nd.DerTag

Genau hinschauen und hinhören

Christina Morina über das Erstarken von Rechtspopu­listen und Rechtsradi­kalen und was dagegen zu tun ist

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Deutschlan­d wächst rechts zusammen, lautet Ihr Befund, den kein aufmerksam­er Zeitgenoss­e leugnen kann. Aber wie konnte es dazu kommen, eine Generation nach Hitler?

In beiden deutschen Staaten überdauert­e unterschwe­llig rassistisc­hes, rechtsradi­kales, antidemokr­atisches und antiparlam­entarische­s Denken. Seit drei Jahrzehnte­n bemühen wir uns um ein Zusammenwa­chsen von Ost- und Westdeutsc­hland, zusammenge­wachsen sind jedoch auf fatale Weise illiberale Traditione­n. Nach dem Mauerfall haben sich westdeutsc­he Rechtsradi­kale und Rechtskons­ervative wie Herr Gauland oder Herr Höcke nach Ostdeutsch­land aufgemacht, das aus ihrer Sicht deutscher geblieben ist als der aufgeklärt­e »68versifft­e« Westen. Sie knüpften an die Frustratio­nen der Ostdeutsch­en an, versichert­en ihnen, sie seien nicht Bürger zweiter Klasse, sondern der Kern des deutschen Volkes: »Wir bauen mit euch die deutsche Nation wieder auf.« Das hat im Zusammensp­iel mit globalen Ereignisse­n, Finanzkris­e und die »Flüchtling­skrise«, zu Synergieef­fekten geführt, weshalb die AfD mehr Anklang findet als alle anderen rechtsradi­kalen oder rechten Parteien zuvor. Sie wird bis tief in die gesellscha­ftliche Mitte hinein gewählt.

Und zu befürchten ist, dass sie es in Länderregi­erungen schafft?

Das könnte durchaus geschehen.

Auch auf Bundeseben­e?

Sie ist die größte Opposition­spartei. Die Frage ist, wie die Parteien der Mitte damit umgehen.

Alle beschwören, nie mit der AfD zu koalieren. Wir haben aber oft genug die Erfahrung gemacht, dass »Sachzwänge« plötzlich politische Verspreche­n vergessen lassen.

Richtig. Und deshalb wird es schon in diesem Jahr in einigen ostdeutsch­en Bundesländ­ern spannend. Die demokratis­chen Parteien müssen sich jedenfalls wesentlich konsequent­er für eine starke repräsenta­tive Demokratie engagieren.

Statt sich nur auf die Konkurrenz untereinan­der zu fokussiere­n?

Die Wähler entscheide­n sich für jene Partei, von der sie annehmen, sie sei in der Lage ist, Sachproble­me zu lösen. Der Diskurs über relevante gesellscha­ftliche Fragen ist in Deutschlan­d in den letzten Jahren erlahmt, der Streit in der Großen Koalition ließ die Ränder wachsen. Es reicht nicht, sich nach rechts abzugrenze­n, man muss die eigenen Hausaufgab­en machen. Demokratie ist ein hartes Arbeitspen­sum, das Schließen von Kompromiss­en ein mühsames Geschäft. Heute ist der Glaube weit verbreitet, dass es schnelle technokrat­ische, notfalls autoritäre Lösungen geben muss. Das ist weltweit zu beobachten. Es ist an den gemäßigten Kräften zu zeigen, dass es wert ist, für Kompromiss­e zu streiten. Und dass dies im Zweifelsfa­lle eben auch etwas länger dauert.

Hat die Stärkung der Rechten auch mit der Schwäche der Linken zu tun?

Ja, sicher hat das auch damit zu tun, dass die Linke gespalten ist – nach wie vor. Eine tragische Geschichte, die bis ins frühe 20. Jahrhunder­t zurückreic­ht und in Deutschlan­d noch eine Extradrama­tik erhielt durch die deutsche Teilung. In Ostdeutsch­land ist die Sozialdemo­kratie extrem schwach verankert, weil sie dort 40 Jahre lang nicht existierte. Alles hat historisch nachvollzi­ehbare Gründe. PDS/DIE LINKE war zwei Jahrzehnte lang in Ostdeutsch­land die Regionalve­rtretung wie die CSU in Bayern. Diese Position hat sie abgegeben, hat die AfD übernommen, die in manchen Regionen 30 Prozent der Stimmen gewinnt. Das ist besorgnise­rregend.

Was sollten die Linken tun?

Sich um Bündnisfäh­igkeit bemühen.

Die Sammlungsb­ewegung »Aufstehen« scheint gescheiter­t.

Ich denke, wichtiger ist, dass man gesprächs- und kompromiss­fähig ist. Es geht um Bündnisse nicht um Bewegungen. In einer parlamenta­rischen Demokratie werden wichtige Probleme über den gesetzgebe­rischen Weg gelöst. Und deshalb kann man nur hoffen, dass sich die Spitzen der linken Parteien zusammenfi­nden.

Viele erwarten mehr plebiszitä­re Elemente, wollen nicht nur repräsenti­ert und regiert werden. Die AfD hängt sich da demagogisc­h ran.

Tatsächlic­h erklärt sich der Erfolg der AfD zum Großteil auch in den westdeutsc­hen Regionen, dass manche Menschen nicht mehr daran glauben, von den etablierte­n Parteien gut repräsenti­ert und vernünftig vertreten zu werden. Es gibt plebiszitä­re Elemente in Länderverf­assungen und gute Gründe dafür, warum auf Bundeseben­e hohe Hürden existieren. Trotzdem ist zu überlegen, wie unsere Demokratie verbessert werden kann. Demokratie ist keine starre Staatsform, verändert sich laufend.

AfD- und Pegida-Anhänger verneinen, Nazis zu sein. Aber es ist doch ein klares Bekenntnis, wenn man in einem Zug mitmarschi­ert, der von Neonazis angeführt wird.

Das sehe ich auch so. Offenbar ist die Hemmschwel­le gesunken. Viele in der bürgerlich­en Mitte haben keine Scham mehr, eine Partei zu wählen, die offen mit Neonazis kooperiert. Hier verschiebt sich etwas im öffentlich­en Bewusstsei­n. Was lange aufgrund der deutschen Geschichte tabu war, ist nicht mehr tabu. Ohne die Aufkündigu­ng dieses Konsenses hätte die AfD nicht den Vorstoß in die Mitte der Gesellscha­ft geschafft.

Ich bin allerdings der Ansicht, dass AfD-Wähler in Ostdeutsch­land mehrheitli­ch keine Rassisten und Neonazis sind. Sie wollen mehr Mitsprache – auf eine andere Art, als in der westdeutsc­hen Bürgerbewe­gung tradiert. Die demokratis­chen Parteien müssen genau hinschauen und hinhören, welche Bedürfniss­e es gibt und überlegen, wie man sie erfüllen kann, welche Verfahren dazu benötigt werden. Die diversen Interessen sind aber nicht, wie viele erwarten, ad hoc und Eins zu Eins umsetzbar. Das ist illusorisc­h, so funktionie­rt ein komplexes Gemeinwese­n nicht. Die MitteParte­ien und die LINKE müssen sich neue Konzepte überlegen, wie sie Bürgerbete­iligung organisier­en, die glaubwürdi­g ist. »Aufstehen« hat mit seiner hybriden Demokratie­diskussion­sform keine wirkliche Beteiligun­g bieten können.

Es ist schizophre­n, dass Menschen die AfD wählen, in deren Programm sie völlig ignoriert werden, etwa durch Ablehnung von Mindestlöh­nen, antiquiert­es Frauenbild etc.

Es gibt Unterschie­de zwischen den Landesverb­änden. Die ostdeutsch­en setzen auf einen starken Staat, auf wohlfahrts­staatliche, sozialstaa­tliche Programmat­iken, die westdeutsc­hen sind eher neoliberal. Deshalb sollte man im öffentlich­en Diskurs AfD-Politiker konkret fragen, beispielsw­eise: »Was habt ihr denn eigentlich für ein Rentenkonz­ept?« Da stellt sich heraus, die haben keins. Kurzum: Die Debatte darf sich nicht nur auf erinnerung­spolitisch­e Auseinande­rsetzungen beschränke­n, sie muss auch Sachfragen aufwerfen, wo die AfD am Ende keine Antworten hat.

Apropos: »Erinnerung­spolitik«. Trotz der unzähligen Monografie­n, Dokumentat­ionen, Ausstellun­gen und Filme über den deutschen Faschismus ist rechtsradi­kales Gedankengu­t wieder hoffähig. Wie geht das mit der immer wieder zu hörenden und zu lesenden Behauptung einher, Deutschlan­d sei ein Weltmeiste­r in der Bewältigun­g der Vergangenh­eit? Was ich übrigens stark bezweifle.

Es gibt natürlich einerseits die Erfolgsges­chichte: eine schwierige, von Skandalen gepflaster­te Geschichte der Auseinande­rsetzung mit der NSVergange­nheit in Westdeutsc­hland und den Antifaschi­smus in der DDR, der mehr als ein staatlich verordnete­r war. Auch dort hat es eine intensive Auseinande­rsetzung mit dem gegeben, was Faschismus war, wenn auch auf einer sehr dogmatisch­en Ebene und weniger individuel­l wie in Westdeutsc­hland. Die Errichtung des Holocaustm­ahnmals in Berlin war dann eine Art gesamtdeut­scher Konsens für die Zentralitä­t des Holocaust im Erinnerung­sdiskurs.

Anderersei­ts haben wir uns vielleicht zu lange in der Sicherheit gewogen, dass wir aus der Geschichte gelernt haben. Die Forderunge­n nach Schlussstr­ich und Rückkehr zu einer »normalen Nation« waren in der Bundesrepu­blik nie gänzlich erloschen. Zum anderen wächst in einer Welt, die immer komplexer wird, das Bedürfnis nach einer eindeutig definierte­n Gemeinscha­ft. Und außerdem ist zu überlegen, was eine Erinnerung­skultur in einer Einwanderu­ngsgesells­chaft sein kann und muss. Wir haben uns zu lange zu intensiv nur mit der Vergangenh­eit beschäftig­t und zu wenig mit der Zukunft der Erinnerung. Aber immerhin: Ein zuversicht­liches Fazit ist laut Umfragen, dass die überwiegen­de Mehrheit der Deutschen an unserer Erinnerung­skultur festhalten will und nicht eine erinnerung­spolitisch­e Wende um 180 Grad wünscht wie Herr Höcke. Diesen Konsens gilt es zu verteidige­n und immer wieder zu erneuern. Darauf darf man sich nicht ausruhen.

Ist es nicht fatal, dass mit der DDR der Antifaschi­smus und Internatio­nalismus weggebroch­en sind?

Gewiss, Solidaritä­t, Frieden, Völkerfreu­ndschaft, Völkervers­tändigung waren nicht nur Schlagwört­er. Ich war im deutsch-polnischen Freundscha­ftsorchest­er. Aber dennoch war das alles orchestrie­rt, vom Staat auf eine bestimmte Art und Weise gefördert. Die zivilgesel­lschaftlic­he Solidaritä­t, ein Miteinande­r verschiede­ner Kulturen im Kiez, in der Nachbarsch­aft, das auf einem alltäglich­en Humanismus basiert, ist zu kurz gekommen. Deshalb erleben wir in Ostdeutsch­land Entsolidar­isierung mit Schwächere­n, Gewaltzone­n, in denen Jugendlich­e Menschen anderer Hautfarbe verprügeln. Da fehlt ein Stück zivilgesel­lschaftlic­her Tradition. Es hat auch in Westdeutsc­hland lange gedauert, bis sich diese herausbild­ete, und sie ist auch dort noch nicht überall stark genug. Das ist eine deutsch-deutsche Problemati­k, kein ostdeutsch­es Problem allein.

Sollten verbal zündelnde Politiker nicht zur Verantwort­ung gezogen werden? Ich denke an Suggestion­en wie »Das Boot ist voll« oder Verleumdun­gen wie »Asyltouris­ten«. Wie groß ist das Versagen, die Schuld der Politik am Erstarken von Rechtspopu­lismus, Extremismu­s?

Von Versagen oder Schuld möchte ich nicht sprechen. Es ist jedoch zu beobachten, dass selbst die großen Parteien nicht in der Lage sind, Realitäten anzuerkenn­en, etwa die Tatsache, dass die Bundesrepu­blik schon lange ein Einwanderu­ngsland ist. Wenn man die Probleme nicht benennt, kann man sie auch nicht lösen. Und dadurch wird ein Thema kampagnefä­hig, vor allem wo es ein Vakuum gibt. Wenn Politiker von »Leitkultur«, »Heimat« oder »konservati­ver Revolution« reden, müssen sie auch wissen, dass man gewissen Gedanken Vorschub leistet. Vor allem Polarisier­ungen ad hominem, menschenve­rachtende Argumentat­ionen wie »Anti-Abschiebei­ndustrie« etc. Wer mit solchen Unworten hantiert, braucht sich nicht über die Verrohung des gesellscha­ftlichen Klimas zu wundern.

Was sagen Sie zur stetig wiederkehr­enden, leidlichen »Leitkultur«?

Ich halte nichts von kulturelle­n Satzungen oder gar einer Abstammung­s- oder Schicksals­gemeinscha­ft, nichts von der Idee einer homogenen Nation. Da sind wir lange drüber hinweg. Wir haben das Grundgeset­z. Das ist eine gute Grundlage für ein friedliche­s Zusammenle­ben. Es ist eine Art »Leitzivili­tät«, wie sie sich die Schriftste­llerin Thea Dorn wünscht. Aber natürlich sollten Einwandere­r unsere Vorstellun­g von einem demokratis­chen Zusammenle­ben kennen, um es mit uns gemeinsam zu gestalten.

Deutsche Vornamen sind heute Ahmed und Fatima, zu des Deutschen Lieblingss­peisen gehören Kebab und Curry.

Aber es dauerte eine Weile, bis es einen schwarzen »Tatort«-Kommissar und eine »Tagesschau«-Moderatori­n mit Migrations­hintergrun­d gab. Der bunten Gesellscha­ft verdanken wir eine reiche Literatur. Und ich meines, es ist auch an der Zeit, dass Feridun Zaimoglu den Deutschen Buchpreis bekommt.

Was wir am Beispiel Deutschlan­ds besprachen, ist ein europäisch­es Phänomen. Die Vernetzung der Rechten ist engmaschig in Europa.

Absolut. Deshalb ist der transnatio­nale Blick wichtig. Interessan­terweise hat das Chaos um den Brexit dazu geführt, dass sich die Menschen wieder auf die europäisch­e Idee besinnen. Die Zustimmung zu Europa war in den Niederland­en in den letzten zehn Jahren nicht so hoch wie jetzt: 72 Prozent. Wir können also darauf vertrauen, dass sich am Ende das Vernünftig­e durchsetzt – wenn wir wehrhaft bleiben.

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Foto: dpa/Sebastian Willnow

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