Sozialer Alleingang
Der erste AWO-Kreisverband in Thüringen will den Lohnabstand zum öffentlichen Dienst schließen
In Thüringen will ein Kreisverband der AWO seine Beschäftigten besser bezahlen und verhandelt deshalb mit ver.di über einen neuen Tarifvertrag. Damit macht er sich in den eigenen Reihen nicht nur Freunde.
Frank Bsirske ist voll des Lobes über das, was Frank Albrecht an diesem Tag in Erfurt verkündet: Dass der Regionalverband Mitte-West-Thüringen der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in den nächsten Monaten mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di verhandeln wird, um dafür zu sorgen, dass seine Hunderten Beschäftigten in absehbarer Zukunft auf dem Niveau des öffentlichen Dienstes und damit deutlich besser als bislang bezahlt werden: Altenpflegerinnen, Krankenpfleger, Erzieherinnen, Verwaltungsangestellte bis hin zum Hausmeister. Zum 1. Januar 2020, erklärt Albrecht, der Vorstandsvorsitzende des Regionalverbandes, solle nach seinen Vorstellungen ein entsprechender Angleichungstarifvertrag in Kraft treten. Damit sollten die bestehenden Gehaltslücken zwischen dem heutigen Lohnniveau der dort Beschäftigten und dem vergleichbaren Lohngefüge im öffentlichen Diensts innerhalb von ein bis drei Jahren geschlossen werden. Bsirske, der ver.di-Chef, sagt dazu: »Man kann das nur wärmsten Herzens begrüßen.«
Die bessere Bezahlung soll helfen, soziale Berufe attraktiver zu machen. Alleine in der Altenpflege sind bundesweit zehntausende Stellen unbesetzt. Bei Krankenpflegern ist die Lage ähnlich. Und auch an Kitas wird bundesweit dringend Personal gesucht. »Die Aufwertung dieser Berufsfelder ist ein Gebot der Stunde«, sagt Bsirske.
Selbst einfache Mitarbeiter von großen deutschen Autokonzernen verdienen oft deutlich mehr als Männer und – vor allem – Frauen, die sich beruflich um andere Menschen kümmern; wobei die Gehälter im öffentlichen Dienst für solche Tätigkeiten in der Regeln höher sind als die Gehälter in der Privatwirtschaft. Während manche AWO-Altenpfleger nach dem für sie geltenden Tarifvertrag zwischen 2200 und 3000 Euro brutto pro Monat erhielten, bekämen Altenpfleger, die auf dem Niveau des öffentlichen Dienstes bezahlt werden, zwischen 2800 und 3500 Euro brutto monatlich, sagt Bsirske.
Über den Pflegenotstand wurde in den vergangenen Monaten in Deutschland viel geredet. Der AWORegionalverband Mitte-West-Thüringen lässt dieser Debatte nun Taten folgen, indem er sich dem Arbeitgeberverband der AWO Deutschland anschließt und so den Weg für Tarifverhandlungen mit ver.di ebnet. Die zu erwartenden Mehrpersonalkosten gibt Albrecht mit etwa zwei Millionen Euro jährlich an. Geld, das zum Beispiel die Kranken- und Pflegekassen werden aufbringen müssen.
Die AWO hat in Thüringen etwa 20 Kreisverbände. Auch wenn Albrecht zumindest verhalten davon spricht, er sei zuversichtlich, dass auch andere AWO-Teile seinem Beispiel folgen und ihre Mitarbeiter demnächst auf dem Niveau des öffentlichen Dienstes bezahlen, ist die Reaktion des Landesverbandes doch eher harsch.
Kaum nämlich hatten Albrecht und Bsirske an diesem Tag in Erfurt ihre Absichten kundgetan, ließ Thüringens AWO-Geschäftsführer Ulf Grießmann mitteilen, er bedauere das Ausscheiden des Regionalverbandes Mitte-West-Thüringen aus dem gemeinsamen Arbeitgeberverband der Thüringer AWO-Verbände. »Der Alleingang« sei unnötig gewesen, sagt Grießmann. Denn auch der Landesverband unterstütze die ver.di-Forderungen nach mehr Personal und Entlastung sowie angemessener Bezahlung in der Sozialwirtschaft. Ob man mit der Gewerkschaft ebenfalls schon bald Gespräche aufnehmen will, ließ der Landesverband allerdings offen.