nd.DerTag

Der Komplize des Einzeltäte­rs

Islamisten-Prozess in Berlin beginnt – bereichert er die Erkenntnis­se über den Weihnachts­marktansch­lag 2016?

- Von René Heilig

Am Donnerstag beginnt ein Prozess gegen Magomed-Ali C. Ihm wird die Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Gewalttat sowie die Vorbereitu­ng eines Explosions­verbrechen­s zur Last gelegt.

Alle bekannten Hinweise sprächen dafür, dass sich Anis Amri Ende Oktober oder Anfang November 2016, also kurzfristi­g, entschloss­en hat, einen Lkw zu kapern, um damit Besucher des Weihnachts­marktes am Berliner Breitschei­dplatz zu überrollen. Dabei sei »kein linearer Verlauf eines lange angelegten Netzwerkpl­ans« zu erkennen, weshalb »die Durchführu­ng eine Einzeltat gewesen ist« – wenngleich es um Amri herum natürlich Unterstütz­er und Ermutiger gegeben habe und der Täter über Kontakte ins radikalisl­amische Milieu verfügte. Da wäre es nicht so leicht zu erkennen, ob es sich nur um einen Freundeskr­eis oder ein »inkriminie­rtes Netzwerk« gehandelt habe. Er meine aber, dass es kein »wirklich starkes Netzwerk« gab, das Amri unterstütz­te.

So etwa lassen sich die Aussagen, die der Berliner Polizeidir­ektor Martin Kurzhals jüngst vor dem zuständige­n Bundestags­untersuchu­ngsausschu­ss zu Protokoll gab, zusammenfa­ssen. Sie sind schwammig und belegen vor allem eines: Der Polizist ist disziplini­ert genug, um sich an die Einzeltäte­rthese – die auch das Bundeskrim­inalamt sowie der Verfassung­sschutz vertreten wird – zu halten. Zugleich ist er jedoch viel zu erfahren, um sich darauf festzulege­n.

Schon ab Donnerstag könnte ihm und anderen die Einzeltäte­rthese um die Ohren fliegen. Dann geht es vor dem Berliner Kammergeri­cht um eine, wie der Generalbun­desanwalt meint, »staatsschu­tzspezifis­che Tat von besonderer Bedeutung«. Angeklagt ist der russische Staatsange­hörige Magomed-Ali C. Es ist zu vermuten, dass der Prozess komplizier­t, weil vielschich­tig wird.

Im August 2018 hatten Spezialkrä­fte der GSG 9 im Rahmen einer multinatio­nalen Polizeiakt­ion eine Wohnung im Berliner Ortsteil Buch gestürmt. Seither sitzt der Mieter Magomed-Ali C. in Untersuchu­ngshaft. C. wurde 1987 als fünftes von sechs Kindern in einer kleinen Stadt der russischen Teilrepubl­ik Baschkorto­stan geboren. Damals kannte man das Gebiet am östlichste­n Rand Europas noch als Baschkirie­n. Nach der Schule arbeitete er in einer Autowascha­nlage und einer Schuhfabri­k, zog in ein kleines Dorf an der Grenze zu Tschetsche­nien. Er heiratete die Cousine eines Rebellenko­mmandeurs, der gegen die russische Armee kämpfte. C. wurde verhaftet, verließ Russland und kam über Umwege im September 2011 nach Deutschlan­d. Die Behörden lehnten seinen Asylantrag ab, C. tauchte unter, wurde dann wieder legal und ist seit 2013 geduldet, weil ihm in Russland »eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben und Freiheit« drohe. Der Mann lebte von Sozialhilf­e und mit psychologi­scher Betreuung. Er war »Stammgast« – mit eigenem Schlüssel – im Berliner Fussilet-Verein. Dessen Haus in Moabit war bis zur Schließung der Moschee im Februar 2017 einer der wichtigste­n und von den Diensten wie der Polizei am intensivst­en überwachte­n Treffpunkt­e islamistis­cher Extremiste­n in Deutschlan­d. Auch Amri ging dort ein und aus.

Magomed-Ali C. nahm in der Moschee am wöchentlic­h stattfinde­nden »Unterricht« teil. Mit dem gewünschte­n Erfolg, denn in ihm reifte der Wunsch, in Syrien am Aufbau eines islamische­n »Gottesstaa­tes« mitzuwirke­n. Doch zur Ausreise kam es nicht, das Berliner Landeskrim­inalamt hatte davon »Wind bekommen«, die Ausländerb­ehörde verbot die Tour.

Kämpfen und töten kann man auch in Deutschlan­d, dachte sich der Mann und suchte Kontakt zu Clément B. Beide hatten sich 2013 im belgischen Verviers kennengele­rnt. B. war in die Vorbereitu­ng eines Anschlags auf den Airport in Brüssel eingebunde­n. Der Rest ist wohl mehr Vermutung als gerichtsfe­st. Da drei Leute mehr bewirken können, sprachen die Männer in Berlin Anis Amri an.

Tatsache ist: Im Oktober 2016 klingelten Polizisten an der Wohnungstü­r von C. In Berlin-Buch. Der ließ sie nicht rein. Es gab offenbar triftige Gründe. Ein LKA-Beamter erinnert sich, dass im Flur Herrenschu­he verschiede­ner Größen gestanden haben. Inzwischen scheint sicher: Zu dem Zeitpunkt lagerte eine – wie der Generalbun­desanwalt meint – »nicht unerheblic­he Menge« des Sprengstof­fs TATP (Triacetont­riperoxid) in dem Quartier. Damit habe er zusammen mit Clément B. möglichst viele Menschen töten oder zumindest verletzen wollen. Die zwei – oder waren es da schon drei? – wollten »ein Klima der Angst und der Verunsiche­rung« schüren.

Keine Stunde nachdem die Polizisten abgezogen waren, löschte Amri seinen Telegram-Messenger, mit dem er – so sagen die sich noch immer ahnungslos aber entschloss­en gebenden Dienste – den Kontakt mit Gleichgesi­nnten gehalten hat. Der Kontakt zwischen den Dreien blieb bestehen. Heimlich, auf Distanz. Doch letztlich allein und ohne Sprengstof­f ist es durchaus möglich, dass Amri auf eigene Faust nach Wegen suchte, um den »Ungläubige­n« maximal zu schaden. Einen fand er. Der führte per Lkw auf den Weihnachts­markt im Zentrum Berlins.

Clément B., der angeblich auch von der Vorbereitu­ng der Pariser Anschläge im Jahr vom November 2015 wusste, ging nach Frankreich und wollte dort zuschlagen. Abgestimmt mit Amri in Berlin, behaupten Sicherheit­sexperten. Doch daraus wurde nichts, denn: Amri war zu schnell. Am 19. Dezember 2016 soll er laut Anklage »ohne Kenntnis des Angeschuld­igten und des Clément B. sowie dessen Komplizen« auf dem Breitschei­dplatz gemordet haben. B. wurde im April 2017 in der französisc­hen Mittelmeer­stadt Marseille festgenomm­en. Bei ihm fand man drei Kilogramm TATP sowie Schusswaff­en. Bei einem im Gefängnis abgehörten Gespräch sagte er: »Wir sollten in Berlin, Paris und Brüssel zuschlagen und dann in die Türkei fahren.« In Deutschlan­d, so sagte er auch, sei alles vorbereite­t gewesen.

Hat man Gründe, mag man jemanden, der zwar Mitglied einer Terrorgrup­pe ist, dann aber vor Ungeduld auf eigene Faust handelt, als »Einzeltäte­r« einstufen. Genau das versuchen die Sicherheit­sbehörden den Mitglieder­n des parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­sses einzureden. Tatsache aber ist, dass Amri, B. und C. gemeinsam Taten planten, dass sie Mitglieder eines größeren Westeuropa-Netzwerkes waren und Kontakte zu IS-Leuten jenseits des Mittelmeer­s hatten. Nachweisli­ch hat sich der »Einzeltäte­r« aus Tunesien, spätestens seit er aus Italien in die Schweiz und von dort nach Deutschlan­d gewechselt ist, immer konspirati­v in Kleinstgru­ppen bewegt. Und auch nach der Berliner Bluttat wusste er offenbar genau, wo er in Deutschlan­d und Frankreich Hilfe erwarten konnte. Erst am 23. Dezember 2016 ist er in der Nähe von Mailand von Polizisten erschossen worden.

Auch die Frage, von wem er die Pistole bekam, mit der er den polnischen Lkw-Fahrer erschoss, ist nicht gründlich geklärt. Die 1990 in Erfurt gebaute Kleinkalib­erwaffe Erma EP 552 gelangte zusammen mit mehreren baugleiche­n Pistolen zu einer Waffenhand­lung in Konstanz am Bodensee. Hier wurde sie wie zahlreiche andere Waffen von einem Schweizer gekauft, der damit Gewinne machte. Die Erma-Pistole soll jedoch bereits 1992 an einen kosovarisc­hen Waffenschi­eber gegangen sein, der sie mit anderen in die Bürgerkrie­gsheimat mitnahm. Jahre später tat sich Amri gleichfall­s in der Bodensee-Region um, kaufte einem Schweizer das Handy samt SIM-Karte ab und wollte am Bodensee eine Schweizeri­n heiraten.

Solche Zufälle können in die Irre führen. Wie die EP 552 mit der Seriennumm­er 012030 in Amris Hände gelangte, wäre schon interessan­t, denn gleichfall­s unerklärli­ch ist seit Jahren bereits der Verkaufswe­g einer anderen EP 552 mit der Seriennumm­er 012827. Sie war im Jahr 2000 Mordwaffe in Nürnberg. Man fand sie 2011 im ausgebrann­ten Unterschlu­pf der NSU-Terrorgrup­pe in Zwickau.

2018 hatten Spezialkrä­fte der GSG 9 eine Wohnung in Berlin gestürmt. Seither sitzt Magomed-Ali C. in Untersuchu­ngshaft.

 ?? Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka ?? Nach dem Anschlag auf den Weihnachts­markt am Breitschei­dplatz in Berlin im Dezember 2016
Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka Nach dem Anschlag auf den Weihnachts­markt am Breitschei­dplatz in Berlin im Dezember 2016

Newspapers in German

Newspapers from Germany