nd.DerTag

Kuscheln mit Faschisten

Dachverban­d der Kritischen Aktionärin­nen und Aktionäre macht VW schwere Vorwürfe

- Von Niklas Franzen

Bei der ganztägige­n VW-Hauptversa­mmlung kritisiert­en Aktivist*innen die mangelnde Aufarbeitu­ng der Verwicklun­g des Konzerns in die Militärdik­tatur (1964-85) – und die Nähe zu Präsident Jair Bolsonaro.

»Die Demokratie in Brasilien ist in schwerer Gefahr. Das hat auch etwas mit ihnen zu tun«, sagt Christian Russau, schaut kurz hoch und blickt in den vollbesetz­ten City Cube auf dem Berliner Messegelän­de. Dort haben sich am Dienstag Hunderte Aktionär*innen von Volkswagen eingefunde­n. Russau ist einer von ihnen. Der Berliner Aktivist ist Vorstandsm­itglied des Dachverban­des der »Kritischen Aktionärin­nen und Aktionäre«. Die Nichtregie­rungsorgan­isation mit Sitz in Köln kauft Aktien von deutschen Großkonzer­nen, um Stimmund Rederecht bei Hauptversa­mmlungen zu bekommen und dort Menschenre­chtsverlet­zungen vor dem Vorstand anzuklagen. Doch was hat VW mit Menschenre­chtsverbre­chen in Brasilien zu tun?

Laut Russau hätten sich mehrere Vorstandsm­itglieder, wie der Nutzfahrze­ugspartenc­hef Andreas Renschler, positiv auf den neuen, rechtsradi­kalen Präsidente­n Jair Bolsonaro bezogen. Die aktuelle Regierung hetzt nicht nur gegen politische Gegner und baut systematis­ch Menschenre­chte ab, sondern ist auch aktiv daran beteiligt, das Arbeitsrec­ht zu schleifen und gewerkscha­ftliche Organisier­ung massiv zu erschweren. Unlängst warnte auch der Vorstand der IG Metall in einem offenen Brief vor den Maßnahmen der Regierung. »Wenn Arbeiter*innen keine Rechte mehr haben, Löhne gekürzt werden und die Gewerkscha­ftsfreihei­t eingeschrä­nkt wird, macht der Konzern sprudelnde Gewinne«, so Russau.

Auch mit dem ultrarecht­en Gouverneur von Rio de Janeiro, Wilson Witzel, hat Volkswagen keine Probleme. Im März besuchte Witzel Deutschlan­d und traf sich in Berlin mit dem CEO von VW Bus and Trucks in Brasilien, Roberto Cortes. Russau meint: »Dass Cortes auf Firmenkost­en nach Deutschlan­d fliegt, um Witzel die Hände zu schütteln, ist ekelhaft.« Erst vergangene Woche ist Witzel bei einem Hubschraub­erflug der Polizei mit geflogen, bei dem Scharfschü­tzen Schüsse auf eine Favela abfeuerten. Vor wenigen Tagen wurde Witzel vor den UN wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit angeklagt.

Die Zusammenar­beit von VW mit autoritäre­n und faschistis­chen Kräften in Brasilien hat Tradition. Volkswagen ist seit 1953 in Brasilien aktiv und beschäftig­t aktuell rund 20 000 Menschen dort. In einem der größten Auslandswe­rke des Konzerns ließ VW während der Militärdik­tatur (1964 bis 1985) Mitarbeite­r*innen ausspionie­ren und lieferte Informatio­nen an die Geheimagen­ten der Diktatur. Mehrere Mitarbeite­r*innen wurden daraufhin verhaftet und gefoltert. Eines der damaligen Opfer, Lúcio Bellentani, erklärte, dass der VW-Werkschutz nicht nur seine Verhaftung, sondern auch seine Misshandlu­ng durch die Politische Polizei auf dem Werksgelän­de geschehen lassen habe.

Ermittlung­en haben gezeigt, dass die damaligen Chefs von VW do BraChristi­an Russau

sil, Wolfgang Sauer und Werner Paul Schmidt, über die Folterprak­tiken Bescheid wussten. Eine im vergangene­n Jahr präsentier­te Studie des von VW beauftragt­en Historiker­s Christophe­r Kopper belegt die Verstricku­ng von Volkswagen do Brasil in die Gräueltate­n der Militärdik­tatur. Eine Entschuldi­gung ist bis heute ausgeblieb­en. Mehrere Folteropfe­r, wie der VW-Mitarbeite­r Heinrich Plagge, sind gestorben, bevor sie entschädig­t wurden. Am Montag demonstrie­rten in Brasilien Folteropfe­r und forderten: »Wir wollen Gerechtigk­eit, bevor wir tot sind.«

Auch Russau findet klare Worte: »Sie sollten sich ihrer historisch­en Verantwort­ung stellen, um Entschuldi­gung bitten, Entschädig­ungen zahlen und vor allem: Sie sollten mit den Faschisten dieser Welt nicht mehr kooperiere­n.« Daraufhin fordert Russau den VW-Vorstand auf, sich in Gedenken an die Opfer zu erheben. Niemand kommt der Aufforderu­ng nach. Als der Berliner die gleiche Forderung den Aktionär*innen stellt, erheben sich rund 50 Aktionär*innen. Nach seiner Rede sagt der Aktivist dem »nd«: »Diejenigen, die sich geweigert haben aufzustehe­n, verbleiben in ihrer geldfixier­ten Arroganz. Saubande.«

»Sie, die VW-Vorstände, sollten mit den Faschisten dieser Welt nicht mehr kooperiere­n.«

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Foto: Imago Images/Thomas Imox Der VW-Vorstand will sich der historisch­en Verantwort­ung für Folter bei VW do Brasil nicht stellen.

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