Johnson macht Lust auf Unabhängigkeit
Beim Schottland-Besuch des neuen britischen Regierungschefs werden Spannungen sichtbar
Der britische Premierminister Boris Johnson hat am Montag Schottland besucht. Nirgendwo ist seine Brexit-Politik unbeliebter als hier – und der Impuls zur Abspaltung wird stärker.
Boris Johnson gibt gern den geselligen, bodenständigen Politiker, aber bei seinem ersten Besuch in Schottland vermied er es, allzu vielen Normalbürgern zu begegnen. Er beschränkte sich auf eine Rede auf einem Militärstützpunkt, danach ging er direkt nach Edinburgh, um sich mit der Ersten Ministerin Nicola Sturgeon zu treffen. Die Vorsicht ist nachvollziehbar, denn Schottland ist ein schwieriges Terrain für den neuen Premierminister.
Nirgendwo in Großbritannien stößt der Brexit auf größere Ablehnung als hier: 62 Prozent stimmten 2016 für den Verbleib in der EU. Mit Johnson ist aber eine Regierung an der Macht, die den Austritt am 31. Oktober zur höchsten Priorität erklärt hat. Nicht nur das: Die Vorbereitungen auf den No Deal, also das Ausscheiden ohne Vertrag, laufen auf Hochtouren, Johnson hat eigens dafür eine Planungsgruppe eingesetzt, die sich jede Woche treffen wird. 100 Millionen Pfund (111 Millionen Euro) sollen allein für eine Informationskampagne ausgegeben werden.
All das sorgt in Schottland für tiefe Beunruhigung – selbst bei den dortigen Tories. Die eher liberale Vorsitzende der schottischen Konservativen, Ruth Davidson, hat Widerstand angekündigt: »Ich glaube nicht, dass die Regierung einen NoDeal-Brexit anstreben sollte, und wenn es dazu kommt, werde ich ihn nicht unterstützen«, schrieb sie in einer Zeitungskolumne am Wochenende.
Nicola Sturgeon, die Erste Ministerin und Vorsitzende der pro-europäischen Scottish National Party (SNP), war vernichtend in ihrer Kritik: »Die Schotten haben weder für diese Tory-Regierung noch für diesen Premierminister gestimmt, weder für den Brexit noch diesen katastrophalen No-Deal-Brexit, den Boris Johnson jetzt plant«, sagte sie vor ihrem Treffen mit dem Regierungschef. Allerdings wird sie der Brexit-Begeisterung in Westminster auch etwas Positives abgewinnen können: Die Unterstützung für die schottische Eigenstaatlichkeit wird zunehmen.
Bereits vergangene Woche schrieb Sturgeon dem frisch gekürten Premierminister einen Brief, in dem sie ankündigte, ein neues Unabhängigkeitsreferendum anzustreben. Im ersten Plebiszit vor fünf Jahren stimmten nur 45 Prozent für den Bruch mit dem Königreich. In den ersten Jahren nach dem Brexit-Votum stieg dieser Anteil kaum, aber seit einigen Monaten liebäugeln immer mehr Schotten mit der Unabhängigkeit – nicht zuletzt als eine Möglichkeit, sich den wirtschaftlichen Wohlstand zu sichern. Eine erzkonservative Regierung, die den EU-Austritt unter allen Umständen durchdrücken will, wird den Impuls zur Eigenstaatlichkeit fördern. Zudem ist mit Johnson einer jener privilegierten, überheblichen Engländer an der Macht, gegen die viele Schotten allergisch sind.
Laut einer Umfrage vor dem ToryFührungskampf gaben 49 Prozent der Schotten an, für die Abspaltung zu stimmen; mit Johnson als Premierminister wären es jedoch 53 Prozent. Mit seinem Versprechen, den britischen Regionen 300 Millionen Pfund an Förderungsgeldern zur Verfügung zu stellen, wird er die Antipathie der Schotten kaum dämpfen können.