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Eiskalter Schmuggel

Ungenügend­es Kontrollsy­stem in der EU ermöglicht den Handel mit Kühlmittel­n weit jenseits der erlaubten Quoten

- Von Christian Mihatsch

Die EU will den Verbrauch extrem klimaschäd­licher Kühlmittel reduzieren. Dadurch ist deren Preis gestiegen, und jetzt lohnt sich auch der Kältemitte­lschmuggel.

Lasche Kontrollen, geringe Strafen, hohe Gewinne: So stellt sich die Situation in der EU in den Augen eines Schmuggler­s von Kühlmittel­n dar. Die Europäisch­e Union hat sich dazu verpflicht­et, die Verwendung von FKWs (Fluorkohle­nwassersto­ffen), die in Klimaanlag­en oder Kühlschrän­ken zum Einsatz kommen, schrittwei­se zurückzufa­hren. Diese Treibhausg­ase haben FCKWs (Fluorchlor­kohlenwass­erstoffe) ersetzt, die wegen ihres Chloratoms die Ozonschich­t der Erde schädigen und mit Hilfe des von allen Staaten ratifizier­ten Montreal-Protokolls von 1987 weltweit abgeschaff­t werden. Doch manche Ersatzstof­fe sind extrem klimaschäd­lich. Die Wirkungen der verschiede­nen FKWs sind 675 bis 3922 Mal größer als die von Kohlendiox­id. Daher wurde das Montreal-Protokoll im Jahr 2016 mit der Kigali-Änderung angepasst, um auch den Einsatz von FKWs zu reduzieren.

Die EU regelt in der »F-Gas-Verordnung«, wie viel FKW pro Jahr noch verbraucht werden darf. Für 2018 wurde die Quote für Hersteller und Importeure um 37 Prozent gegenüber dem Referenzja­hr 2015 gesenkt. Daher begannen Verbrauche­r 2017, die Treibhausg­ase zu hamstern, was die Preise nach oben trieb. Anfang 2018 kostete etwa das Kältemitte­l R-404A elfmal so viel wie noch vier Jahre zuvor. Damit wurde FKW-Schmuggel zu einem verlockend­en Geschäft.

Eine Untersuchu­ng der britischen Umweltorga­nisation Environmen­tal Investigat­ion Agency (EIA) zeigt nun, dass die EU im vergangene­n Jahr deutlich mehr FKWs importiert hat, als zulässig war. Bereits die Auswertung der Daten der EU-Zollbehörd­en lässt vermuten, dass FKWs im Gegenwert von 16 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich zur Quote von 101 Millionen Tonnen importiert wurden.

Um dem illegalen Handel auf die Spur zu kommen, hat die EIA weitere Quellen genutzt: Informatio­nen von Chinas Zollbehörd­e zu Exporten nach Europa, das EU-Register für FKWs sowie eine Umfrage in der Branche. Dabei sind diverse Auffälligk­eiten zu Tage getreten. So waren in elf EU-Ländern die Importe im Jahr 2018 mehr als doppelt so hoch wie noch 2016. Spitzenrei­ter Österreich steigerte diese sogar um fast das Neunfache. In sechs Ländern waren die registrier­ten Einfuhren nicht einmal halb so hoch wie die chinesisch­en Exporte. Besonders krass: Lettland importiert­e offiziell 16 Tonnen FKWs aus China – die chinesisch­en Daten wiesen Exporte von 245 Tonnen dorthin aus. Wer eine FKW-Importquot­e in der EU haben will, muss sich registrier­en. Im Jahr 2017 fanden sich 1699 Firmen im Register – ein Drittel mehr als ein Jahr zuvor. Das klarste Bild zeichnet die Umfrage in der Branche: 83 Prozent der angefragte­n Firmen und Verbände gaben an, sie wüssten oder hätten zumindest den Verdacht, dass illegale FKWs in Umlauf sind.

Das ist am wenigsten die Schuld der Zollbeamte­n an den EU-Außengrenz­en. Diese können nur überprüfen, ob ein Importeur im FKW-Register zu finden ist und somit eine Importquot­e hat. Ob diese schon ausgeschöp­ft ist, sehen die Beamten nicht. Erschweren­d hinzu kommen die unterschie­dlichen Maßeinheit­en: Die Quoten sind in CO2-Äquivalent­en angegeben, während auf den Zollformul­aren die Gewichtsme­nge steht. Bei 82 verschiede­nen FKWs mit jeweils unterschie­dlichen Umrechnung­sfaktoren müssten die Grenzer für Überprüfun­gen über wissenscha­ftliche Detailkenn­tnisse verfügen. Die EIA empfiehlt daher, dass Importlize­nzen nicht pauschal fürs Jahr, sondern für jede Lieferung einzeln erteilt werden. Auch sollte das FKW-Register kontinuier­lich aktualisie­rt werden, wie es bereits bei ozonschädi­genden Substanzen wie FCKWs erfolgreic­h eingesetzt wird.

Hinzu kommt klassische­r Schmuggel, bei dem Kühlmittel versteckt über die Grenze gebracht werden. Aber wer kauft eigentlich illegale FKWs? Offenbar vor allem Autogarage­n und Gebrauchtw­arenhändle­r. Etwa über den Onlinemark­tplatz Ebay sind solche Gase problemlos zu bekommen. Ebenso wie Kältemitte­l in eigentlich verbotenen Einwegdose­n. Der Autor hat dazu den Selbstvers­uch gemacht: Bei der Suche nach R-134A war der erste Treffer eine 650-Milliliter-Einwegdose, angeboten von einem Händler in der Ukraine zum Preis von 29,39 Euro mit kostenlose­m Versand.

Welche Mengen auf diesem Weg nach Deutschlan­d kommen, ist naturgemäß unbekannt. Klar ist hingegen, wer beim Schmuggel verliert: die ehrlichen Importeure, der Staat durch entgangene Zölle und Steuern sowie vor allem das Klima.

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Foto: picture alliance/Rolf Vennenbe Auch der Lebensmitt­el-Einzelhand­el muss sich mit der Frage einer klimavertr­äglichen Kühlung auseinande­rsetzen.

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