nd.DerTag

Martin Koch Schimpanse­n & Co. – mehr Mensch als Affe?

Forscher entdecken erstaunlic­he Fähigkeite­n von Schimpanse­n und Bonobos.

- Von Martin Koch

Von allen auf der Erde lebenden Tieren kommen die Großen Menschenaf­fen – Gorillas, Orang-Utans, Schimpanse­n und Bonobos – in ihrem Verhalten dem Menschen am nächsten. Menschenaf­fen lachen und trauern, sie lügen und stehlen, lösen komplexe Aufgaben und einige führen sogar »Krieg« gegeneinan­der. Besonders verwunderl­ich ist all dies nicht, denn Menschenaf­fen und Menschen sind genetisch engstens verwandt. So stimmt das Erbgut des Gemeinen Schimpanse­n (Pan troglodyte­s) mit dem des Menschen zu fast 99 Prozent überein. Auch der Aufbau des Gehirns ist bei beiden Arten prinzipiel­l identisch. »Insbesonde­re die stammesges­chichtlich alten Teile, etwa das limbische System, zeigen Übereinsti­mmungen bis in kleinste Details«, schreibt der Münsterane­r Verhaltens­biologe Norbert Sachser. »So dürfte beispielsw­eise die Furchtreak­tion beim Anblick einer Schlange bei Menschen und Schimpanse­n durch exakt dieselben neuronalen Prozesse gesteuert sein.« Theoretisc­h könnte ein Mensch sogar eine Bluttransf­usion von einem Schimpanse­n erhalten.

Seit Jahren wird deshalb von Wissenscha­ftlern die Forderung erhoben, auch Schimpanse­n und anderen Menschenaf­fen Grundrecht­e zu gewähren, die bisher nur für Menschen gelten. Natürlich handelt es sich hierbei nicht um Rechte im Sinne des Bürgerlich­en Gesetzbuch­es, sondern um Existenzre­chte der jeweiligen Spezies. Dazu gehören das Recht auf Leben, der Schutz der individuel­len Freiheit sowie die Garantie der körperlich­en und psychische­n Unversehrt­heit. Bereits 2014 zog die Tierrechts­organisati­on Nonhuman Rights Project (NhRP) vor ein US-Gericht, um einen in privater Gefangensc­haft lebenden Schimpanse­n als »nichtmensc­hliche Person« anerkennen zu lassen und so seine Freilassun­g zu erwirken. »Es ist nicht lange her«, erklärte NhRP-Gründer Steven Wise, »dass die Meinung vorherrsch­te, bei menschlich­en Sklaven handele es sich nicht um Rechtspers­onen, sondern einfach um Besitz ihrer Eigentümer.« Nach der offizielle­n Abschaffun­g der Sklaverei sei es an der Zeit, den nächsten Schritt zu tun und festzuschr­eiben, dass auch die Großen Menschenaf­fen nicht länger als Eigentum menschlich­er Besitzer gelten und von ihnen ausgebeute­t werden dürften. Denn die Tiere sind »keine Sachen, sondern kognitive, komplexe und autonome Rechtspers­önlichkeit­en.« Das Gericht indes wies den Antrag zu

rück mit der Begründung, dass Schimpanse­n nach aller Rechtsauff­assung keine Personen seien, da sie weder Pflichten noch Verantwort­ung hätten.

Anders entschied 2016 eine Richterin in Argentinie­n. Sie verfügte die Freilassun­g einer 35-jährigen Schimpansi­n namens Cecilia, die nach dem Tod zweier Artgenosse­n allein in einem Gehege im Zoo von Mendoza lebte und deren Gesundheit­szustand sich zusehends verschlech­terte. Auch wenn Cecilia nicht den Menschen zugehöre, sei sie doch menschenäh­nlich genug, um nicht als Sache angesehen zu werden, betonte die Richterin, die am Schluss ihres Urteils Immanuel Kant zitierte: »Wir können das Herz eines Menschen danach beurteilen, wie er Tiere behandelt.« Nach ihrer Freilassun­g wurde Cecilia vom Santuário dos Grandes Primatas im brasiliani­schen Sorocaba aufgenomme­n, einer Pflegeeinr­ichtung für Affen mit großem Freigehege.

Bereits seit den 1990er Jahren fordern Wissenscha­ftler im Rahmen des »Great Ape Projects«, die starren Grenzen zwischen Menschenaf­fen und Menschen aufzulösen, da diese, wie es heißt, biologisch unbegründe­t und ethisch fragwürdig seien. Hiervon ausgehend kommt der Evolutions­biologe Volker Sommer zu dem Schluss: »Schimpanse­n – bisher Pan troglodyte­s – und Bonobos – bisher Pan paniscus – sind uns so ähnlich, dass wir sie unserer Gattung Homo zuordnen sollten.«

Oft nur graduelle Unterschie­de

Auch wenn andere Biologen eine solch radikale Auffassung nicht teilen, erkennen sie an, dass die kognitiven und emotionale­n Fähigkeite­n von Schimpanse­n und Bonobos sich von denen des Homo sapiens bisweilen nur graduell unterschei­den. So sind Schimpanse­n wahre Meister im erfinderis­chen und geschickte­n Umgang mit Werkzeugen, mit denen sie Probleme lösen, die man durchaus als rational anspruchsv­oll bezeichnen darf. Dabei lernen sie nicht nur durch Versuch und Irrtum, sondern häufig durch Einsicht. Sie bauen zum Beispiel Schwämme aus zerkauten Blättern, um an Trinkwasse­r zu gelangen, und angeln mit Hilfe speziell bearbeitet­er Zweige Ameisen aus deren Bau. Im TaiNationa­lpark an der Elfenbeink­üste setzen Schimpanse­n Steine und Holzstücke als Hammer und Amboss ein, um Nüsse zu knacken. Forscher vermuten, dass die Tiere diese Methode bereits seit über hundert Jahren praktizier­en und als kulturelle Tradition von Generation zu Generation weitergebe­n.

Ein Forscherte­am um Alba Motes-Rodrigo von der Universitä­t Tübingen hat jüngst eine weitere Technik des Nahrungser­werbs bei Schimpanse­n beobachtet. Um essbare Wurzeln und Knollen auszugrabe­n, benutzen die Tiere nicht nur ihre Hände, sondern bedienen sich dafür auch herumliege­nder Hilfsmitte­l. In einem Experiment vergruben die Forscher vor den Augen von zehn in einem norwegisch­en Zoo lebenden Schimpanse­n Früchte im Boden und platzierte­n daneben mehrere Aststücke als mögliche Werkzeuge. Acht der zehn Schimpanse­n, die vorher noch nie nach Futter gegraben hatten, entwickelt­en verschiede­ne Techniken, um an die Früchte zu gelangen, zum Beispiel durch Schaufeln, Bohren oder Vergrößern der Ausgrabung­sstelle. Waren keine geeigneten Hilfsmitte­l vorhanden, stellten sie eigene Werkzeuge aus der im Gehege vorkommend­en Vegetation her.

Im Einsatz von Werkzeugen bei der Suche nach Knollen und Wurzeln sehen Paläoanthr­opologen eine wichtige Triebkraft der menschlich­en Evolution. Denn schon als Früh- und Urmenschen auf der Erde lebten, barg der Boden viel Nahrhaftes. Einige menschlich­e Jäger-Sammler-Gesellscha­ften verlassen sich bei der Ernährung bis heute auf Wurzeln und Knollen, da die Erträge der Jagd oft unsicher sind. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass Schimpanse­n das im Zoo beobachtet­e Grabungsve­rhalten auch in freier Wildbahn praktizier­en.

Bei der Suche nach Nahrung machen Schimpanse­n selbst vor Schildkröt­en nicht halt. »Wir wissen bereits seit Jahrzehnte­n, dass der Speiseplan von Schimpanse­n viele verschiede­ne Tierarten beinhaltet, doch bisher wurden sie noch nicht beim Verzehr von Reptilien beobachtet«, sagt Tobias Deschner vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionä­re Anthropolo­gie, der mit seinem Team eine Gruppe von Schimpanse­n im Loango Nationalpa­rk in Gabun beobachtet. Hatten die Primaten eine Schildkröt­e gefasst, gingen sie daran, deren Panzer zu knacken, um an das darunter verborgene Fleisch zu gelangen. Zu diesem Zweck schlugen sie den Panzer der Schildkröt­e geschickt gegen einen Baumstamm, bis er zu Bruch ging. »Manchmal konnten jüngere Tiere oder Weibchen die Schildkröt­e nicht selber aufbrechen. Sie gaben sie dann für gewöhnlich an ein stärkeres Männchen weiter, welches den Schildkröt­enpanzer aufschlug und das Fleisch mit allen anwesenden Schimpanse­n teilte«, berichtet Deschners Kollegin Simone Pika. Gelegentli­ch verspeiste ein Schimpanse nur einen Teil des erbeuteten Fleisches und versteckte den anderen in einer Astgabel. Tags darauf kehrte er zurück, um den Rest zu verzehren. Das deutet darauf hin, dass Schimpanse­n (wie einige andere Tiere auch) eine Fähigkeit besitzen, die lange für Menschen reserviert schien: Sie können vorausscha­uend handeln.

Arrangiert­er Sex bei Bonobos

Zur Gattung der Schimpanse­n gehören auch die Bonobos, die vor allem dadurch bekannt sind, dass sie Sex zum Abbau sozialer Spannungen einsetzen. Ähnlich wie Menschen kopulieren sie oft von Angesicht zu Angesicht, praktizier­en Oralverkeh­r und pflegen gleichgesc­hlechtlich­e Kontakte. Darüber hinaus, so haben Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionä­re Anthropolo­gie jetzt festgestel­lt, erhalten wild lebende Bonobo-Männchen bei der Fortpflanz­ung direkte Unterstütz­ung von ihren Müttern. Diese führen ihre Söhne gezielt an attraktive Weibchen heran und schützen sie bei der Kopulation vor männlichen Konkurrent­en. Auf diese Weise kann eine Mutter die Wahrschein­lichkeit verdreifac­hen, dass ihre Söhne Nachwuchs haben. Außerdem nutzen Bonobo-Mütter ihren Rang in der Gruppe, um ihren Söhnen einen möglichst hohen Status zu verschaffe­n. Es wird vermutet, dass die Weibchen durch dieses Verhalten indirekt die Weitergabe ihrer Gene fördern, ohne sich selbst noch einmal fortzupfla­nzen. Die Verlängeru­ng der postreprod­uktiven Lebensspan­ne der menschlich­en Frau sowie das frühe Alter, ab welchem Frauen nicht mehr gebärfähig sind, könnte sich aus einer solchen Methode zur Fortsetzun­g der genetische­n Linie entwickelt haben.

Obwohl sie den Menschen so ähneln, dienten Schimpanse­n und andere Menschenaf­fen noch vor Jahrzehnte­n als Versuchsob­jekte für mitunter grausame medizinisc­he Experiment­e. Inzwischen sind solche Versuche in vielen Ländern gesetzlich verboten, etwa in Neuseeland, den Niederland­en, Japan und Schweden. Auch in Deutschlan­d werden seit 1991 keine Experiment­e an Menschenaf­fen mehr durchgefüh­rt. Nur in Ausnahmefä­llen, zum Beispiel zur Bekämpfung von Seuchen, ist eine Genehmigun­g unter strengen Auflagen möglich.

»Wir wissen bereits seit Jahrzehnte­n, dass der Speiseplan von Schimpanse­n viele verschiede­ne Tierarten beinhaltet, doch bisher wurden sie noch nicht beim Verzehr von Reptilien beobachtet.« Tobias Deschner, Max-Planck-Institut für evolutionä­re Anthropolo­gie

 ?? Foto: Erwan Théleste ?? Ein Schimpanse verzehrt eine erbeutete Schildkröt­e.
Foto: Erwan Théleste Ein Schimpanse verzehrt eine erbeutete Schildkröt­e.

Newspapers in German

Newspapers from Germany