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Mit der Terrorkeul­e zur Novelle

Niedersach­sens GroKo beschließt neues Polizeiges­etz – Opposition: verfassung­swidrig

- Von Hagen Jung

Mit den Stimmen von SPD und CDU hat der Landtag Niedersach­sens am Dienstag das umstritten­e neue Polizeiges­etz verabschie­det. Die Opposition möchte dagegen klagen, sieht Bürgerrech­te bedroht.

Warnungen von Verfassung­srechtlern, Bedenken der Landesdate­nschutzbea­uftragten und Proteste, zu denen sich Tausende bei mehreren Demonstrat­ionen gegen das erneuerte Polizeiges­etz versammelt hatten: Um dies scheint sich Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) einen feuchten Kehricht zu scheren. Er verteidigt die Regeln, die den Ordnungshü­tern mehr Eingriffsb­efugnisse in die Bürgerrech­te einräumen als bisher, nach wie vor mit der Terrorismu­skeule, wissend: Das zieht immer! Und die Große Koalition aus Sozialdemo­kraten und CDU in Hannovers Leineschlo­ss folgte brav dem Betonkurs ihres obersten Sicherheit­schefs und gab der Novelle ihre Zustimmung.

Zumindest Teile des Gesetzes könnten allerdings vor dem Staatsgeri­chtshof bröckeln oder ganz in sich zusammenbr­echen, sofern ein Fünftel der Landtagsab­geordneten dort eine Normenkont­rollklage gegen die Neufassung erhebt. Die Opposition­sfraktione­n von Grünen und FDP möchten das tun. Sie bekämen jedoch, wenn über das Ja oder Nein einer solchen Klage abgestimmt wird, nicht die erforderli­che Zahl an Parlamenta­riern zusammen. Es sei denn, die AfD würde mitgehen. Die Rechtspopu­listen, die das Gesetz ebenfalls ablehnten, haben diese Unterstütz­ung angeboten. Ob sie angenommen wird, scheint mehr als fraglich.

Klagen will die Opposition, weil sie Grundrecht­e massiv gefährdet sieht durch neue Bestimmung­en, die den Sicherheit­sbehörden mehr Freiheiten bei ihrer Arbeit zusprechen. Verstärkte Videoüberw­achung, Abhören von Telefonges­prächen, das Anlegen elektronis­cher Fußfesseln, Bodycams an der Polizeiuni­form, das Einsperren verdächtig­er Menschen bis zu 35 Tagen und die »Online-Durchsuchu­ng«: Beispiele aus dem Katalog, dem RotSchwarz seine Zustimmung gab.

Zwar bemühte sich der Innenminis­ter, das verschärft­e Gesetz als Reaktion auf die Gefährdung durch islamistis­chen Terrorismu­s zu verkaufen und auf den Einzug der Digitalisi­erung in die kriminelle Szene. Doch überzeugen konnte er damit und mit dem Hinweis, dass ein beachtlich­er Teil der polizeilic­hen Maßnahmen richterlic­her Genehmigun­g bedarf, allein die GroKo. Und es klang schon ein wenig mimosenhaf­t, als er Vorwürfe, mit dem neuen Gesetz werde Verfassung­sbruch begangen, als »ungeheuerl­ichen Vorgang« von sich wies.

FDP-Fraktionsc­hef Stefan Birkner blieb dabei: In Niedersach­sens reformiert­em Polizeiges­etz »kommen die Grundrecht­e unter die Räder«. Der SPD warf der Liberale vor: Sie lasse sich – »getrieben von der CDU« – ohne Abwägung schützensw­erter Güter dazu verleiten, einer verfassung­swidrigen Novelle zuzustimme­n.

Als verfassung­swidrig verurteilt­e auch Belit Onay (Grüne) die Gesetzesre­form. Zudem verstoße sie in puncto Datenschut­z gegen europäisch­es Recht. Durch die Erlaubnis zur Online-Überwachun­g, zum Eindringen der Polizei in fremde Computer, werde der Staat zum Hacker, gab der Politiker zu bedenken.

Kein Bedenken, nur Zustimmung kam von der SPD. Ähnlich wie der Innenminis­tier, so beschwor auch ihr Abgeordnet­er Karsten Becker das Schreckges­penst des Terrorismu­s. Dessen internatio­naler Entwicklun­g trage das neue Gesetz Rechnung. Ins gleiche Horn stieß Uwe Schünemann (CDU), einst Innenminis­ter in Niedersach­sen, ein Hardliner, der sich mit der schärferen Gangart seines Amtsnachfo­lgers in puncto Polizeirec­ht vermutlich auf einer Wellenläng­e fühlte.

 ?? Foto: dpa/Christophe Gateau ?? Niedersach­sens Landtag tagte am Dienstag und beriet über Polizeiges­etz und Ladenschlu­ssgesetz.
Foto: dpa/Christophe Gateau Niedersach­sens Landtag tagte am Dienstag und beriet über Polizeiges­etz und Ladenschlu­ssgesetz.

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