Abschied eines Hochbegabten
Linus Weber verlässt den deutschen Volleyballmeister Berlin – nach der Ausbildung will er zurückkehren
Die Berlin Volleys müssen trotz des erneuten Meistertitels wieder ihre halbe Mannschaft austauschen. Am meisten schmerzt der Verlust eines großen deutschen Talents. Sergei Grankin aber bleibt.
Wenn Meistertitel gefeiert werden, ist die Stimmung normalerweise ausgelassen. Am Dienstagabend war das in der Berliner Max-Schmeling-Halle die meiste Zeit nicht anders. Sekt- und Biergläser waren gefüllt, die Ballermannhits dröhnten aus den Boxen, und die Mannschaft des Volleyballmeisters BR Volleys wurden frenetisch von 500 Fans gefeiert. Manager Kaweh Niroomand lag trotz aller Feierlaune aber etwas auf der Leber, und so brachte er die Menge sogar dazu zu buhen.
Als Sponsoren, Anhänger und Journalisten erfahren wollten, welche Spieler Niroomand für die kommende Saison zum Bleiben überreden konnte, zog der erst mal über die Zunft der Spielerberater her. Die würden schon mitten in der Saison über Wechsel sprechen wollen, hätten ohnehin nur Transfers im Sinn, denn damit verdienten sie ihr Geld, und so müsse man sich von der Vorstellung verabschieden, eine gute Mannschaft über Jahre zusammenhalten zu können. »Mit der letzten Spielergeneration habe ich noch direkt verhandelt. Heute unterschreiben Spieler, die noch nicht mal geradeaus gehen können, schon Verträge mit Spielerberatern«, schimpfte der Erfolgsmanager. »Buh«, schimpften die Fans der Volleys mit ihm mit.
Die Szene hinterließ einen unangenehmen Beigeschmack, denn neben Niroomand standen im selben Moment sieben Spieler, die eben noch für die dramatische Titelverteidigung am Sonntag in Friedrichshafen gefeiert worden waren, nun aber den Verein verlassen werden: die Diagonalangreifer Kyle Russell und Linus Weber, die Liberos Nicolas Rossard und Dustin Watten, die Außenspieler Adam White und Egor Bogachev, der an Düren nur ausgeliehen wird, sowie Zuspieler Sebastian Kühner, der seine Karriere beendet. Bei allen bedankte sich Niroomand für das Geleistete und wünschte Glück.
Bei Weber aber sagte Niroomand nicht nur Positives: »Linus wird ins Ausland gehen, weil er der Meinung ist, dass er dort die besseren Fortschritte macht, oder wie auch immer er seine Entscheidung begründet.« Das klang schnippisch. Bedenkt man, dass Weber mit 19 Jahren der Jüngste im Team war, wurde spätestens jetzt klar, wem Niroomand das Geradeauslaufen noch nicht zutraute. Auch Weber bemerkte das. »Ich habe mir meinen Teil gedacht, hoffe aber dass er es anders meinte«, sagte Weber ein paar Minuten später. Auf einen offenen Zwist mit dem Manager hatte er am Abend vor seiner mündlichen Abiturprüfung nur wenig Lust.
Linus Weber ist vielleicht das größte Talent des deutschen Volleyballs. Für die Nations League im Sommer hat ihn Nationaltrainer Andrea Giani sogar ins Nationalteam berufen. Niroomand weiß, dass die Volleys so jemanden nicht oft in den eigenen Reihen haben, also wollte er ihn im Verein halten. »Es geht momentan aber um meine Entwicklung. Ich bin noch kein Spieler, der Verantwortung trägt. Ich brauche eine Ausbildung und denke, dass ich die woanders besser bekomme«, sagte Weber. »Es bleibt aber ein Ziel, als voll entwickelter Spieler irgendwann zu den Volleys zurückzukommen.«
Kaweh Niroomand hat vor einigen Jahren das Ziel ausgegeben, dass die BR Volleys auch ein guter Ausbildungsverein sein sollen. Die Jugendarbeit wird seitdem stärker gefördert, und Weber ist Beweis dafür, dass der Weg funktioniert. Offenbar traut der 19-Jährige dem Verein aber nicht zu, ihn auch beim nächsten Entwicklungsschritt optimal fördern zu können. Das ist nachvollziehbar, haben die vergangenen Jahre doch bewiesen, dass Niroomand bei den Profis am Ende fast alles dem Erfolg unterordnet. Jungnationalspieler Jan Zimmermann wurde ersetzt, als er die Hoffnungen nicht erfüllte. Ein Jahr zuvor musste ein junger Trainer mitten in der Saison gehen. Das muss man nicht kritisieren, denn am Ende gewann Berlin jedes Mal die deutsche Meisterschaft. Doch das Schicksal der Geschassten will Weber nicht teilen.
Dass er die Hilfe eines Spielerberaters in Anspruch nimmt, findet er übrigens alles andere als verwerflich. »Ich kann Kawehs Position verstehen. Für mich als Spieler ist es aber wichtig, dass ich jemanden an meiner Seite habe, der mich berät und beschützt. Ich habe nicht immer den Überblick, welche Möglichkeiten ich habe und wo ich Vorteile herausholen kann«, so Weber. »Die Vereine mögen die Arbeit der Berater nicht schätzen, wir Spieler aber schon.«
Das größte Talent geht also, fast die komplette Startformation bleibt den Berlinern aber erhalten: die US-Amerikaner Benjamin Patch und Jeffrey Jendryk, Nicolas Le Goff und Samuel Tuia aus Frankreich, die Deutschen Georg Klein und Moritz Reichert sowie Russlands Nationalzuspieler Sergei Grankin, für den Niroomand sicher tief in die Vereinskasse greifen musste. Im deutschen Nationalmannschaftslibero Julian Zenger sowie dem Amerikaner Cody Kessel aus Lüneburg wurden zudem zwei Neuzugänge verkündet. »An denen werden wir viel Freude haben«, prophezeite der Manager. Ihn freute wohl am meisten, dass beide gleich für zwei Jahre unterschrieben – und er bis dahin vor ihren Beratern erst mal Ruhe hat.