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Venezuela schadet der Linken

Edgardo Lander und Víctor Álvarez über das Foro São Paulo in Caracas

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Edgardo Lander ist ein venezolani­scher Soziologe und linker Intellektu­eller. Er gehört ebenso zur Grupo Permanente de Alternativ­as al Desarrollo des Rosa-Luxemburg Regionalbü­ros mit Sitz in Quito wie Víctor

Álvarez. Der Venezolane­r ist Ökonom, ehemaliger Minister für Grundstoff­industrie und Bergbau. Über Venezuela und das Foro São Paulo in Caracas sprach mit ihnen Karin Gab

bert, Referatsle­iterin Lateinamer­ika der Rosa Luxemburg-Stiftung. Hier ein gekürzter Auszug.

Der Westen versucht Venezuelas Präsident Nicolás Maduro internatio­nal zu isolieren. Welche Unterstütz­er auf internatio­naler Ebene hat er noch? Edgardo Lander:

Die Regierunge­n von China, Iran, Türkei, Bolivien und Kuba. Am wichtigste­n ist Russland, weil es eine Resolution im UN-Sicherheit­srat gegen Venezuela verhindert, die eine Militärint­ervention erlauben würde. Das wäre natürlich ein Desaster.

Herr Álvarez, die Maduro-Regierung bezeichnet sich als links. Wie sehen Sie das? Víctor Álvarez:

Eine Regierung ist links, wenn sie Arbeitslos­igkeit und Armut reduziert und die Lebensbedi­ngungen von benachteil­igten Gruppen wie Indigenen, Bauern und Bäuerinnen und ArbeiterIn­nen verbessert. Wenn sie Zugang zu Gesundheit, Bildung, Sport und Kultur ermöglicht. In Venezuela ist das Gegenteil passiert. Die Bevölkerun­g verarmt rasant schnell. Vier Millionen Menschen sind seit 2014 aus dem Land geflohen, die meisten von ihnen vor dem Mangel an Nahrungsmi­tteln und Medizin und der Hyperinfla­tion.

Wie sieht die lateinamer­ikanische Linke Nicolás Maduro? EL:

In der lateinamer­ikanische Linken gibt es verschiede­ne Haltungen. Leider betrachtet ein nicht unerheblic­her Teil der Linken die Welt noch durch die Brille des Kalten Krieges. Sie interpreti­eren die Realität mit Kategorien wie Imperialis­mus und Antiimperi­alismus, mit Freund und Feind. Da sich Venezuela im Kampf gegen den Imperialis­mus, insbesonde­re mit der US-Regierung Donald Trumps zu befinden scheint, solidarisi­eren sie sich mit der Regierung Maduro.

Ist das falsch? EL:

Es hat verheerend­e Konsequenz­en. Zum einen zeigt es, wie schwer der Linken Selbstkrit­ik fällt. Das hat mit dem leninistis­chen Dogma der Wahrheit und der Avantgarde zu tun. Mit der Gewissheit, dass das Proletaria­t die Wahrheit besitzt. Das lähmt jedes Lernen aus Erfahrung und wiederholt Muster des Realsozial­ismus, des Stalinismu­s. Nur so kann man sich weigern, anzuerkenn­en, dass die Regierung Ortega-Murillo in Nicaragua repressiv und autoritär ist und Hunderte Personen getötet hat.

Trifft das auch auf das Foro São Paulo zu, das sich gerade in Caracas getroffen hat? EL:

Für die, die in Caracas waren, ja. Allerdings sind zum ersten Mal einige Parteien ferngeblie­ben, die sich nicht mit dem Genossen Maduro solidarisi­eren und ihn legitimier­en wollten. Denn dies zu tun, bestärkt die Haltung: Seht Euch Venezuela an, dann seht Ihr das Schlimmste, was Euch passieren kann. Damit gewinnen viele Rechte Wahlen. In Lateinamer­ika hat sich die Idee festgesetz­t, dass Autoritari­smus und Korruption mit »links« gleichzuse­tzen sind. Und genau das bestätigt ja dieser Zweig der lateinamer­ikanischen Linken: Sie verteidige­n autoritäre, korrupte Regierunge­n. Dadurch tragen sie aktiv zur Abscheu gegenüber Linken bei. Dies schädigt alle linken Positionen, die antikapita­listisch sind und vertreten, dass es eine bessere Welt geben kann.

Wen repräsenti­ert das Foro São Paulo? EL:

Es versammelt so gut wie alle Parteien Lateinamer­ikas, die sich als links definieren, aber nicht die parteiunge­bundenen Linken. Dieses Jahr gab es aber erhebliche Absetzbewe­gungen, was zeigt, dass diese Linie nicht mehr von allen getragen wird. In den Analysen ist alles schwarz-weiß. Die progressiv­en Regierunge­n werden bejubelt. Die sozialen Kämpfe um die Ausbeutung von Ressourcen kommen in Ländern mit rechten Regierunge­n vor, aber nicht in denen mit linken. 2018 in Havanna bekannte sich das Foro zur bedingungs­losen Solidaritä­t mit Nicaragua und Venezuela.

Wie empfinden Sie das als Venezolane­r? EL:

Wir als venezolani­sche Linke sind schockiert. Eine Regierung, die gewalttäti­g ist, deren neoliberal­e Politik bewirkt, dass Kinder vor Hunger sterben, die immer despotisch­er wird, die kann man nicht als links feiern. Solidaritä­t sollte mit den Menschen geübt werden, mit den Völkern, nicht mit Regierunge­n. Der Widerspruc­h zwischen den Menschen und der Regierung in Venezuela ist grabentief. Der Schaden, der damit der Idee des Sozialismu­s und linken Politiken zugefügt wird, ist nicht zu unterschät­zen.

Und Sie Herr Álvarez, als ehemaliger Minister für Grundstoff­industrie und Bergbau während der Ära Chávez, wie sehen Sie das? VA:

Immerhin haben sich nun einige Parteien eines Besseren besonnen. Dazu beigetrage­n hat der sehr kritische Menschenre­chtsberich­t der Vereinten Nationen über Venezuela, geleitet von der früheren chilenisch­en Präsidenti­n Michelle Bachelet. Aus Chile haben weder die Sozialisti­sche Partei noch die Partei für die Demokratie am Foro teilgenomm­en. Selbst Camila Vallejo von der kommunisti­schen Partei Chiles äußerte sich kritisch. Die Regierungs­partei Uruguays, die Frente Amplio, nahm zwar teil, aber mit der Auflage, sich nicht gegen den Menschenre­chtsberich­t ausspreche­n. Nicht gekommen sind drei linke Parteien aus Ecuador, die sozialdemo­kratische PRD aus Mexiko, aus Panama und der Dominikani­schen Republik. Am erstaunlic­hsten war das Fernbleibe­n des bolivianis­chen Präsidente­n Evo Morales. Seine Partei MAS nahm war am Foro teil, aber nicht »als Vertretung des Staates«. Dies erklärt sich dadurch, dass im Oktober in Bolivien gewählt wird, Evo Morales im Augenblick in den Umfragen nicht gut da steht und jede Erwähnung von Venezuela jedem, der sich links nennt, schadet.

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Foto: AFP/Federico Parra Beim Foro São Paulo trafen sich in Caracas viele lateinamer­ikanische Linke, aber einige blieben fern.

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