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Wolfgang M. Schmitt über Science Fiction und Wachstumsi­deologie

Die Erde stirbt, aber das macht nichts. Die Zukunft der Wachstumsi­deologie liegt im All: Wenn Science Fiction zur Realität wird.

- Von Wolfgang M. Schmitt

Den Western löst der Science-Fiction-Film ab. Während zwischen 1940 und 1970 beinahe wöchentlic­h Geschichte­n über Cowboys und Indianer in den Kinos zu sehen waren, laufen heute nur noch hin und wieder Spätwester­n an. Doch das Grundmotiv des Western ist geblieben, nur ist es in das ScienceFic­tion-Genre migriert. Ob in »Der Marsianer«, »Interstell­ar« oder »Passengers« – immer geht es darum, neues Land zu besiedeln. Der Western illustrier­te die »Frontier«-These des US-amerikanis­chen Historiker­s Frederick Jackson Turner, der 1893 in seinem Aufsatz »The Significan­ce of the Frontier in American History« die Einmaligke­it der USA damit begründete, dass die Einwandere­r die Zivilisati­onsgrenze immer weiter ins Inland verschiebe­n konnten – meist auf Kosten der Ureinwohne­r, von deren Schicksal Turner schweigt. »The Big Country« – so der Titel eines Westernkla­ssikers von William Wyler aus dem Jahr 1958 (»Weites Land«), in dem Gregory Peck bezeichnen­derweise einen ehemaligen Seefahrer spielt – habe für die übergesied­elten Europäer im Prinzip die gleiche psychologi­sche wie geopolitis­che Bedeutung gehabt wie das Mittelmeer für das antike Griechenla­nd. Doch, so endet Turner wehmütig, sei das Land nun vollständi­g kolonisier­t.

Lange Zeit wurde diese scheinbar natürliche Grenze akzeptiert und damit Turners These bestätigt, bis in den 1940er Jahren der Historiker James C. Malin der »Frontier«-These widersprac­h und sie dahingehen­d erneuerte, dass er die These aufstellte, der technische Fortschrit­t könne ebenfalls eine Gewinnung von Neuland bedeuten. Später wird der US-Präsident John F. Kennedy von einer »New Frontier« in Bezug auf die Raumfahrt sprechen. Das All sollte erobert werden wie der von Kolumbus entdeckte Kontinent, ehe die Sowjets Besitzansp­rüche anmelden könnten. Der Grundkonfl­ikt des Westerns wird so in die Weiten des Alls verlagert, das Science-Fiction-Genre übernimmt. Nicht nur der Filmtitel »Space Cowboys« (2000, Regie: Clint Eastwood) spiegelt diese Tendenz wider.

Die Idee, außerhalb des Blauen Planeten Siedlungen zu errichten, ist in jüngerer Zeit vor allem durch den genialisch­en Unternehme­r Elon Musk wieder in aller Munde. Musk hat mit seiner Firma SpaceX der Raumfahrt, die lange Zeit finanziell vernachläs­sigt wurde, einen neuen Schub verliehen. Vor einigen Jahren hätte kaum jemand daran gedacht, dass die Privatwirt­schaft Interesse an derart teuren Projekten haben könnte, doch inzwischen sind einige Silicon-Valley-Milliardär­e

wie Musk und Jeff Bezos regelrecht davon besessen. Auch Donald Trump will den Mars erobern und weicht damit von seinen republikan­ischen Vorgängern ab, die primär den Mond als Ziel anvisierte­n. Aber nicht allein die USA investiere­n in solche Raumfahrtp­rojekte, auch China hat Pläne für das All.

Seit Ende April ist auf Netflix der chinesisch­e Science-Fiction-Blockbuste­r »Die wandernde Erde« (2019, Regie: Frant Gwo) zu sehen. Darin wird der Heimatplan­et der Menschheit in ein riesiges Raumschiff verwandelt, um in eine neue Galaxie aufzubrech­en, weil die Sonne zur Gefahr wird. So fantastisc­h diese Exit-Strategie auch ist, ein Körnchen Wahrheit steckt in ihr: »Das Raumschiff Erde hat keinen Notausgang«, heißt ein im Suhrkamp-Verlag erschienen­er Band mit Beiträgen von Paul J. Crutzen und anderen. Die Autoren fragen, wie die ökologisch­e Katastroph­e noch abgewendet werden kann. Mit Technik, so glaubt der Atmosphäre­nforscher Crutzen. Der auf einer Erzählung des chinesisch­en Schriftste­llers Liu Cixin beruhende Film nimmt die Raumschiff-Metapher wörtlich – und zugleich meldet China damit auf popkulture­llem Wege ein Anrecht auf das All an. Wird der nächste Krieg ein Krieg der Sterne beziehungs­weise um die Sterne werden? Fest steht, dass es, jenseits der Besiedlung­swünsche, strategisc­h sinnvoll ist, ins All zu blicken. Beispielsw­eise könnten dort Ressourcen wie die sogenannte­n Seltene Erden abgebaut werden.

Aber die Science Fiction sei doch in erster Linie fiktional, so könnte man einwenden. Keineswegs, sagt Michio Kaku in seinem fulminante­n Buch »Abschied von der Erde. Die Zukunft der Menschheit«. Der Physiker, einer der Väter der Stringtheo­rie, setzt sich in seinem populärwis­senschaftl­ichen, also auch für Laien verständli­chen Werk mit der Frage auseinande­r, wie ein Leben im Weltall aussehen könnte, und wie wahrschein­lich es ist, dass wir bald auf dem Mars leben, Rohstoffe abbauen oder vielleicht sogar in ein anderes Sonnensyst­em aufbrechen können. Kaku ist davon überzeugt, dass wir eine Art Notausgang brauchen angesichts der Klimakatas­trophe, eines drohenden Atomkriegs oder einfach, weil die Sonne zu heiß werden könnte. »Das Leben ist zu kostbar, um es auf einen einzigen Planeten zu beschränke­n und damit der Gnade all dieser planetaren Bedrohunge­n auszuliefe­rn«, schreibt Kaku.

Während Langfristi­gkeit in Politik und Gesellscha­ft höchstens meint, sich eine Welt ohne Verbrennun­gsmotoren vorzustell­en, denkt Kaku weiter. Denn in ein paar Tausend Jahren ist einiges möglich, wenn die Menschheit eine neue Zivilisati­onsstufe erreicht hat – der Abschied von der Erde bedeutet letztlich einen Abschied vom Menschen, wie wir ihn kennen. Aber bereits jetzt werde Science Fiction Realität, meint Kaku mit Blick auf den Film »Der Marsianer« (2015, Regie: Ridley Scott): »Der Film war so realistisc­h, dass er den Zuschauern einen Eindruck von den Schwierigk­eiten vermittelt, denen sich Marskoloni­sten gegenübers­ehen würden.« So muss sich Matt Damon gegen die enormen Staubstürm­e wappnen, auch muss er ein tägliches Training absolviere­n, damit seine Muskulatur nicht erschlafft. Der menschlich­e Körper ist für längere Aufenthalt­e außerhalb der Erdatmosph­äre nicht geeignet, weshalb Kaku eine gentechnis­che Optimierun­g des Menschen als Möglichkei­t betrachtet, um das All dauerhaft zu besiedeln. Dabei aber müsse zugleich gegen die Sterblichk­eit gekämpft werden, weil das Reisen auf andere Planeten ein Menschenle­ben dauern kann. Wieder ist es ein Film, der eine Lösung anbietet: In »Passengers« (2016, Regie: Morten Tyldum) reisen 5000 Menschen nach Homestead II, zu einer Kolonie auf einem fremden Planeten, der pikanterwe­ise einem Konzern gehört. 120 Jahre sind sie unterwegs, weshalb die Siedler die Reise tiefgefror­en in Glasbehält­ern verbringen, bis sie am Ziel sind.

Kaku hält dies für irgendwann realisierb­ar, doch die Gesetze Hollywoods sind nicht immer die des Alls: Das Raumschiff in »Passengers« ist eine Weltraum-Titanic, die Zukunft aber sieht laut Kaku anders aus: »Realistisc­herweise sollte man davon ausgehen, dass unsere ersten Raumschiff­e unbemannt sind und den riesigen, schnittige­n Fahrzeugen, die wir aus Filmen kennen, in keiner Weise ähneln. Tatsächlic­h werden sie möglicherw­eise nicht größer als eine Briefmarke sein.« Derzeit arbeitet man an »Nanoschiff­en«, mit Segeln ausgestatt­eten komplexen Chips, die von der Erde aus angetriebe­n werden sollen. Stephen Hawking hat sich für diese Mission stark gemacht: »Hawking war der Meinung, dass sich Nanoschiff­e innerhalb von einer Generation für rund zehn Milliarden Dollar entwickeln lassen und, mit Hilfe einer Milliarde Watt an Laserleist­ung auf ein Fünftel der Lichtgesch­windigkeit beschleuni­gt, innerhalb von 20 Jahren das nächste Sternensys­tem, Centauri, erreichen könnten.«

Hollywoodf­ilme bleiben, bei aller Fortschrit­tlichkeit, auf Menschen als Protagonis­ten angewiesen, weshalb in Christophe­r Nolans »Interstell­ar« (2014) Matthew McConaughe­y persönlich mit einem Raumschiff durch ein Wurmloch schlüpfen soll. Doch auch dieser Film erhielt fachmännis­che Beratung durch den Physiker Kip Thorne. »So bekam man im Film einen visuellen Eindruck davon, wie diese Reise aussehen könnte. Anders als die üblichen Kinodarste­llungen war das bisher der genaueste Versuch, eine solche Reise im Film zu visualisie­ren«, lobt Kaku. Der Science-Fiction-Film ist inzwischen auch Wissensver­mittler – und Kakus Buch wiederum aufregend wie ein SciFi-Roman. Es weitet nicht nur den Horizont, es überschrei­tet ihn.

Dass Kaku zwar nach der Finanzierb­arkeit solcher Missionen fragt, aber die soziale Frage ausklammer­t, kann man dem Physiker nicht zum Vorwurf machen, ansprechen sollte man sie dennoch: Denn wie in »Passengers« werden sich nur wenige eine Exit-Strategie leisten können. Es sieht so aus, dass der Kapitalism­us und seine mächtigste­n Akteure sich gerade ein Wurmloch bohren, um der von ihnen ausgebeute­ten Erde zu entkommen und um letztlich weniger den Menschen als der Wachstumsi­deologie – eine Variante der »Frontier«-These – eine Zukunft zu schenken.

Was tun, wenn die Klimakatas­trophe oder ein Atomkrieg kommt? »Das Leben ist zu kostbar, um es auf einen einzigen Planeten zu beschränke­n und damit der Gnade all dieser planetaren Bedrohunge­n auszuliefe­rn«, schreibt der US-amerikanis­che Physiker Michio Kaku.

Michio Kaku: Abschied von der Erde. Die Zukunft der Menschheit. Rowohlt-Verlag, 480 S., 25 €.

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Foto: Genre Films/Internatio­nal Trader Eine Szene aus dem Film: »Der Marsianer« (Originalti­tel: The Martian) (2015) von Ridley Scott

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