Nicht verboten, aber umstritten
Ketone wurde als Nahrungsergänzungsmittel von der US-Army eingesetzt, jetzt veränderte es die Tour de France
Der Radsport hat ein neues Wundermittel entdeckt: Ketone. Als Nahrungsergänzung wurde es schon in Kriegen eingesetzt, jetzt hat es die Tour de France verändert.
Mit einem Antihungermittel aus dem Wüstenkrieg gehen viele Fahrer in die Alpenschlacht bei dieser Tour de France. Verboten ist Ketone nicht, aber umstritten.
Team Jumbo-Visma mit dem Gesamtdritten Steven Kruijswijk setzt es ein, der lange in Gelb fahrende Julian Alaphilippe hat es auf dem Speiseplan, bei den Teams Ineos und Bora hansgrohe hat man es sich zumindest näher angeschaut – das Nahrungsergänzungsmittel Ketone verändert die Tour de France.
»Ketone sind ein Treibstoff für den Körper. Sie liefern Energie, ähnlich wie Glukose«, erklärt Jon Greenwall, Teamarzt des Rennstalls Education First, gegenüber »nd« bei der Tour. Eigentlich ist es eine Energieform aus der Frühzeit des Menschen. Ohne Ketone hätten unsere Vorfahren Hungersnöte nicht durchgestanden. In unseren Zeiten legt der Körper Glukosevorräte aus den über die Nahrung aufgenommenen Kohlenhydraten an. Ist die Glukose im Körper aufgebraucht, was nach 24 bis 36 Stunden ohne Nahrung eintritt, verbrennt der Körper Fett. Und dann setzt er auch Ketone frei. Das sind kleine kohlenstoffhaltige Partikel, die dem Gehirn und anderen Organen als Energiequelle dienen – bis es wieder etwas zu essen gibt.
Dieser Energieprozess, Ketose genannt, kann aber auch anders stimuliert werden – durch die Zufuhr von ketonbildender Ernährung. Bestimmte Fettsäuren werden dann in der Leber zu Ketonen verstoffwechselt. Auf die Idee, die Ketose zu stimulieren, kam vor ein paar Jahren die US-amerikanische Armee. Sie suchte nach Nahrungsmitteln, die viel Energie enthalten, gut lagerbar sind und auch unter den Bedingungen eines Wüstenkrieges nicht verderben. Studien der Universität Oxford führten dann zu dem Produkt, das aktuell auch im Radsport im Umlauf ist.
»Es gab zuletzt ein paar Studien, die besagen, dass es vor allem in der Erholung Vorteile bringen kann«, erklärt EF-Teamarzt Greenwall weiter. Direkte Steigerungen der Leistungen schließt er aber aus. »Das gibt die Literatur nicht her. Die Mittel sind ja auch nicht verboten«, sagt er. Ob seine Fahrer bei Team Education First sie nehmen, wollte er nicht verraten. »Das ist allein eine Sache zwischen Arzt und Patient«, meint er. »Ich kann aber sagen, dass ich generell einen Gebrauch nicht empfehle, weil die Effekte und die Nebenwirkungen unklar sind.« Noch klarer ist die Haltung von JeanJacques Menuet, Teamarzt von Arkéa-Samsic. »Ich empfehle es nicht. Ich möchte nicht, dass mich in zehn Jahren einer meiner Fahrer anruft und mir sagt, dass seine Leber kaputt sei«, erklärte er gegenüber Journalisten bei dieser Tour.
Bei anderen Rennställen ist man experimentierfreudiger – und vielleicht auch sorgloser. Richard Plugge, Teamchef von Jumbo-Visma, sagt: »Ketone sind bei mehreren Teams hier
im Einsatz, bei uns auch. Es handelt sich um ein Nahrungsergänzungsmittel. Und es steht nicht auf der verbotenen Liste.« Sicher, verboten ist das Zeug nicht. Aber auch nicht wirklich sexy. »Es schmeckt ziemlich scheußlich«, sagte Mike Teunissen, erster Etappensieger und Träger des Gelben Trikots bei dieser Tour. Er fährt für Jumbo-Visma.
»Wir haben uns mit der Thematik natürlich auch beschäftigt«, sagt Ralph Denk, Teamchef von Bora hansgrohe, zu »nd«. Inwieweit die Substanz auf dem Speiseplan von Emanuel Buchmann & Co. steht, wollte aber auch er nicht verraten. »Details über die Ernährungspläne unserer Fahrer geben wir nicht preis«, sagt der Oberbayer.
Ketone könnten vor allem in der dritten Woche einer Grand Tour interessant werden. »Die Studien besagen, dass die Erholungseffekte erst nach längeren Zeiträumen auftreten. In einem Zehn-Tages-Fenster gab es da deutliche Verbesserungen«, erklärt EF-Teamarzt Greenwall. Gut möglich also, dass das Tour-deFrance-Klassement nach den Alpen ein Ketone-Klassement ist. Ketone sind, wie gesagt, nicht verboten. Man könnte aber auch versucht sein, ein Ketone-bereinigtes Klassement zu erstellen, für einen Toursieger ohne Wüstenkriegsfuttermittel.
»Ich kann sagen, dass ich generell einen Gebrauch nicht empfehle, weil die Effekte und Nebenwirkungen unklar sind.« EF-Teamarzt Jon Greenwall