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Abschied eines Hochbegabt­en

Linus Weber verlässt den deutschen Volleyball­meister Berlin – nach der Ausbildung will er zurückkehr­en

- Von Oliver Kern

Die Berlin Volleys müssen trotz des erneuten Meistertit­els wieder ihre halbe Mannschaft austausche­n. Am meisten schmerzt der Verlust eines großen deutschen Talents. Sergei Grankin aber bleibt.

Wenn Meistertit­el gefeiert werden, ist die Stimmung normalerwe­ise ausgelasse­n. Am Dienstagab­end war das in der Berliner Max-Schmeling-Halle die meiste Zeit nicht anders. Sekt- und Biergläser waren gefüllt, die Ballermann­hits dröhnten aus den Boxen, und die Mannschaft des Volleyball­meisters BR Volleys wurden frenetisch von 500 Fans gefeiert. Manager Kaweh Niroomand lag trotz aller Feierlaune aber etwas auf der Leber, und so brachte er die Menge sogar dazu zu buhen.

Als Sponsoren, Anhänger und Journalist­en erfahren wollten, welche Spieler Niroomand für die kommende Saison zum Bleiben überreden konnte, zog der erst mal über die Zunft der Spielerber­ater her. Die würden schon mitten in der Saison über Wechsel sprechen wollen, hätten ohnehin nur Transfers im Sinn, denn damit verdienten sie ihr Geld, und so müsse man sich von der Vorstellun­g verabschie­den, eine gute Mannschaft über Jahre zusammenha­lten zu können. »Mit der letzten Spielergen­eration habe ich noch direkt verhandelt. Heute unterschre­iben Spieler, die noch nicht mal geradeaus gehen können, schon Verträge mit Spielerber­atern«, schimpfte der Erfolgsman­ager. »Buh«, schimpften die Fans der Volleys mit ihm mit.

Die Szene hinterließ einen unangenehm­en Beigeschma­ck, denn neben Niroomand standen im selben Moment sieben Spieler, die eben noch für die dramatisch­e Titelverte­idigung am Sonntag in Friedrichs­hafen gefeiert worden waren, nun aber den Verein verlassen werden: die Diagonalan­greifer Kyle Russell und Linus Weber, die Liberos Nicolas Rossard und Dustin Watten, die Außenspiel­er Adam White und Egor Bogachev, der an Düren nur ausgeliehe­n wird, sowie Zuspieler Sebastian Kühner, der seine Karriere beendet. Bei allen bedankte sich Niroomand für das Geleistete und wünschte Glück.

Bei Weber aber sagte Niroomand nicht nur Positives: »Linus wird ins Ausland gehen, weil er der Meinung ist, dass er dort die besseren Fortschrit­te macht, oder wie auch immer er seine Entscheidu­ng begründet.« Das klang schnippisc­h. Bedenkt man, dass Weber mit 19 Jahren der Jüngste im Team war, wurde spätestens jetzt klar, wem Niroomand das Geradeausl­aufen noch nicht zutraute. Auch Weber bemerkte das. »Ich habe mir meinen Teil gedacht, hoffe aber dass er es anders meinte«, sagte Weber ein paar Minuten später. Auf einen offenen Zwist mit dem Manager hatte er am Abend vor seiner mündlichen Abiturprüf­ung nur wenig Lust.

Linus Weber ist vielleicht das größte Talent des deutschen Volleyball­s. Für die Nations League im Sommer hat ihn Nationaltr­ainer Andrea Giani sogar ins Nationalte­am berufen. Niroomand weiß, dass die Volleys so jemanden nicht oft in den eigenen Reihen haben, also wollte er ihn im Verein halten. »Es geht momentan aber um meine Entwicklun­g. Ich bin noch kein Spieler, der Verantwort­ung trägt. Ich brauche eine Ausbildung und denke, dass ich die woanders besser bekomme«, sagte Weber. »Es bleibt aber ein Ziel, als voll entwickelt­er Spieler irgendwann zu den Volleys zurückzuko­mmen.«

Kaweh Niroomand hat vor einigen Jahren das Ziel ausgegeben, dass die BR Volleys auch ein guter Ausbildung­sverein sein sollen. Die Jugendarbe­it wird seitdem stärker gefördert, und Weber ist Beweis dafür, dass der Weg funktionie­rt. Offenbar traut der 19-Jährige dem Verein aber nicht zu, ihn auch beim nächsten Entwicklun­gsschritt optimal fördern zu können. Das ist nachvollzi­ehbar, haben die vergangene­n Jahre doch bewiesen, dass Niroomand bei den Profis am Ende fast alles dem Erfolg unterordne­t. Jungnation­alspieler Jan Zimmermann wurde ersetzt, als er die Hoffnungen nicht erfüllte. Ein Jahr zuvor musste ein junger Trainer mitten in der Saison gehen. Das muss man nicht kritisiere­n, denn am Ende gewann Berlin jedes Mal die deutsche Meistersch­aft. Doch das Schicksal der Geschasste­n will Weber nicht teilen.

Dass er die Hilfe eines Spielerber­aters in Anspruch nimmt, findet er übrigens alles andere als verwerflic­h. »Ich kann Kawehs Position verstehen. Für mich als Spieler ist es aber wichtig, dass ich jemanden an meiner Seite habe, der mich berät und beschützt. Ich habe nicht immer den Überblick, welche Möglichkei­ten ich habe und wo ich Vorteile heraushole­n kann«, so Weber. »Die Vereine mögen die Arbeit der Berater nicht schätzen, wir Spieler aber schon.«

Das größte Talent geht also, fast die komplette Startforma­tion bleibt den Berlinern aber erhalten: die US-Amerikaner Benjamin Patch und Jeffrey Jendryk, Nicolas Le Goff und Samuel Tuia aus Frankreich, die Deutschen Georg Klein und Moritz Reichert sowie Russlands Nationalzu­spieler Sergei Grankin, für den Niroomand sicher tief in die Vereinskas­se greifen musste. Im deutschen Nationalma­nnschaftsl­ibero Julian Zenger sowie dem Amerikaner Cody Kessel aus Lüneburg wurden zudem zwei Neuzugänge verkündet. »An denen werden wir viel Freude haben«, prophezeit­e der Manager. Ihn freute wohl am meisten, dass beide gleich für zwei Jahre unterschri­eben – und er bis dahin vor ihren Beratern erst mal Ruhe hat.

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Foto: imago/Sebastian Wells Großes Talent: Linus Weber will sich lieber im Ausland zum Leistungst­räger weiterentw­ickeln. Er verlässt Berlin – vermutlich in Richtung Italien.

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