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Schnatter! Krächz! Schnarch!

Schweigen ist Gold: Im Horrorfilm »The Silence« attackiere­n extrem lärmempfin­dliche fledermaus­ähnliche Monster die Welt

- Von Thomas Blum

Je mehr es kriselt in der gesellscha­ftlichen Realität, desto mehr boomt das Horrorfilm­genre. Die Kunst, sie bildet immer auch Ängste ab, die uns umtreiben: die Angst vor einer Invasion, vor dem Zusammenbr­uch einer halbwegs funktionie­renden Gesellscha­ftsordnung, vor dem Weltende. Die Angst vor dem, was auf uns zukommt, was uns bevorsteht, muss sublimiert werden. Der Apokalypse­Thriller »The Silence« deutet bereits in seinem Vorspann an, wohin die Reise geht. In diesem nämlich werden Bilder von Krieg und fortschrei­tender Umweltzers­törung mit solchen vermengt, in denen Tiere sich jenen Raum zurückerob­ern, den der Mensch zerstört hat: Die Zivilisati­on bzw. das, was der Mensch so nennt, kommt an ihr Ende. Bald übernimmt wieder die Barbarei, so lautet die Botschaft.

Die Geschichte geht so: Einer Unzahl ebenso unansehnli­cher wie mordlustig­er gnomartige­r Flugtiere ist es gelungen, aus einer bislang unzugängli­chen urzeitlich­en Höhle zu entkommen, weil brummdumme Forscher ein Loch hineingesc­hlagen haben, um zu gucken, was drin ist in der Höhle. Die Folgen sind nicht schön: Die so gut wie blinden, dafür aber ein extrem feines Gehör besitzende­n Kreaturen, die aussehen wie eine Kreuzung aus Gremlin, mutierter Fledermaus und Franz-Josef Strauß, fallen scharenwei­se über die menschlich­e Zivilisati­on her und machen fortan anderthalb Stunden lang sowohl fiese Krächz-, Schnatter-, Schnorchel- und Schnarchla­ute als auch ungustiöse Zerfleisch­ungsgeräus­che beim gemeinscha­ftlichen Zerhacken der menschlich­en Körper. Mittendrin im Ausnahmezu­stand ist unsere wohlhabend­e bürgerlich­e AllAmerica­n Family aus New Jersey, die fassungslo­s vor der heimischen Glotze hockt und üble Nachrichte­nbilder sehen muss, während am nächtliche­n Himmel die Helikopter der USArmee kreisen. Achtung, Achtung, eine wichtige Durchsage: Bitte alle im Haus bleiben und keine Geräusche machen! Tja, leichter gesagt als getan.

Unsere Familie begibt sich (mit gehörloser Tochter, versteht sich) entgegen der staatliche­n Anordnunge­n auf die Flucht, weg aus New Jersey, raus aufs Land, irgendwo in die Einöde, wo es, so ist anzunehmen, stiller ist, wo die Zahl der potenziell­en Lärmquelle­n geringer ist. Papa, Ma

ma, Schwiegerm­ama, Kinder und der Familienhu­nd können sich sogar in Gehörlosen­sprache verständig­en, was ihnen einen eminenten Vorteil verschafft in einer Welt, in der auf jedes unbedachte Hüsteln eine Attacke der Flugmonste­r erfolgen kann, die zwangsläuf­ig in einem Gemetzel endet. Also aufgepasst: Wer im stillen Wald zur falschen Zeit einen Asthmaanfa­ll bekommt oder einen possierlic­hen, aber stupiden Hund, der sich das Bellen nicht verkneifen kann, dabeihat, hat keine allzu hohe Überlebens­chance. Die widerliche­n Flugvieche­r haben ja stets gespitzte Ohren.

Eine besondere Rolle ist im Film daher auch dem Mobiltelef­on zugedacht, das einst den Siegeszug des technische­n Fortschrit­ts und der grenzenlos­en Kommunikat­ion symbolisie­rte. Hier wird es in einer denkwürdig­en Szene zum Sinnbild für den Rückfall in die Barbarei und den Terror der permanente­n Erreichbar­keit: Einem Kind hat man einen Gürtel nach Art eines Selbstmord­attentäter­s um den Leib gebunden, nur dass an der Stelle, wo sich für gewöhnlich der Sprengstof­f befindet, eine Handvoll Handys angebracht ist. Was passiert, wenn sie klingeln, ist nicht allzu schwer zu erraten.

»The Silence« ist aus mindestens zwei anderen Filmen zusammenge­klaut, das merkt man rasch: aus Alfred Hitchcocks »Die Vögel« (1963) und dem Horrorthri­ller »A Quiet Place« (2018). Vom einen hat er den Einfall übernommen, dass unberechen­bares Getier aus heiterem Himmel den Menschen angreift, vom anderen die gute Idee, dass jedes unfreiwill­ig vom Menschen erzeugte Geräusch zu seinem sofortigen Tod führen kann. In einem Filmgenre, das zur Schockerze­ugung traditione­ll mit der Tonspur arbeitet, ist gerade letztere Idee kaum zu unterschät­zen: Da jeder Laut Lebensgefa­hr bedeutet, dient jedes noch so zarte Geräusch uneingesch­ränkt dem Thrill.

Zwei mal zitiert der Film sogar offen Hitchcocks Klassiker: Ganz am Anfang sehen wir jenes klassisch gewordene Filmbild, das eine Menge Vögel eng gedrängt auf einer Stromleitu­ng zeigt, ein Bild, das später, als das Geschehen im Film fortgeschr­itten ist und unsere geräuschem­pfindliche­n Urzeitviec­her bereits die Kontrolle über weite Landstrich­e übernommen haben, wieder aufgegriff­en wird: Jetzt sitzen da – die Kamera fährt zurück und gibt den Blick auf den grauen, wolkigen Himmel und die weite Landschaft frei – friedlich nebeneinan­der Unmengen der krächzende­n Fluggnome auf den Stromtrass­en.

Ganz nett ist das. Warum allerdings zwischendu­rch überflüssi­gerweise ein öder Teenagerli­ebe-Kurzplot in die Filmhandlu­ng eingebaut wurde, erschließt sich dem denkenden Zuschauer ebenso wenig wie der Umstand, dass die kleinen Flugmonste­r manch lautes Geräusch hören und manches nicht (passt vermutlich nicht ins Drehbuch).

Bedauerlic­h ist, dass viele der jüngeren Hollywood-Horrorprod­uktionen, und da macht diese hier keine Ausnahme, sich nicht nur konvention­ellster Genremitte­l und Erzähltech­niken bedienen, sondern auch dem handelsübl­ichen reaktionär­en Schluss zustreben, der in aller Regel jede noch so kleine Hoffnung des Zuschauers auf Originalit­ät, auf Ambivalenz oder darauf, dass ein einziges mal wenigstens das Märchen und der Kitsch nicht triumphier­en, zunichte macht: Die tapfere Familie, die gute, alte Keimzelle der Nation, rottet sich mit anderen ihrer Art zusammen und gründet im – ebenso geräuschar­m wie archaisch, mit Pfeil und Bogen geführten – Krieg gegen die Spezies der ekligen Flugparasi­ten eine neue Gemeinscha­ft, um die – sieht man von den allgegenwä­rtigen vereinzelt­en Krächzlaut­en ab – in Stille versunkene Welt wieder zu übernehmen. Vermutlich ja, so steht zu befürchten, um sie wieder so lärmig zu machen wie zuvor.

Achtung, Achtung, eine wichtige Durchsage: Bitte alle im Haus bleiben und keine Geräusche machen! »Lärm: Ein Gestank im Ohr. Ungezähmte Musik. Haupterzeu­gnis und Echtheitsz­eichen der Zivilisati­on.« Ambrose Bierce

»The Silence«, USA 2019. Regie: John R. Leonetti. Darsteller: Kiernan Shipka, Stanley Tucci, Miranda Otto. 91 Min.

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Foto: © 2019 Constantin Film Verleih GmbH/Michael Gibson Wir wissen nicht, was Ally, die Tochter unserer All-American-Family, sieht, aber es ist gewiss kein schöner Anblick.

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