Koloss am Hermannplatz
Berliner Kaufhaus-Wiederaufbau erzürnt Anwohner.
Am Hermannplatz will ein österreichisches Immobilienunternehmen das Karstadt-Gebäude der 1920er wiederaufbauen. Eine Stadtinitiative kämpft gegen die sozialen und ökologischen Folgen des Projekts.
Es ist ein Bauvorhaben der Superlative: Die österreichische Signa Holding, eines der fünf größten Immobilienunternehmen Europas, plant, das Karstadt-Gebäude am Hermannplatz abzureißen und neu aufzubauen. Noch ist das geschätzt 450 Millionen Euro schwere Projekt nur eine Idee. Klar ist aber, dass das Gebäude um rund 15 Prozent vergrößert werden soll, auf dann etwa 100 000 Quadratmeter. Und es geht in die Höhe: Nach Vorbild des ursprünglichen Baus der 1920er Jahre sollen an den beiden Enden 56 Meter hohe Türme sowie eine Dachterrasse in der Mitte entstehen. 4000 Quadratmeter soll sie groß sein und allen Berlinern offenstehen. Genauso wie eine Markthalle, ein Hotel und ein »multikulturelles Ärztehaus«.
Für Niloufar Tajeri ist das nur »Verkaufssprech«. Sie ist Anwohnerin und Architektin und absolut keine Freundin des kolossalen Projekts. Gemeinsam mit der Bürgerinitiative Kiezversammlung 44 und Nachbarn organisiert die 39-Jährige den Widerstand gegen das Großprojekt in der »Initiative Hermannplatz – karSTADT ERHALTEN«. Sie befürchten weitere Verdrängungsprozesse. »Darunter leiden vor allem das migrantisch geprägte Kleingewerbe sowie die heterogene Bewohnerschaft«, sagt Tajeri.
Doch nicht nur das Großprojekt ist den Anwohnern ein Dorn im Auge, auch der Bauherr selbst steht in der Kritik: Der Milliardär René Benko, der die Signa-Holding gegründet hat, ist vor allem durch die sogenannte IbizaAffäre ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. In einem heimlich gefilmten Video aus dem Jahr 2017 behauptet der damalige Chef der rechten FPÖ, Heinz-Christian Strache, dass Benko und andere Milliardäre über einen Tarnverein illegal für die FPÖ spenden würden. Benko bestreitet das, inzwischen ermittelt die österreichische Staatsanwaltschaft. Der 42-Jährige hat sich nach einem Korruptionsskandal aus den Aufsichtsräten seiner Unternehmen zurückgezogen, die Initiative glaubt jedoch, dass er über Privatstiftungen und Tochterunternehmen weiterhin in die Geschäfte der Signa Holding eingreift. Das Unternehmen selbst war auf nd-Nachfrage nicht für eine Stellungnahme zu dem Projekt erreichbar.
Auch das historische Vorbild dafür ist nicht unumstritten. 1929 fertig gestellt, wurde das alte Karstadt-Gebäude schnell von den Nazis vereinnahmt. Zwar erinnert der Stil an die amerikanische Hochhausarchitektur Chicagos, doch mit seinen hohen Außentürmen könnte einen auch das Gefühl ereilen, als stehe man vor einer Festung. Als sich das Ende der NSHerrschaft abzeichnete, wurde der Bau von der Waffen-SS gesprengt. Die Gründe dafür sind historisch umstritten. Der Roten Armee sollten das Gebäude und die darin gelagerten Vorräte jedenfalls nicht in die Hände fallen. Viele Menschen starben beim Versuch, etwas Essbares zu retten.
»Architektur ist nie ideologiefrei«, sagt Tajeri und findet, dass der Bau nicht an die Goldenen Zwanziger, sondern vielmehr an die Zeit der Naziherrschaft erinnere. Sie stört, dass durch die kritikfreie Rekonstruktion im neuen Entwurf die Geschichte aus dem Zusammenhang gerissen werde und lediglich »positive« Eigenschaften hervorgehoben würden. »Vieles wird unhinterfragt übernommen«, mahnt sie und befürchtet: »Der Faschismus wird normalisiert.«
Die Entscheidung über den Bau liegt letztlich beim Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, denn der Hermannplatz gehört zwar zu Neukölln, nicht aber das Grundstück, auf dem Karstadt-Gebäude steht. Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) sieht den möglichen Neubau als »Chance für den Bezirk«. Der Grünen-Baustadtrat Florian Schmidt aus Friedrichshain-Kreuzberg ist skeptischer: »Was bringt der Neubau dem Umfeld?«, will er wissen. Die ersten Absprache der beiden Bezirke findet jedoch fernab der Öffentlichkeit statt, niemand will sich konkret äußern. Eins scheint aber klar: Eine Mall soll es nicht werden. Karstadt soll in dem Gebäude bleiben, versicherte die Signa bei der Präsentation des Entwurfs in einer gemeinsamen Sitzung der Stadtplanungsausschüsse von Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln Mitte Mai dieses Jahres. Die 250 Mitarbeiter haben trotzdem Angst.
Bis zu einer endgültigen Entscheidung wird es noch dauern. Bevor etwa über eine sechsmonatige Bürgerbeteiligung gesprochen werden kann, wie sie die Signa ins Spiel bringt, müsse ein Bebauungsplan für das Projekt her, wie Schmidt auf der Sitzung ankündigte. Darüber hat dann die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg zu befinden. Bei einer Genehmigung könnte das Land Berlin auch eine Milieuschutzsatzung erlassen. Dann dürften die Gewerberäume nur zu einem bestimmten Mietpreis verpachtet werden. Einfluss auf die Zusammensetzung der künftigen Mieter gibt es jedoch nicht, wie aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage von Gaby Gottwald (LINKE) hervorgeht.
Die Initiative will, dass gar nicht erst über einen Bebauungsplan diskutiert wird. Sie will das Vorhaben verhindern. Dafür sollen Strategien entwickelt werden, wie die Anwohner in mehreren Sprachen sensibilisiert werden können. Auch Aktionen im öffentlichen Raum sind geplant. Tajeri und ihre Mitstreiter sind überzeugt: Vielen ist gar nicht bewusst, was das Mega-Projekt am Hermannplatz für Auswirkungen auf ganz Berlin haben wird.
»Unter der Verdrängung leiden vor allem das migrantisch geprägte Kleingewerbe sowie die heterogene Bewohnerschaft Neuköllns.« Niloufar Tajeri, Initiative gegen den Abriss von Karstadt