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Bundestag schafft das Schrumpfen nicht

Debatten über Wahlrechts­änderung lassen keinen Ausweg aus der Sackgasse erkennen

- Von Uwe Kalbe

Nachdem eine Arbeitsgru­ppe keinen gemeinsame­n Vorschlag einer Wahlrechts­reform zustande gebracht hat, heißt es in der Debatte über eine Verkleiner­ung des Bundestags nun »Jeder gegen jeden«.

Schon Norbert Lammert hatte den Bundestag verkleiner­n wollen. Der Bundestags­präsident, dessen Abgeordnet­enmandat 2017 endete, scheiterte damit ebenso, wie sein Amtsnachfo­lger Wolfgang Schäuble zumindest im ersten Anlauf gescheiter­t ist. Im April ging eine fraktionsü­bergreifen­de Arbeitsgru­ppe des Bundestage­s ohne Ergebnis auseinande­r. Ein Jahr lang hatten die acht Abgeordnet­en beraten, sich aber auf keinen gemeinsame­n Vorschlag geeinigt.

Das Problem: Der Bundestag zählt immer mehr Abgeordnet­e. In der jetzigen Wahlperiod­e sind es bereits 709. Dies drohe die Arbeitsfäh­igkeit des Parlaments zu beeinträch­tigen, warnt Schäuble. Darüber hinaus gibt es weitere Probleme, die eine Wahlrechts­reform dringlich erscheinen lassen, die das Parlament aber nicht in gleicher Weise beunruhige­n. So steigt die Anzahl kleiner Parteien, die zur Bundestags­wahl antreten. Beim letzten Mal waren es 42 Parteien. Auch wenn ihr Stimmenant­eil damit wächst, spiegelt er sich im Parlament nicht wieder. Die Stimmen der Wähler fallen dank der Fünfprozen­thürde schlicht unter den Tisch.

Eigentlich besteht der Bundestag aus 598 Parlamenta­riern – 299 Wahlkreise bringen 299 direkt gewählte Abgeordnet­e hervor, plus 299 Sitze für die Listenplät­ze der Parteien. Klingt vernünftig, funktionie­rt aber in der Praxis nicht mehr. Das Phänomen erklärt sich vor allem durch die Wirkung von Überhangma­ndaten, die entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmand­ate über Erststimme­n erhält, als ihr über die Zweitstimm­en zustehen würden. Direkt gewählte Abgeordnet­e kommen in jedem Fall ins Parlament. Um die Zahl der Mandate dem Zweitstimm­energebnis anzupassen, werden anderen Parteien Ausgleichs­mandate zugeschlag­en. So wächst der Bundestag. Bei der letzten Wahlrechts­reform im Jahr 2013 begründete die Linksfrakt­ion ihre Ablehnung des Entwurfs übrigens genau mit diesem Argument: Das neue Wahlrecht könne zu einer massiven Vergrößeru­ng des Bundestage­s führen. Überdies können Ausgleichs­mandate mit wachsender Zahl von Überhangma­ndaten theoretisc­h auch dazu führen, dass Parteien mehr Mandate erhalten, selbst wenn sie bei der Wahl Stimmen verloren haben.

Theoretisc­h gäbe es mehrere Möglichkei­ten, der Aufblähung des Bundestage­s entgegenzu­wirken. Man könnte das System der personalis­ierten Verhältnis­wahl, also der Erst- und Zweitstimm­en, beenden. Auch eine kleinere Zahl von Wahlkreise­n hätte eine geringere Zahl von Abgeordnet­en zur Folge. Eine Zusammenle­gung bedeutete allerdings, dass die Wahlkreise größer würden. Schließlic­h könnten die Überhangma­ndate auch über die Streichung von Plätzen auf den Landeslist­en der Parteien in anderen Bundesländ­ern ausgeglich­en werden. Hier befürchten Fachleute die Übervortei­lung von Bundesländ­ern; von einer Aushöhlung des föderalen Gedankens ist die Rede.

Wolfgang Schäuble hatte eine Mischung vorgeschla­gen: Die Wahlkreise sollten auf 270 reduziert, die ersten 15 Überhangma­ndate sollten nicht mehr ausgeglich­en werden. Das begünstige die Union, widersprac­hen die Kritiker, denn diese profitiert wegen ihres hohen Anteils an Erststimme­n am meisten von den Überhangma­ndaten.

Ein Gerangel zwischen den Fraktionen hat nun eingesetzt, in dem parteipoli­tische Erwägungen die Prüfung sachlicher Argumente erschweren. SPD-Bundestags­vize Thomas Oppermann suchte bereits die Nähe von Grünen und FDP mit dem Ziel einer Wahlkreisr­eduzierung, aber ohne den Erststimme­nvorteil der Union zu nähren. Diese fühlt sich davon auf den Schlips getreten – eine Wahlrechts­reform ohne die stärkste Kraft im Parlament könne nicht ernst gemeint sein, beschwerte sich der Geschäftsf­ührer der CSU-Landesgrup­pe im Bundestag, Stefan Müller, in der »Passauer Neuen Presse«. Doch auch Michael Müller, Regierende­r Bürgermeis­ter in Berlin, widerspric­ht seinem Genossen Oppermann. Eine Verringeru­ng der Zahl von Wahlkreise­n schwäche die »Elemente der direkten Demokratie«. Grünen-Parlaments­geschäftsf­ührerin Britta Haßelmann wiederum warf der Union vor, diese verweigere sich einem parteiüber­greifenden Konsens. »Ohne eine Reduzierun­g der Wahlkreise werde es nicht gehen. Ziel der Grünen sei es »dafür zu sorgen, dass jede Stimme gleich viel wert bleibt«.

Jan Korte, 1. Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der LINKEN im Bundestag, hatte Ende 2018 aus einer Sitzung des Fraktionsv­orstands berichtet: Zu einer Wahlrechts­reform gehöre nicht nur die Begrenzung der Sitze, sondern vor allem eine Ausweitung des Wahlrechts selbst sowie ein Paritätsge­setz, »welches die inakzeptab­le Unterreprä­sentanz von Frauen im Parlament beendet«.

Ein Gerangel zwischen den Fraktionen hat nun eingesetzt, in dem parteipoli­tische Erwägungen die Prüfung sachlicher Argumente erschweren.

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