Ab unter den Meeresboden
Eine aktuelle Studie untersucht die Folgen von Lecks zukünftiger CO2-Lagerstätten in tiefen Gesteinsschichten.
Auf dem Pariser Klimagipfel hatten sich Politiker aus aller Welt noch zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad bekannt. Doch in den seither vergangenen vier Jahren ist wenig passiert. Der Weltklimarat (IPCC) hatte in seinem letzten Sonderbericht die sogenannten Negativemissionen – CO2, das der Atmosphäre wieder entzogen und etwa in der Biomasse von Wäldern gebunden wird – bereits in seinen Szenarien mit eingeplant. Angesichts der schleppenden Umsetzung der Pariser Selbstverpflichtungen bekommen umstrittene Technologien wie Carbon Capture and Storage (CCS) neue Aufmerksamkeit.
Dabei stellt sich die Frage nach den Risiken dieser Technologie. In Europa befindet sich das wahrscheinlich größte Speicherpotenzial für CO2 in salzhaltigen Grundwasserleitern und Sandsteinformationen tief unter dem Meeresboden vor Norwegen. Über 11 000 Öl- und Erdgas-Bohrungen haben die umliegenden Sedimente jedoch geschwächt, sodass heute an rund einem Drittel der Bohrlöcher Methan austritt. Auch in ihrer Nachbarschaft gespeichertes CO2 könnte durch Risse im Gestein entweichen. Ein internationales Forscherteam unter der Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel hat deshalb untersucht, welche Aus
wirkungen das für das Ökosystem der Nordsee haben könnte. Die Ergebnisse veröffentlichten die Forscher im Fachblatt »International Journal of Greenhouse Gas Control«. Die Studie ist Teil des europäischen Forschungsprojektes ECO2.
Am Boden der norwegischen Nordsee, in 82 Metern Tiefe, setzten Lisa Vielstädte vom GEOMAR und ihr Team im Zeitraum eines halben Tages 40 Kilogramm CO2 frei. Das entspricht einer jährlichen Rate von 31 Tonnen und liegt damit im oberen Bereich der an verlassenen Bohrlöchern beobachteten Methanemissionen, heißt es in der Studie. Mit Hilfe eines ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugs mit chemischen und akustischen Sensoren wurde beobachtet, wie sich das Gas zunächst in der Wassersäule und dann mit der Strömung in einem größeren Radius verteilte. Messungen an Bord des irischen Forschungsschiffes »Celtic Explorers« untermauern dies. »Unsere Daten zeigen, dass sich die CO2Gasblasen in Bodennähe vollständig gelöst haben«, berichtet Vielstädte. Dabei fiel der pH-Wert an der Stelle der Freisetzung von 8 auf 7.
Begleitende Untersuchungen im Labor zeigten, dass bereits eine Versauerung über 0,2 Einheiten die dort vertretenen Arten stark schädigte. »Ähnliches haben wir im Mittelmeer vor Sizilien beobachtet, wo vulkanisches CO2 austritt«, erzählt Klaus Wallmann, Koautor der Studie und ECO2-Projektleiter am GEOMAR. Nur zehn Prozent der Arten seien dort noch vertreten. Dasselbe erwartet er bei einem CO2-Leck. Betroffen sei davon allerdings nur ein kleines Areal von etwa 50 Quadratmetern, denn »die vorhandenen starken Bodenströmungen verteilen das gelöste CO2 rasch«, versichert der Geowissenschaftler.
Wallmann hält die Technologie für sicher, solange genau geprüft werde, wo das Sediment intakt sei. Auch bestehe die Möglichkeit, einzelne Lagerstätten zu überwachen. »Wir brauchen diese Technologien, um CO2 schon an der Quelle abzuscheiden«, versichert er, denn vorübergehend müsse Erdgas noch als »sinnvoller Partner der Erneuerbaren Energien« herhalten. Auch Cornelia Schmidt-Hattenberger, die am Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) an CCS an Land forscht, denkt, »dass eine CO2-Speicherung unter Einhaltung aller Sicherheitsauflagen und bei gleichzeitiger Drosselung der Emissionen ein gangbarer Weg ist«. Durch die Erdölund Erdgasförderung sei die Geologie vielerorts bereits gut untersucht, Bohrungen, Infrastruktur und seismische Datensätze mit Informationen über den Untergrund seien vorhanden.
Tatsächlich wird CCS unter dem Meeresboden schon seit über 20 Jahren durchgeführt. Der zweitgrößte Gaslieferant Europas, Equinor – früher Statoil –, spaltet seit 1996 bei der Gasförderung im Sleipner Feld in der norwegischen Nordsee jährlich rund eine Million Tonnen CO2 ab und speichert es in Gesteinsformationen über dem Erdgas. »Unter Druck wird das Gas flüssig und kann über die Bohrung injiziert werden«, erklärt Wallmann. Später werde das Loch zubetoniert. Einen weiteren CO2-Speicher unterhält das Unternehmen beim Gasfeld Snøhvit in der norwegischen Barentsee. So spart sich Equinor die recht hohe norwegische CO2-Steuer, denn der CO2-Gehalt des dort geförderten Erdgases liegt über dem handelsüblichen Standard und müsste andernfalls abgeblasen werden.
Es gibt aber auch kritische Stimmen zur CO2Speicherung: »CCS darf nicht als Entschuldigung dienen, auf CO2-Reduktionen zu verzichten«, betont Hans-Otto Pörtner, Mitverfasser des Sonderberichts des IPCC zum 1,5-Grad-Ziel. Er sieht darin eher eine Notmaßnahme, keinesfalls aber eine Routinetechnik. Zu groß sei die Gefahr einer zusätzlichen Versauerung der Ozeane durch Lecks oder einer unkontrollierten Rückkehr von CO2 in die Atmosphäre. Ähnlich problematisch wie die Speicherung im Meeresboden beurteilt Pörtner das Verfahren, an Land Pflanzen zur Energieerzeugung anzubauen und das bei ihrer Verbrennung freiwerdende CO2 abzuscheiden und zu speichern (BECCS). Dies verschlimmere noch die Konkurrenz um die Landnutzung: »Wenn wir statt jetzt erst in zehn Jahren anfangen, unsere CO2-Emissionen zu reduzieren, dann werden wir eine Fläche doppelt so groß wie Indien dafür brauchen, um Energiepflanzen anzubauen.« Auch Karsten Smid von Greenpeace warnt davor, künftigen Generationen neben unzähligen Tonnen Atommülls mit den CO2-Lagerstätten noch ein weiteres gefährliches Vermächtnis zu hinterlassen.