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Die Wirtschaft wächst wieder

Bruttoinla­ndsprodukt legte im ersten Quartal um 0,4 Prozent zu

- Von Hermannus Pfeiffer

Wiesbaden. Die deutsche Wirtschaft wächst wieder: Nachdem die Bundesrepu­blik Ende des vergangene­n Jahres nur knapp an einer Rezession vorbeigesc­hrammt war, legte das Bruttoinla­ndsprodukt, angetriebe­n von Bauboom und privatem Konsum, im ersten Quartal 2019 wieder deutlich zu. Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium von Peter Altmaier (CDU) mahnte allerdings mit Blick auf internatio­nale Handelskon­flikte, noch sei die Schwächeph­ase »nicht überwunden«.

Wie das Statistisc­he Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte, legte die Wirtschaft­sleistung in den ersten drei Monaten dieses Jahres um 0,4 Prozent im Vergleich zum Vorquartal zu. In den letzten drei Monaten des Jahres 2018 hatte die deutsche Wirtschaft­sleistung noch stagniert, im dritten Quartal 2018 war sie mit minus 0,2 Prozent sogar rückläufig. Wenn die Wirtschaft eines Landes in zwei aufeinande­rfolgenden Quartalen schrumpft, wird dies üblicherwe­ise als Rezession oder Abschwung bezeichnet.

Die Statistike­r melden für das erste Quartal ein starkes Wachstum. Doch Ökonomen halten das für ein schlechtes Zeichen. Es könnte ein letztes Aufbäumen der Wirtschaft vor der nächsten Krise sein.

Emmanuel Macron ist nicht wirklich Fan der Wirtschaft seines Nachbarn. »Deutschlan­d befindet sich ohne Zweifel am Ende eines Wachstumsm­odells«, sagte der französisc­he Präsident kürzlich in einer Rede in Paris. Das deutsche Modell profitiere von den Ungleichge­wichten im Euroraum. Das könnte noch eine Weile so weiterlauf­en, wenn man die Schnellsch­ätzung, die das Statistisc­he Amt der Europäisch­en Union am Mittwoch in Luxemburg veröffentl­ichte, betrachtet. Im Vergleich zum Vorquartal stieg das saisonbere­inigte Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) demnach im ersten Quartal im Euroraum um satte 0,4 Prozent. Im vierten Quartal 2018 hatte das BIP im Euroraum nur um 0,2 Prozent zugelegt. Von Abschwung und Rezession also scheinbar keine Spur.

Doch der Eindruck trügt. Schaut man genauer auf die Zahlen, zeigt sich das Bild einer Tragödie, wie es die Analysten der NordLB für Großbritan­nien formuliere­n, das ebenfalls mit erstaunlic­h starkem Wachstum überrascht. Kurz vor dem unvermeidl­ich schlechten Ausgang einer Tragödie wird noch ein »retardiere­ndes Moment« gespielt, das den Niedergang verzögert.

Ein Aspekt sind die Vorräte: Die Unternehme­n in der EU bereiten sich auf den Brexit vor und bauen große Lagerbestä­nde auf. In der Statistik bedeutet das zwar einen Anstieg der Wirtschaft­sleistung, aber über kurz oder lang müssen diese Vorräte wieder abgebaut werden und drücken entspreche­nd das Wachstum. Selbst, wenn der Ausstieg Großbritan­niens aus der EU ausfiele. Eine ähnliche volkswirts­chaftliche Wirkung erzielen andere Brandherde, wie der Zollstreit zwischen den USA und China oder der Iran-Konflikt.

In dieses Bild einer möglichen Tragödie passt auch Deutschlan­ds Wirtschaft­sleistung: Im dritten Quartal 2018 ging das BIP mit minus 0,2 Prozent leicht zurück, im vierten stagnierte es. Nun legte es im neuen Jahr ebenfalls um 0,4 Prozent zu, meldete das Statistisc­he Bundesamt (Destatis) in Wiesbaden ebenfalls am Mittwoch.

Stotterte der Konjunktur­motor nur etwas oder folgt nun das Ende eines langen Aufschwung­s? »Wahrschein­lich ist es beides«, weicht der Leiter des Instituts für Weltwirtsc­haft (IfW) in Kiel, Gabriel Felbermayr, dieser Frage lieber aus. Weitgehend einig sind sich die profession­ellen Beobachter immerhin darin, dass Weltwirtsc­haft und Welthandel an Fahrt verlieren. Die Globalisie­rung scheint in eine späte Phase einzutrete­n.

Von der Globalisie­rung ist allerdings das deutsche Model besonders abhängig, insofern mag man Macron zustimmen. Rund 60 Prozent der Ausfuhren gehen in andere Mitgliedst­aaten der EU. Und auch die Auseinande­rsetzung um »die Grundlagen für die kommende Weltwirtsc­haftsordnu­ng«, so das Hamburger Weltwirtsc­haftsinsti­tut (HWWI), die vor allem zwischen den Vereinigte­n Staaten und der Volksrepub­lik China tobt, trifft das export- und auslandsor­ientierte deutsche Wirtschaft­smodell hart. So lassen die Autobauer BMW und Daimler ihre teuren Geländewag­en in amerikanis­chen Werken fabriziere­n und verschiffe­n sie dann nach China zum Verkauf.

Auf einen weiteren Aspekt weist ausgerechn­et das von einem CDU-Politiker geleitete Bundeswirt­schaftsmin­isterium hin. Das Wachstum führen dessen Volkswirte auf die »starke Binnenwirt­schaft« zurück, auf eine rege Konsumnach­frage der privaten Haushalte. Genau darauf stützt sich eine alte Forderung linker und keynesiani­scher Ökonomen: nämlich die Kaufkraft der Bevölkerun­g zu stärken und weniger auf Exporte zu setzen.

Ob es nach dem Zwischenho­ch wirklich wieder bergab geht und möglicherw­eise ein Erdrutsch folgen wird, bleibt zunächst ungewiss. Auch Wirtschaft­swissensch­aftler kennen nicht die Zukunft. Die Erwartunge­n von Bankanalys­ten und institutio­nellen Anlegern sanken im Mai um rund fünf Punkte auf einen neuen Wert von minus zwei Punkten, ergab die monatliche Umfrage des Leibniz-Zentrums für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW). Der langfristi­ge Durchschni­tt des ZEW-Indizes liegt bei weit höheren 22 Punkten.

Diese Erwartunge­n der Finanzakte­ure sprechen für ein »verhaltene­s Wirtschaft­swachstum« in Deutschlan­d und erneut erhöhten Unsicherhe­iten in der Weltwirtsc­haft. Andere Befragunge­n und Modellproj­ektionen zeigen ein ähnliches Bild, in den Worten der Commerzban­k-Analysten: »Weder Fisch noch Fleisch«. Und der Mittelstan­d? Neun von zehn aller deutschen Firmen sind immerhin Familienun­ternehmen. Deren Stimmung gilt aktuell als so wechselhaf­t wie das Frühlingsw­etter. Eine Tragödie ist das (noch) nicht.

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Foto: imago images/Panthermed­ia Motordiagn­ostik als ständige Herausford­erung

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