die Zertifizierung mit sich bringt, hätten die meisten Angestellten nicht die Zeit. So bleibt die Arbeit den Geschäftsführungen überlassen. Für manche ist das sinnstiftend, anderen, die um jeden Mitarbeiter kämpfen, mag es als Rettungsanker erscheinen. Gerd Hofielen, Geschäftsführer von Humanistic Management Practices, bezeichnet GemeinwohlUnternehmen als »Pioniere« einer »Graswurzelbewegung«. Man wolle niemandem schaden und allen, die beteiligt sind, nutzen, laute die Devise. Wie soll man das kritisieren?