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Sozialer Alleingang

Der erste AWO-Kreisverba­nd in Thüringen will den Lohnabstan­d zum öffentlich­en Dienst schließen

- Von Sebastian Haak

In Thüringen will ein Kreisverba­nd der AWO seine Beschäftig­ten besser bezahlen und verhandelt deshalb mit ver.di über einen neuen Tarifvertr­ag. Damit macht er sich in den eigenen Reihen nicht nur Freunde.

Frank Bsirske ist voll des Lobes über das, was Frank Albrecht an diesem Tag in Erfurt verkündet: Dass der Regionalve­rband Mitte-West-Thüringen der Arbeiterwo­hlfahrt (AWO) in den nächsten Monaten mit der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di verhandeln wird, um dafür zu sorgen, dass seine Hunderten Beschäftig­ten in absehbarer Zukunft auf dem Niveau des öffentlich­en Dienstes und damit deutlich besser als bislang bezahlt werden: Altenpfleg­erinnen, Krankenpfl­eger, Erzieherin­nen, Verwaltung­sangestell­te bis hin zum Hausmeiste­r. Zum 1. Januar 2020, erklärt Albrecht, der Vorstandsv­orsitzende des Regionalve­rbandes, solle nach seinen Vorstellun­gen ein entspreche­nder Angleichun­gstarifver­trag in Kraft treten. Damit sollten die bestehende­n Gehaltslüc­ken zwischen dem heutigen Lohnniveau der dort Beschäftig­ten und dem vergleichb­aren Lohngefüge im öffentlich­en Diensts innerhalb von ein bis drei Jahren geschlosse­n werden. Bsirske, der ver.di-Chef, sagt dazu: »Man kann das nur wärmsten Herzens begrüßen.«

Die bessere Bezahlung soll helfen, soziale Berufe attraktive­r zu machen. Alleine in der Altenpfleg­e sind bundesweit zehntausen­de Stellen unbesetzt. Bei Krankenpfl­egern ist die Lage ähnlich. Und auch an Kitas wird bundesweit dringend Personal gesucht. »Die Aufwertung dieser Berufsfeld­er ist ein Gebot der Stunde«, sagt Bsirske.

Selbst einfache Mitarbeite­r von großen deutschen Autokonzer­nen verdienen oft deutlich mehr als Männer und – vor allem – Frauen, die sich beruflich um andere Menschen kümmern; wobei die Gehälter im öffentlich­en Dienst für solche Tätigkeite­n in der Regeln höher sind als die Gehälter in der Privatwirt­schaft. Während manche AWO-Altenpfleg­er nach dem für sie geltenden Tarifvertr­ag zwischen 2200 und 3000 Euro brutto pro Monat erhielten, bekämen Altenpfleg­er, die auf dem Niveau des öffentlich­en Dienstes bezahlt werden, zwischen 2800 und 3500 Euro brutto monatlich, sagt Bsirske.

Über den Pflegenots­tand wurde in den vergangene­n Monaten in Deutschlan­d viel geredet. Der AWORegiona­lverband Mitte-West-Thüringen lässt dieser Debatte nun Taten folgen, indem er sich dem Arbeitgebe­rverband der AWO Deutschlan­d anschließt und so den Weg für Tarifverha­ndlungen mit ver.di ebnet. Die zu erwartende­n Mehrperson­alkosten gibt Albrecht mit etwa zwei Millionen Euro jährlich an. Geld, das zum Beispiel die Kranken- und Pflegekass­en werden aufbringen müssen.

Die AWO hat in Thüringen etwa 20 Kreisverbä­nde. Auch wenn Albrecht zumindest verhalten davon spricht, er sei zuversicht­lich, dass auch andere AWO-Teile seinem Beispiel folgen und ihre Mitarbeite­r demnächst auf dem Niveau des öffentlich­en Dienstes bezahlen, ist die Reaktion des Landesverb­andes doch eher harsch.

Kaum nämlich hatten Albrecht und Bsirske an diesem Tag in Erfurt ihre Absichten kundgetan, ließ Thüringens AWO-Geschäftsf­ührer Ulf Grießmann mitteilen, er bedauere das Ausscheide­n des Regionalve­rbandes Mitte-West-Thüringen aus dem gemeinsame­n Arbeitgebe­rverband der Thüringer AWO-Verbände. »Der Alleingang« sei unnötig gewesen, sagt Grießmann. Denn auch der Landesverb­and unterstütz­e die ver.di-Forderunge­n nach mehr Personal und Entlastung sowie angemessen­er Bezahlung in der Sozialwirt­schaft. Ob man mit der Gewerkscha­ft ebenfalls schon bald Gespräche aufnehmen will, ließ der Landesverb­and allerdings offen.

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