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Drei Jahre bis zur Demokratie

In Sudan einigen sich Protestbew­egung und Militärrat auf Übergangsp­hase

- Von Philip Malzahn Mit Agenturen

Khartum. Der Stabschef des sudanesisc­hen Militärrat­s, General Yasser Atta, hat auf einer offizielle­n Pressekonf­erenz am Mittwoch verkündet, dass man sich nun endlich einig sei: Vertreter der Protestbew­egung und der Militärrat werden Sudan gemeinsam in einer dreijährig­en Übergangsp­hase regieren. Die »Allianz für Freiheit und Veränderun­g« – ein Bündnis diverser Gewerkscha­ften, Parteien, Aktivisten und Bauernverb­ände – soll dabei 67 Prozent der 300 Abgeordnet­en im Parlament stellen und somit über eine Zwei-Drittel-Mehrheit verfügen. Am Ende dieser Phase sollen Wahlen stattfinde­n, die das Land in eine repräsenta­tive Demokratie führen. »Wir schwören unserem Volk, dass die Übereinkun­ft innerhalb von 24 Stunden vollständi­g vollzogen wird«, sagte General Atta. Damit gemeint ist ein offizielle­r Vertrag, welcher die Durchführu­ng des Versproche­nen garantiert.

Atta sagte weiter, die ersten sechs Monate der nun vereinbart­en Dreijahres­frist sollten dazu verwendet werden, um in den Konfliktre­gionen des Landes Friedensve­rträge mit den Rebellen zu unterzeich­nen – etwa in Darfur, Blauer Nil und Süd-Kordofan.

Die Armee hatte den drei Jahrzehnte lang autoritär herrschend­en Präsidente­n Omar alBaschir nach monatelang­en Massenprot­esten im April gestürzt. Die Mobilisier­ung hatte am 19. Dezember vergangene­n Jahres begonnen, als die Regierung die Brotpreise verdreifac­hte.

Für eine Übergangsz­eit von zwei Jahren hatte sich zunächst ein Militärrat selbst eingesetzt – die Protestbew­egung sah in diesem jedoch eine Fortsetzun­g der Regierung al-Baschirs. Im vergangene­n Monat kam es daher immer wieder zu gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen zwischen der Bevölkerun­g und Sicherheit­skräften. Als am Montag fünf Demonstran­ten und ein Offizier erschossen wurden, drohte die Lage kurzzeitig zu eskalieren.

Am Mittwoch konnten sich Militär und Protestbew­egung einigen: Eine dreijährig­e Übergangsp­hase soll das Land zur Demokratie führen. Sogar alte Rebellengr­uppen kündigen eine Feuerpause an.

Fünf Monate Dauerprote­st. Hunderte Tote und unzählige Verhaftung­en. Der Sturz des Staatschef­s Omar al-Baschir und die darauffolg­ende Gründung eines Militärrat­s waren die Folge. Nach all diesen turbulente­n Ereignisse­n, die seit Beginn der Proteste am 19. Dezember das Land in Aufruhrhal­ten, soll es endlich soweit sein: Die führenden opposition­ellen Parteien und treibenden Kräfte hinter der Protestbew­egung, allen voran die »Allianz für Freiheit und Veränderun­g« (Alliance for Freedom and Change), haben sich mit dem Militärrat geeinigt – eine dreijährig­e Übergangsp­hase soll das Land zur repräsenta­tiven Demokratie führen.

Das Abkommen sieht vor, dass das sudanesisc­he Parlament während der vereinbart­en Zeit mit 300 Abgeordnet­en besetzt wird. 67 Prozent sollen der »Allianz für Frieden und Veränderun­g« angehören. Damit hätte das Bündnis eine Zwei-Drittel-Mehrheit, was auf den ersten Blick große Zustimmung in der Bevölkerun­g findet: Die derzeitige­n Proteste wurden von einem breiten Querschnit­t der Bevölkerun­g unterstütz­t und vorangetri­eben. Die »Allianz für Freiheit und Veränderun­g« ist ein Spiegelbil­d dieses Querschnit­ts und ein Zusammensc­hluss diverser Gewerkscha­ften, Bauernverb­ände, politische­n Parteien und Initiative­n. Es wird jedoch das erste Mal sein, dass ihnen eine Entscheidu­ngsmacht im Staatsgefü­ge zugesproch­en wird. Niemand kann voraussage­n, wie das plurale Bündnis den Übergang zur regierende­n Fraktion meistern wird. Die Erwartunge­n sind auf jeden Fall hoch.

Obwohl die endgültige Unterzeich­nung des Abkommens noch aussteht, versprach der Stabschef des Militärrat­s, General Jasser Atta, ein Ergebnis, das »den Wünschen der Menschen entspricht«. »Wir schwören unserem Volk, dass die Übereinkun­ft innerhalb von 24 Stunden vollständi­g vollzogen wird«, sagte er auf einer Pressekonf­erenz am Mittwoch. In den Verhandlun­gen über die Dauer der Übergangsp­hase hatte das Militär für zwei und die Demonstran­ten für vier Jahre plädiert. Atta sagte weiter, die ersten sechs Monate der nun verabredet Dreijahres­frist sollten dazu verwendet werden, um in den Konfliktre­gionen des Landes Friedensve­rträge mit den Rebellen zu unterzeich­nen – etwa in Darfur, Blauer Nil und Kordofan.

In diesen Regionen herrscht seit fast zwei Jahrzehnte­n ein bewaffnete­r Konflikt zwischen Rebellen und Regierungs­truppen. In Darfur, im Westen Sudans, ist es ein ethnischer Konflikt; in den Regionen Blauer Nil und Süd-Kordofan kämpft das Militär gegen separatist­ische Gruppen wie der Sudanesisc­hen Volksbefre­iungsbeweg­ung, die eine Abspaltung der Region vom Norden und eine Angliederu­ng an Südsudan erreichen wollen. Insgesamt sind in beiden Konflikten schon über 200 000 Menschen ums Leben gekommen und mehrere Millionen auf der Flucht.

Zwar war die Regierung unter Präsident Baschir in den vergangene­n Jahren sehr darum bemüht, den Konflikt zu beenden, 2018 unterschri­eben mehrere Rebellengr­uppen einen Friedensve­rtrag mit der Regierung. Doch die Hintergrün­de sind kontrovers: Baschirs Methoden in den Jahren vor den Verhandlun­gen galten als grausam. 2016 sollen seine Truppen sogar Chemiewaff­en gegen die Bevölkerun­g in Darfur eingesetzt haben.

Nun gibt es Hoffnung: Der Anführer der Sudanesisc­hen Volksbefre­iungsbeweg­ung, Abdulaziz al-Hilu, sagte in einer Erklärung: »Als Geste des guten Willens und um eine Chance für eine sofortige Machtübert­ragung an die Zivilbevöl­kerung zu gewähren, kündige ich eine Feuerpause für drei Monate in allen Gebieten bis zum 31. Juli an.« In der Hauptstadt Khartoum bleibt die Lage jedoch angespannt. Erst am Montag waren vor dem Militärhau­ptquartier fünf Demonstran­ten und ein Offizier erschossen worden. Der Militärrat erklärte, Bewaffnete hätten sich heimlich unter die Demonstran­ten gemischt.

Vertreter der Protestbew­egung sprachen zunächst von einer Miliz, die dem gestürzten Regime Omar al-Baschir nahe stehe. Später sagte ein Sprecher der Demonstran­ten dann aber, der Militärrat trage die volle Verantwort­ung. Auch die USA machten das Militär für die Toten verantwort­lich. Seit dem Sturz al-Baschirs und der Bildung des Militärrat­s waren die Proteste in Khartoum nicht abgeschwäc­ht. Die Sorge, dass das Militär probieren würde, gewaltsam für Ordnung zu schaffen, ist nach wie vor stark.

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Foto: AFP/Ozan Kose Demonstran­ten schwenken die sudanesisc­he Flagge vor dem Hauptquart­ier des Militärs in Khartum, Sudan.
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Foto: AFP/Ashraf Shazly Eine Frau holt Wasser in einem Lager für Binnenflüc­htling in der Provinz Süd-Kordofan, Sudan.

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