Paketboten können auf Verbesserungen hoffen
Koalitionsausschuss von Union und SPD einigt sich beim Thema Nachunternehmerhaftung
Die Bundesregierung will mit einem neuen Gesetz Druck auf die Paketbranche ausüben: Sie soll nicht mehr auf dubiose Subunternehmen setzen.
Die Spitzen der Großen Koalition haben sich darauf geeinigt, die Arbeitsbedingungen für Paketboten zu verbessern. Nach dem Koalitionsausschuss vom Dienstagabend erklärten Union und SPD, dass ein Gesetz zur sogenannten Nachunternehmerhaftung in der Paketbranche verabschiedet werden solle. Die großen Paketdienste sollen künftig auch dann haften, wenn ihre Subunternehmer keine Sozialbeiträge für die Paketzusteller entrichten.
In Subunternehmen werden teilweise Löhne gezahlt, die weit unter dem Mindeststundenlohn liegen. Zudem werden den Fahrern überlange Arbeitstage abverlangt. Der Zusteller-Verband kritisierte hingegen »eine pauschale Verurteilung der Branche«.
Damit hat sich die Koalition bei einem Streitpunkt geeinigt. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte den Entwurf zunächst gegen den Widerstand von Wirtschaftsressortchef Peter Altmaier (CDU) erarbeitet. Im Gegenzug sollen Unternehmen an anderer Stelle »von Bürokratie entlastet werden«, wie es die Union fordert. Laut Koalitionsbeschluss soll die Entlastung insbesondere kleiner und mittelständischer Firmen mindestens bei einer Milliarde Euro liegen. Um die Einzelheiten zu klären, soll es »kurzfristig« ein Ministergespräch geben, an dem neben Heil und Altmaier auch Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Innenressortchef Horst Seehofer (CSU) teilnehmen.
Im Steuerrecht sollen die Aufbewahrungsfristen von zehn auf acht Jahre verkürzt werden – allein das brächte Entlastungen von rund 1,7 Milliarden Euro pro Jahr. Dies geht aus einem Eckpunktepapier des Wirtschaftsministeriums hervor, über das die »Rheinische Post« berichtet hatte. Beim Mindestlohn schlägt Altmaier vor, Aufzeichnungs- und Berichtspflichten zu verringern und zu vereinfachen. Bei Minijobs sollen Dokumentationspflichten entfallen.
Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Dienstag hatte Heil jedoch erklärt, dass die Aufzeichnungspflichten etwa in der Mindestlohn-Branche nicht verhandelbar seien. Das Gericht hatte geurteilt, dass Unternehmer in naher Zukunft die gesamte Arbeitszeit ihrer Beschäftigten systematisch und lückenlos erfassen müssen.
Der DGB lobte die Einigung der Koalitionspartner zu den Änderungen in der Paketbranche. Die Grünen-Politikerin Beate MüllerGemmeke teilte mit, dass Nachunternehmerhaftung nur ein erster Schritt sein könne. Nötig seien auch flächendeckende Prüfungen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit sowie ein Verbandsklagerecht, damit die Beschäftigten unterstützt werden, wenn sie ihren Lohn einklagen müssten.
Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht forderte die SPD dazu auf, die »handlungsunfähige« Koalition zu verlassen. »Ob Rentenarmut, konsequente Haltung gegen US-Kriegstreiberei, Klimakrise oder gnadenloses Lohndumping – die großen Probleme unserer Zeit werden nicht angegangen«, kritisierte Wagenknecht.
Subunternehmen zahlen teilweise Löhne, die weit unter dem MindestStundenlohn liegen.
Die Große Koalition hat in ihrer abendlichen Runde vom Dienstag wenigstens eine Einigung über die Paketboten erzielt. Sonst hätte sie gar nichts vorzuweisen gehabt.
Es ist gut, dass nach Monaten des Hin und Her wenigstens eine Einigung über die Sozialabgaben für die Fahrer der Paket-Subunternehmen gefunden ist. Über die großen Themen, die die Koalition seit langem entzweien, wurden keine Ergebnisse bekannt, die eine baldige Einigung erkennen ließen. Die Grundrente der SPD ohne Bedürftigkeitsprüfung bleibt ebenso im Widerstand der Union stecken, wie die Steuerpolitik umstritten bleibt, insbesondere der von der Union gewünschten Abschaffung des Solidaritätsbeitrags auch für die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung. Spitzenpolitiker von CDU und CSU verlangten von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) parallel zum Koalitionsausschuss Vorschläge, wie mit den weniger stark steigenden Steuereinnahmen umgegangen werden solle. Der Ausschuss tagte unter Leitung von Kanzlerin Angela Merkel mit den Parteichefs von CDU, CSU und SPD. Auch Vizekanzler Scholz war anwesend.
Von der Klimaschutzpolitik ganz zu schweigen. »Diese Regierung gefährdet unsere Lebensgrundlagen«, erklärte am Mittwoch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Lorenz Gösta Beutin von der LINKEN forderte, der Klimaschutz müsse »bei allen politischen Entscheidungen ganz oben auf die Agenda«. Union und SPD bildeten eine »Klimakoma-Koalition«, die sich »im Tiefschlaf« befinde. Union und SPD verabredeten lediglich die weitere Arbeitsplanung im Klimakabinett, das die gesetzliche Umsetzung der Klimaschutzziele sichern soll.
Stattdessen wird nun eine Reform der Strafprozessordnung als Erfolg verkündet, die das Bundeskabinett am Mittwoch beschloss. Die Koalition will Strafermittlern die Arbeit erleichtern und den Schutz von Verbrechensopfern stärken. Im Detail muss ein Gesetzentwurf allerdings erst ausgearbeitet werden; bisher liegen nur Eckpunkte aus dem Bundesjustizministerium vor. Der Polizei soll eine effizientere Verfolgung von Wohnungseinbrechern ermöglicht werden. Ermittler sollen künftig in mehr Fällen als bisher die Emails und Telefonate von Verdächtigen heimlich überwachen dürfen. Dazu sollen die Hürden gesenkt werden – bislang dürfen diese Mittel nur eingesetzt werden, wenn die Taten serienmäßig von einer kriminellen Bande begangen wurden. Die von der Koalition geplante Neuregelung soll die Überwachung künftig auch bei einfachem Wohnungsdiebstahl ermöglichen. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich bei dem Verdächtigen um einen Wiederholungstäter handelt. Zudem müsse der Fall »schwer wiegen« und nicht anders aufzuklären sein, heißt es in den Eckpunkten.
Erleichterungen sieht die geplante Reform auch für Opfer von Sexualstraftaten vor, die vor Gericht aussagen müssen. Opfern sollen künftig unangenehme Befragungen in der Hauptverhandlung erspart werden können. Jedes Opfer soll das Recht haben, eine richterliche Vernehmung per Video aufzeichnen zu lassen.
Außerdem stellt die Koalition ein Sicherheitsdienstleistungsgesetz in Aussicht. Es soll eine gesetzliche Basis für die Arbeitsbedingungen und Entlohnung der Branche mit ihren 267 000 Beschäftigten schaffen. Dem Berufsverband gehören 1000 der 6500 Unternehmen der Branche an. Sie hoffen auf gesetzliche Mindeststandards, die das Preisdumping begrenzen.