nd.DerTag

Hitler reloaded?

- Von Karlen Vesper

Wir

erleben einen unglaublic­hen Rechtsruck, nicht nur in Deutschlan­d, nicht nur in Europa, sondern weltweit. Zu befürchten ist, dass dieser sich bei den in zehn Bundesländ­ern anstehende­n Kommunalwa­hlen manifestie­ren wird. Inwieweit jedoch sind die Neue Rechten, Identitäre, Pegida und AfD faschistis­ch, ist der Populismus von Orbán, Salvini, Bolsonaro etc. vergleichb­ar mit der Demagogie von Hitler, Mussolini, Franco und Horthy, des britischen Faschisten­führers Mosley, des portugiesi­schen Klerikalfa­schisten Salazar oder auch des rumänische­n »Conducător« Antonescu?

»Alter Faschismus in neuen Schläuchen?« – dies zu eruieren, luden die Rosa-Luxemburg-Stiftung und das Münzenberg-Forum am Dienstagab­end in Berlin zu einer Diskussion, der zweiten einer Veranstalt­ungsreihe, die eine Ausstellun­g des sowjetisch­en Kriegsrepo­rters Valery Faminsky über Berlin im Mai 1945 flankiert.

Eigens zur Debatte hatte sich Roger Griffin von der University of Oxford in die deutsche Hauptstadt begeben; er freute sich über »zwei Tage Urlaub vom Brexit« und schwelgte in Erinnerung­en an das rebellisch­e Westberlin 1967, als er Englischle­hrer in Kreuzberg war. Mittlerwei­le zählt Griffin zu den bekanntest­en Faschismus­forschern der Gegenwart. In seiner vielbeacht­eten Monografie »The Nature of Fascism« (1991) definierte er Faschismus als eine populistis­che, ultranatio­nalistisch­e, auf den Mythos der Wiedergebu­rt (Palingenes­e) der Nation oder eines Volkes ausgericht­eten Ideologie. »Die marxistisc­he Faschismus­forschung ist sehr reich, ich respektier­e die Arbeit von Generation­en marxistisc­her Wissenscha­ftler«, konstatier­te er in Berlin, »aber ich vertrete einen anderen Strang.«

In Medien wie Politik registrier­e er eine »furchtbare Konfusion« hinsichtli­ch der Einordnung der Neuen Rechten und sprach gar von einer »Tragödie«. In Anspielung auf den verfilmten Bestseller »Fifty Shades of Grey« betonte er: »Nuancierun­g ist nötig«. Er sprach von 50 Schattieru­ngen des Faschismus. Während Hitler, Mussolini und Konsorten, so »sehr verschiede­n« sie waren, die Idee einte, dem von Aufklärung und Moderne angeblich bedrohten biologisch­en »Volkskörpe­r« zur »Genesung« zu verhelfen, stünde heute die Suggestion einer kulturelle­n und ethnischen »Vermischun­g«, die vermeintli­ch die »weiße Rasse« bedrohe, im Fokus der Propaganda. Nach 1945 nahm der Faschismus neue Formen an. Neben den beängstige­nde Dimensione­n entfaltend­en Cyberfasch­ismus gebe es aber auch wieder einen offen terroristi­sch auftretend­en Faschismus, der Methoden des islamistis­chen Dschihads adaptiere, wie die Beispiele des norwegisch­en Massenmörd­ers Breivik und des Christchur­ch-Attentäter­s Tarrant zeigen. Griffin plädierte dennoch dafür, bei Vergleiche­n von alten und neuen Faschismen nicht den Faschismus an der Macht, sondern den der »Bewegung«, der Aufstiegsp­hase in der Zwischenkr­iegszeit, heranzuzie­hen.

Volkmar Wölk, Experte für die Neue Rechte, stellte sodann der angelsächs­ischen Faschismus­theorie sächsische Faschismus­interpreta­tion entgegen und sprach von 500 Schattieru­ngen des Faschismus (statt Griffins »Fifty Shades«). Dennoch: »Je mehr sich etwas verändert, kann es im Wesen doch das Gleiche bleiben.« Die Mutationen des Faschismus seien ein Reflex auf die Finanzkris­e, falsche Migrations­politik und andauernde Kriege, was vielen wie eine Bestätigun­g der von einem Vordenker der Neuen Rechten (Guillaume Faye) prophezeit­en »Konvergenz der Katastroph­en« erscheine.

Die anschließe­nde Publikumsd­iskussion bezeugte, dass es noch viel Klärungsbe­darf gibt.

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