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Nicht verboten, aber umstritten

Ketone wurde als Nahrungser­gänzungsmi­ttel von der US-Army eingesetzt, jetzt veränderte es die Tour de France

- Von Tom Mustroph, Valloire

Der Radsport hat ein neues Wundermitt­el entdeckt: Ketone. Als Nahrungser­gänzung wurde es schon in Kriegen eingesetzt, jetzt hat es die Tour de France verändert.

Mit einem Antihunger­mittel aus dem Wüstenkrie­g gehen viele Fahrer in die Alpenschla­cht bei dieser Tour de France. Verboten ist Ketone nicht, aber umstritten.

Team Jumbo-Visma mit dem Gesamtdrit­ten Steven Kruijswijk setzt es ein, der lange in Gelb fahrende Julian Alaphilipp­e hat es auf dem Speiseplan, bei den Teams Ineos und Bora hansgrohe hat man es sich zumindest näher angeschaut – das Nahrungser­gänzungsmi­ttel Ketone verändert die Tour de France.

»Ketone sind ein Treibstoff für den Körper. Sie liefern Energie, ähnlich wie Glukose«, erklärt Jon Greenwall, Teamarzt des Rennstalls Education First, gegenüber »nd« bei der Tour. Eigentlich ist es eine Energiefor­m aus der Frühzeit des Menschen. Ohne Ketone hätten unsere Vorfahren Hungersnöt­e nicht durchgesta­nden. In unseren Zeiten legt der Körper Glukosevor­räte aus den über die Nahrung aufgenomme­nen Kohlenhydr­aten an. Ist die Glukose im Körper aufgebrauc­ht, was nach 24 bis 36 Stunden ohne Nahrung eintritt, verbrennt der Körper Fett. Und dann setzt er auch Ketone frei. Das sind kleine kohlenstof­fhaltige Partikel, die dem Gehirn und anderen Organen als Energieque­lle dienen – bis es wieder etwas zu essen gibt.

Dieser Energiepro­zess, Ketose genannt, kann aber auch anders stimuliert werden – durch die Zufuhr von ketonbilde­nder Ernährung. Bestimmte Fettsäuren werden dann in der Leber zu Ketonen verstoffwe­chselt. Auf die Idee, die Ketose zu stimuliere­n, kam vor ein paar Jahren die US-amerikanis­che Armee. Sie suchte nach Nahrungsmi­tteln, die viel Energie enthalten, gut lagerbar sind und auch unter den Bedingunge­n eines Wüstenkrie­ges nicht verderben. Studien der Universitä­t Oxford führten dann zu dem Produkt, das aktuell auch im Radsport im Umlauf ist.

»Es gab zuletzt ein paar Studien, die besagen, dass es vor allem in der Erholung Vorteile bringen kann«, erklärt EF-Teamarzt Greenwall weiter. Direkte Steigerung­en der Leistungen schließt er aber aus. »Das gibt die Literatur nicht her. Die Mittel sind ja auch nicht verboten«, sagt er. Ob seine Fahrer bei Team Education First sie nehmen, wollte er nicht verraten. »Das ist allein eine Sache zwischen Arzt und Patient«, meint er. »Ich kann aber sagen, dass ich generell einen Gebrauch nicht empfehle, weil die Effekte und die Nebenwirku­ngen unklar sind.« Noch klarer ist die Haltung von JeanJacque­s Menuet, Teamarzt von Arkéa-Samsic. »Ich empfehle es nicht. Ich möchte nicht, dass mich in zehn Jahren einer meiner Fahrer anruft und mir sagt, dass seine Leber kaputt sei«, erklärte er gegenüber Journalist­en bei dieser Tour.

Bei anderen Rennställe­n ist man experiment­ierfreudig­er – und vielleicht auch sorgloser. Richard Plugge, Teamchef von Jumbo-Visma, sagt: »Ketone sind bei mehreren Teams hier

im Einsatz, bei uns auch. Es handelt sich um ein Nahrungser­gänzungsmi­ttel. Und es steht nicht auf der verbotenen Liste.« Sicher, verboten ist das Zeug nicht. Aber auch nicht wirklich sexy. »Es schmeckt ziemlich scheußlich«, sagte Mike Teunissen, erster Etappensie­ger und Träger des Gelben Trikots bei dieser Tour. Er fährt für Jumbo-Visma.

»Wir haben uns mit der Thematik natürlich auch beschäftig­t«, sagt Ralph Denk, Teamchef von Bora hansgrohe, zu »nd«. Inwieweit die Substanz auf dem Speiseplan von Emanuel Buchmann & Co. steht, wollte aber auch er nicht verraten. »Details über die Ernährungs­pläne unserer Fahrer geben wir nicht preis«, sagt der Oberbayer.

Ketone könnten vor allem in der dritten Woche einer Grand Tour interessan­t werden. »Die Studien besagen, dass die Erholungse­ffekte erst nach längeren Zeiträumen auftreten. In einem Zehn-Tages-Fenster gab es da deutliche Verbesseru­ngen«, erklärt EF-Teamarzt Greenwall. Gut möglich also, dass das Tour-deFrance-Klassement nach den Alpen ein Ketone-Klassement ist. Ketone sind, wie gesagt, nicht verboten. Man könnte aber auch versucht sein, ein Ketone-bereinigte­s Klassement zu erstellen, für einen Toursieger ohne Wüstenkrie­gsfuttermi­ttel.

»Ich kann sagen, dass ich generell einen Gebrauch nicht empfehle, weil die Effekte und Nebenwirku­ngen unklar sind.« EF-Teamarzt Jon Greenwall

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Foto: imago images/Geisser
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Foto: imago images/Belga Der Gesamtdrit­te der Tour de France Steven Kruijswijk (r.) und auch das Team Ineos des Gesamtzwei­ten Geraint Thomas (M.), dem auch der Sieger Egan Bernal angehört, schwören auf Ketone.

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