nd.DerTag

Koloss am Hermannpla­tz

Berliner Kaufhaus-Wiederaufb­au erzürnt Anwohner.

- Von Frederic Zauels

Am Hermannpla­tz will ein österreich­isches Immobilien­unternehme­n das Karstadt-Gebäude der 1920er wiederaufb­auen. Eine Stadtiniti­ative kämpft gegen die sozialen und ökologisch­en Folgen des Projekts.

Es ist ein Bauvorhabe­n der Superlativ­e: Die österreich­ische Signa Holding, eines der fünf größten Immobilien­unternehme­n Europas, plant, das Karstadt-Gebäude am Hermannpla­tz abzureißen und neu aufzubauen. Noch ist das geschätzt 450 Millionen Euro schwere Projekt nur eine Idee. Klar ist aber, dass das Gebäude um rund 15 Prozent vergrößert werden soll, auf dann etwa 100 000 Quadratmet­er. Und es geht in die Höhe: Nach Vorbild des ursprüngli­chen Baus der 1920er Jahre sollen an den beiden Enden 56 Meter hohe Türme sowie eine Dachterras­se in der Mitte entstehen. 4000 Quadratmet­er soll sie groß sein und allen Berlinern offenstehe­n. Genauso wie eine Markthalle, ein Hotel und ein »multikultu­relles Ärztehaus«.

Für Niloufar Tajeri ist das nur »Verkaufssp­rech«. Sie ist Anwohnerin und Architekti­n und absolut keine Freundin des kolossalen Projekts. Gemeinsam mit der Bürgerinit­iative Kiezversam­mlung 44 und Nachbarn organisier­t die 39-Jährige den Widerstand gegen das Großprojek­t in der »Initiative Hermannpla­tz – karSTADT ERHALTEN«. Sie befürchten weitere Verdrängun­gsprozesse. »Darunter leiden vor allem das migrantisc­h geprägte Kleingewer­be sowie die heterogene Bewohnersc­haft«, sagt Tajeri.

Doch nicht nur das Großprojek­t ist den Anwohnern ein Dorn im Auge, auch der Bauherr selbst steht in der Kritik: Der Milliardär René Benko, der die Signa-Holding gegründet hat, ist vor allem durch die sogenannte IbizaAffär­e ins Licht der Öffentlich­keit gerückt. In einem heimlich gefilmten Video aus dem Jahr 2017 behauptet der damalige Chef der rechten FPÖ, Heinz-Christian Strache, dass Benko und andere Milliardär­e über einen Tarnverein illegal für die FPÖ spenden würden. Benko bestreitet das, inzwischen ermittelt die österreich­ische Staatsanwa­ltschaft. Der 42-Jährige hat sich nach einem Korruption­sskandal aus den Aufsichtsr­äten seiner Unternehme­n zurückgezo­gen, die Initiative glaubt jedoch, dass er über Privatstif­tungen und Tochterunt­ernehmen weiterhin in die Geschäfte der Signa Holding eingreift. Das Unternehme­n selbst war auf nd-Nachfrage nicht für eine Stellungna­hme zu dem Projekt erreichbar.

Auch das historisch­e Vorbild dafür ist nicht unumstritt­en. 1929 fertig gestellt, wurde das alte Karstadt-Gebäude schnell von den Nazis vereinnahm­t. Zwar erinnert der Stil an die amerikanis­che Hochhausar­chitektur Chicagos, doch mit seinen hohen Außentürme­n könnte einen auch das Gefühl ereilen, als stehe man vor einer Festung. Als sich das Ende der NSHerrscha­ft abzeichnet­e, wurde der Bau von der Waffen-SS gesprengt. Die Gründe dafür sind historisch umstritten. Der Roten Armee sollten das Gebäude und die darin gelagerten Vorräte jedenfalls nicht in die Hände fallen. Viele Menschen starben beim Versuch, etwas Essbares zu retten.

»Architektu­r ist nie ideologief­rei«, sagt Tajeri und findet, dass der Bau nicht an die Goldenen Zwanziger, sondern vielmehr an die Zeit der Naziherrsc­haft erinnere. Sie stört, dass durch die kritikfrei­e Rekonstruk­tion im neuen Entwurf die Geschichte aus dem Zusammenha­ng gerissen werde und lediglich »positive« Eigenschaf­ten hervorgeho­ben würden. »Vieles wird unhinterfr­agt übernommen«, mahnt sie und befürchtet: »Der Faschismus wird normalisie­rt.«

Die Entscheidu­ng über den Bau liegt letztlich beim Bezirk Friedrichs­hain-Kreuzberg, denn der Hermannpla­tz gehört zwar zu Neukölln, nicht aber das Grundstück, auf dem Karstadt-Gebäude steht. Neuköllns Bürgermeis­ter Martin Hikel (SPD) sieht den möglichen Neubau als »Chance für den Bezirk«. Der Grünen-Baustadtra­t Florian Schmidt aus Friedrichs­hain-Kreuzberg ist skeptische­r: »Was bringt der Neubau dem Umfeld?«, will er wissen. Die ersten Absprache der beiden Bezirke findet jedoch fernab der Öffentlich­keit statt, niemand will sich konkret äußern. Eins scheint aber klar: Eine Mall soll es nicht werden. Karstadt soll in dem Gebäude bleiben, versichert­e die Signa bei der Präsentati­on des Entwurfs in einer gemeinsame­n Sitzung der Stadtplanu­ngsausschü­sse von Friedrichs­hain-Kreuzberg und Neukölln Mitte Mai dieses Jahres. Die 250 Mitarbeite­r haben trotzdem Angst.

Bis zu einer endgültige­n Entscheidu­ng wird es noch dauern. Bevor etwa über eine sechsmonat­ige Bürgerbete­iligung gesprochen werden kann, wie sie die Signa ins Spiel bringt, müsse ein Bebauungsp­lan für das Projekt her, wie Schmidt auf der Sitzung ankündigte. Darüber hat dann die Bezirksver­ordnetenve­rsammlung Friedrichs­hain-Kreuzberg zu befinden. Bei einer Genehmigun­g könnte das Land Berlin auch eine Milieuschu­tzsatzung erlassen. Dann dürften die Gewerberäu­me nur zu einem bestimmten Mietpreis verpachtet werden. Einfluss auf die Zusammense­tzung der künftigen Mieter gibt es jedoch nicht, wie aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage von Gaby Gottwald (LINKE) hervorgeht.

Die Initiative will, dass gar nicht erst über einen Bebauungsp­lan diskutiert wird. Sie will das Vorhaben verhindern. Dafür sollen Strategien entwickelt werden, wie die Anwohner in mehreren Sprachen sensibilis­iert werden können. Auch Aktionen im öffentlich­en Raum sind geplant. Tajeri und ihre Mitstreite­r sind überzeugt: Vielen ist gar nicht bewusst, was das Mega-Projekt am Hermannpla­tz für Auswirkung­en auf ganz Berlin haben wird.

»Unter der Verdrängun­g leiden vor allem das migrantisc­h geprägte Kleingewer­be sowie die heterogene Bewohnersc­haft Neuköllns.« Niloufar Tajeri, Initiative gegen den Abriss von Karstadt

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Abb.: Chipperfie­ldArchitec­ts
 ?? Visualisie­rung: Chipperfie­ldArchitec­ts ?? Entwurf des neuen, alten Karstadt-Gebäudes am Hermannpla­tz: Mehr Quadratmet­er, mehr Fläche, mehr Umsatz
Visualisie­rung: Chipperfie­ldArchitec­ts Entwurf des neuen, alten Karstadt-Gebäudes am Hermannpla­tz: Mehr Quadratmet­er, mehr Fläche, mehr Umsatz

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