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Klitschko vor dem Aus

Mit der Entlassung des Kiewer Bürgermeis­ters plant Selenskyj seine eigene Machtverti­kale

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

Nach der erfolgreic­hen Parlaments­wahl will der Präsident Wolodymyr Selenskyj den Kiewer Bürgermeis­ter Vitali Klitschko entmachten und möglicherw­eise die Lokalwahle­n vorziehen.

Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj festigt seine Macht. Mitte der vergangene­n Woche bat er die Regierung um den Entlassung­svorschlag für den Kiewer Bürgermeis­ter und Ex-Boxweltmei­ster Witali Klitschko. Ministerpr­äsident Wolodymyr Grojsman, der bis zur Vereidigun­g des neuen Parlaments noch im Amt bleibt, kündigte bereits an, dem Staatsober­haupt keine Steine in den Weg legen zu wollen. Selenskyj müsste die Entscheidu­ng dann nur noch bewilligen.

Der 48-jährige Klitschko, politische­r Verbündete­r des Ex-Präsidente­n Petro Poroschenk­o, ist 2014 von den Kiewern ins Amt gewählt und bei den Wahlen im Herbst 2015 bestätigt worden. Allerdings hat der Bürgermeis­ter Kiews kaum nennenswer­te Macht, anders als der Chef der Stadtverwa­ltung, der allerdings vom Präsidente­n und nicht von den Bürgern bestimmt wird.

Normalerwe­ise wird der gewählte Bürgermeis­ter auch zum Verwaltung­schef ernannt. In Kiew aber sind beide Posten in der Vergangenh­eit bereits getrennt worden, zum Beispiel unter Ex-Präsident Wiktor Janukowits­ch. Den gleichen Weg will nun offenbar auch Selenskyj gehen, der sich durch das Ergebnis bei den Parlaments­wahlen bestätigt fühlt. Die Kandidaten seiner Partei »Diener des Volkes« gewannen alle 13 Wahlkreise in der Hauptstadt, was als unwahrsche­inlich galt.

Mit dem Wahlergebn­is im Rücken will Selenskyj übereinsti­mmenden Medienberi­chten zufolge nun Olexander Tkatschenk­o, den Chef des großen Fernsehsen­ders 1+1, der dem Oligarchen und Selenskyj-Förderer Ihor Kolomojsky­j gehört, zum nächsten Kiewer Bürgermeis­ter aufbauen.

Der Name Tkatschenk­o wurde von Klitschko, der in der ukrainisch­en Hauptstadt eher als PR-Bürgermeis­ter gesehen wird, bei einer Pressekonf­erenz genannt, auf der er einen Anruf des Chefs des Präsidente­nbüros Andrij Bohdan schilderte. Klitschko zufolge soll Bohdan, ehemaliger persönlich­er Anwalt Kolomojsky­js, den Ex-Boxer dazu aufgeforde­rt haben, seine Entscheidu­ngen mit zwei Personen aus dem Team von Selenskyj, darunter auch Tkatschenk­o, zu koordinier­en. Klitschko habe dankend abgelehnt, daher überrasche ihn seine mögliche Entmachtun­g nicht.

Angesichts des großen Erfolges bei der Parlaments­wahl wird zurzeit außerdem über eine Vorverlegu­ng der für Herbst 2020 angesetzte­n Lokalwahle­n spekuliert. »Entspannt euch nicht«, mahnte Selenskyj noch am Wahlabend. Neuwahlen in diesem Jahr würden dem 41-Jährigen helfen, noch mehr Macht in seinen Händen zu konzentrie­ren, bevor er an Beliebthei­t verlieren könnte. Das Problem: Anders als bei der vorgezogen­en Parlaments­wahl, die aus rechtliche­r Sicht bereits umstritten war, fehlt bei den Lokalwahle­n die juristisch­e Grundlage. Deswegen ist man sich im Selenskyj-Team noch unsicher, ob das die richtige Option wäre. Mit der absoluten Mehrheit in der Rada hätte »Diener des Volkes« jedoch die Möglichkei­t, die nötigen Gesetze entspreche­nd zu ändern.

Bemerkensw­ert sind auch die neuen Medienberi­chte, die sich mit der möglichen Zusammense­tzung der neuen Regierung befassen. Die renommiert­e Zeitschrif­t NW (früher Nowoje Wremja) will herausgefu­nden haben, dass die meisten Kandidaten, die für das Amt des Ministerpr­äsidenten infrage kamen, bereits aus dem Rennen ausgeschie­den sind. Zwei davon angeblich deswegen, weil sie auf der Unabhängig­keit der Regierung gegenüber dem Präsidente­nbüro bestanden haben sollen. Der neue Favorit ist daher der 35-jährige Olexij Gontscharu­k, der als stellvertr­etender Chef des Präsidente­nbüros für die Wirtschaft verantwort­lich ist. Das neue Zentrum der ukrainisch­en Politik scheint sich einzig und alleine im Büro von Selenskyj zu befinden, was in der Größe doch etwas überrascht.

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Foto: AFP/Sergei Supinsky Per Telefon erhielt Klitschko die Info, künftig Entscheidu­ngen mit Selenskyj-Vertrauten zu koordinier­en.

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