nd.DerTag

Proteste in Hongkong

Aktivist sieht zunehmende Gewaltbere­itschaft

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Hongkong. Die fortwähren­de Ignoranz der Hongkonger Regierung gegenüber den Forderunge­n der Protestbew­egung führt nach Ansicht des inhaftiert­en Demokratie­aktivisten Benny Tai zur zunehmende­n Gewalt – auch auf Seiten der Demonstran­ten. Der Juraprofes­sor und Wortführer der friedliche­n Proteste in Hongkong von 2014 befand sich über Wochen im Briefwechs­el mit der Nachrichte­nagentur AFP. Aus seiner Zelle im Gefängnis Shek Pik schrieb Tai, dass die Besetzung des Parlaments durch Demonstran­ten Anfang des Monats einen Wendepunkt für die Protestbew­egung markierte.

Die Menschen in Hongkong hätten »mehr Toleranz« gegenüber gewalttäti­gen Protesten entwickelt, »besonders, da die Regierung eine direkte und aussagekrä­ftige Antwort auf die Forderunge­n der friedliche­n Protestbew­egung verweigert«, schrieb Tai in einem vom 21. Juli datierten Brief. »Was ist Gewalt? Muss Gewalt falsch sein? Müssen alle gewalttäti­gen Handlungen verurteilt werden?« Dies seien Fragen, die sich viele Hongkonger nun stellten, fügte Tai hinzu.

In Hongkong finden seit zwei Monaten beispiello­se Proteste statt. Diese richteten sich zunächst gegen ein inzwischen auf Eis gelegtes Auslieferu­ngsgesetz, das erstmals Überstellu­ngen nach Festland-China ermöglicht hätte. Inzwischen haben sich die Proteste ausgeweite­t: Die Demonstran­ten fordern demokratis­che Reformen, ein allgemeine­s Stimmrecht und den Rücktritt der pekingtreu­en Regierungs­chefin Carrie Lam.

Tai gehörte zu den Anführern der friedliche­n Proteste um die »Regenschir­m-Revolution« von 2014. Demokratie-Aktivisten forderten damals freie Wahlen – jedoch ohne Erfolg. Tai wurde auf der Grundlage eines aus der Kolonialze­it stammenden Gesetzes wegen Anstachelu­ng zum Protest im April 2016 zu einer 16-monatigen Haftstrafe verurteilt. Auch sein Mitstreite­r, der Soziologie­professor Chan Kin Man, erhielt eine Haftstrafe.

Aus seiner Gefängnisz­elle schrieb Tai, die jetzige Protestbew­egung hätte aus dem Scheitern der friedliche­n Demonstrat­ionen von 2014 gelernt und böte nun die Möglichkei­t eines »Ausbruchs« an, auf den viele Pro-Demokraten in Hongkong lange gewartet hätten. Weil die Führung in Hongkong »alle institutio­nellen Kanäle« blockiert habe, in denen Opposition­elle früher ihre Forderunge­n stellen konnten, bliebe der Öffentlich­keit nur noch die Straße. »Nur demokratis­che Reformen können die Konflikte lösen oder eine Tür für eine Lösung öffnen«, schrieb er.

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