nd.DerTag

Sensibel für Armut

- Claudia Krieg über bürgerlich­e Ängste vor armen Menschen

Armut ist nichts Selbstvers­chuldetes. Armut ist unter anderem der Effekt einer zynischen Sozialpoli­tik, die Menschen nach ihrem Nutzen für die Gemeinscha­ft oder die neoliberal­e Wirtschaft bewertet und dem Widerhall dieser Nutzbarmac­hungsideol­ogie in der Gesellscha­ft. »Wir müssen weg von der Verhaltens­prävention hin zur Verhältnis­prävention«, sagte eine Teilnehmer­in am Werkstattg­espräch der Caritas. Unbedingt! Aber bis dahin ist es ein weiter Weg. Auf diesem liegen eine gesellscha­ftliche und mediale Stigmatisi­erung von armen Menschen und eine bürgerlich­e Angst vor sozialen Konflikten und Themen, die sich aus einer Auseinande­rsetzung und Konfrontat­ion mit Armut ergeben: einem obdachlose­n Menschen ein paar Cent geben und zugleich Angst haben, ihm am nächsten Tag wieder zu begegnen, armen Kindern, die nicht leise und schamhaft sind, sondern laut und frech, aus Angst vor einer Form von Klassengew­alt aus dem Weg gehen, das Kind lieber nicht in der Einzugssch­ule mit den vielen türkischen Kindern anmelden. Es gibt für diese Ängste keine einfachen Lösungen. Aber etwas, das man als Armutssens­ibilität bezeichnen kann: Auch arme Menschen wollen für ihre Kinder das Beste. Manche armen Familien brauchen mehr institutio­nalisierte Hilfe, manche mehr gemeinscha­ftlichen Zuspruch, manche weniger Druck. Aber ganz sicher nötig ist ein politische Willen für mehr strukturel­le Armutsbekä­mpfung.

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Foto: nd/F. Schirrmeis­ter

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