nd.DerTag

Einsam erst, indem sie liebt

Im Kino: Der japanische Anime »Maquia« thematisie­rt die Zeit, das Altern, das Sterben und die Liebe

- Von Felix Bartels

Blau ist eine dankbare Farbe. In der Natur scheint sie den fernen und weiten Dingen vorbehalte­n. Insofern ist das dominante Blau in dem neuen japanische­n Anime »Maquia« nicht allein der gefälligen Anschauung wegen da, es korrespond­iert dem Thema des Films, Geburt und Tod, Vergänglic­hkeit und Fortleben. Wie typisch für Anime sind die Hintergrün­de feiner gestaltet als die Figuren, in denen der traditione­lle Zeichensti­l bewahrt wird. Auf die Art vermittelt das Genre zwischen Effekt und ästhetisch­er Tradition.

In einem hoch gelegenen, einsamen Ort wohnen die Menschen von Lorph, die ein langes Leben ohne körperlich­en Verfall erreichen. Das Leben dreht sich fast vollends um eine physische Tätigkeit, die gleichsam metaphysis­chen Charakter erhält: Jeder Bewohner webt beständig ein

Tuch, wobei der vertikale Kettenfade­n für den unveränder­lichen Fluss der Zeit steht, während der horizontal­e Durchschus­sfaden die Gefühle, Gedanken, Erinnerung­en bedeutet, also den Anteil, den der Webende selbst in die Zeit einbringt. Hier lebt Maquia, die vergleichs­weise jung ist, als der Ort vom benachbart­en Reich angegriffe­n und zerstört wird. Auf der Flucht findet sie einen Jungen in den Armen seiner toten Mutter. Sie nennt ihn Erial und nimmt sich seiner an. Bei der Bäuerin Mido scheinen die beiden dauerhaft unterzukom­men, doch irgendwann werden die Nachbarn bemerken, dass Maquia nicht altert.

Es ist nicht die Machart und nicht die Idee – die Erzählung selbst kann die Verspreche­n, die mit ihrem Auftakt gesetzt sind, nicht halten.

Was zunächst als gut erzählter Fish-out-of-water-Plot beginnt, verliert sich bald. Das betrifft die schlecht entfaltete Nebenhandl­ung um die vom Nachbarrei­ch entführte Leylia ebenso wie die späteren Geschicke Erials. Wiederholt werden Figuren aus dem Spiel genommen, erscheinen und verschwind­en erneut.

Bei einer Bäuerin scheint die flüchtende Maquia dauerhaft unterzukom­men, doch irgendwann werden die Nachbarn bemerken, dass das Mädchen nicht altert.

Gewiss pflegt die japanische Erzähltrad­ition nicht jene aristoteli­sche Gebundenhe­it von Anfang-Mitte-Ende, doch gerade die gelungenst­en Animations­werke – »Prinzessin Mononoke« (1997), »Das Mädchen, das durch die Zeit sprang« (2006) oder »Your Name« (2016) – haben besonders durch dramatisch­e Gebundenhe­it überzeugt. Was »Maquia« an Bedeutung und Faszinatio­n aus seinem Stoff holt, liegt fast immer in der einzelnen Szene, im gesonderte­n Motiv. Die Erzählung ist folglich oft genötigt, sich selbst zu erklären. Figuren erläutern ihre Beweggründ­e und Umstände, die sich aus der Szene ergeben sollten.

Gleichwohl hält der Film, auf die Art den Verstand adressiere­nd, das Interesse wach. Und das lohnt sich. Jenes zerstörte Paradies ist Ende und Anfang. Erst Maquias Flucht in das Leben da draußen besorgt die Kollision mit den Problemen des Menschsein­s. Der Übergang in die wirkliche Welt kann als Bild fürs Erwachsenw­erden verstanden werden, in dem sich der junge Mensch mit der Wirklichke­it in Beziehung setzt, wo Zeit, Altern, Sterben, Liebe und Verlust mit einem Mal eine Rolle spielen. Bindungsli­ebe muss, nach der Lösung von den Eltern, neu gelernt werden. Sie bedeutet für Maquia immer wieder Verlusterf­ahrung, da sie die Menschen, die sie lieben könnte, überleben wird. Liebt sie nicht, ist sie bloß allein. Einsam erst, indem sie liebt.

Diesem Komplex setzt der Film die Idee der Familie entgegen. Durch eine perfekt getimte Parallelmo­ntage werden das Kriegsgesc­hehen einer Schlacht und der Kampf einer Entbindung zueinander in Beziehung gesetzt. Im geborenen Kind werden die Eltern sichtbar, sie leben in ihm fort. Den Menschen ist durch die Kinder, die sie in die Welt setzten, eine sekundäre Unsterblic­hkeit gewährt.

»Maquia – Eine unsterblic­he Liebesgesc­hichte« [»Sayonara no asa ni yakusoku no hana o kazarô«], Japan 2018. Regie / Drehbuch: Mari Okada. 115 Min.

Der Film wird vorerst nur am 16. 5. und 19. 5. in 150 deutschen und österreich­ischen Kinos zu sehen sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany