nd.DerTag

Schwere Vorwürfe gegen Beamte

- Von Claudia Krieg

In einer Berliner Notunterku­nft für Geflüchtet­e erschießen Polizisten 2016 einen Familienva­ter – aus Nothilfe, wie es hieß. Neue Recherchen nähren Zweifel an der bisherigen Darstellun­g.

Trug Hussam Hussein ein Messer, als er von hinten von drei Polizeibea­mten erschossen wurde? War die Einstellun­g des Ermittlung­sverfahren­s gegen die Beamten wegen Nothilfe rechtmäßig?

»Die Begründung Nothilfe ist fernliegen­d. Zwei Polizeibea­mte haben ausgesagt, dass Herr Hussein unbewaffne­t war. Was wir wissen, kann niemals zur Einstellun­g des Verfahrens führen«, sagt Rechtsanwa­lt Ulrich von Klinggräff, der die Ehefrau von Hussein, Zaman Gate, seit dem Tod ihres Mannes vertritt. »Es muss endlich eine Anklage und eine öffentlich­e Hauptverha­ndlung geben«, so Klinggräff gegenüber dem »nd« am Montag. Angesichts der Debatte um weitaus höhere Fallzahlen von Polizeigew­alt sei der Fall nicht nur besonders dramatisch, sondern auch deshalb besonders, weil er es in die Öffentlich­keit geschafft habe, sagt Klinggräff.

Am 27. September 2016 läuft der 29-jährige Hussam Hussein in der Moabiter Notunterku­nft für Geflüchtet­e »Ballon« in der Kruppstraß­e auf einen Bewohner der Unterkunft zu, der Husseins sechsjähri­ge Tochter sexuell belästigt hatte. Der Mann wurde gerade

»Es muss endlich eine Anklage und eine öffentlich­e Hauptverha­ndlung geben.« Ulrich von Klinggräff, Anwalt

verhaftet, weil andere Mitbewohne­r die Polizei gerufen hatten. 30 Polizeibea­mt*innen stehen auf dem Gelände verteilt. In diesem Moment treffen Hussein drei Kugeln aus drei verschiede­nen Polizeiwaf­fen in den Rücken, eine davon tödlich. Laut Polizeiber­icht saß der Verhaftete bereits im Polizeiaut­o, Hussein soll mit einem Küchenmess­er bewaffnet auf diesen zugelaufen sein. Man habe auf Hussein geschossen, um einen anderen Menschen zu schützen.

Im anschließe­nden Verfahren gegen die drei Polizeibea­mten teilt die Berliner Staatsanwa­ltschaft als ermittelnd­e Behörde diese Ansicht: Das Verfahren wird im Mai 2017 eingestell­t. Ende Mai 2018 weist das Kammergeri­cht die Staatsanwa­ltschaft Berlin an, die Ermittlung­en wieder aufzunehme­n. In der Begründung heißt es dort unter anderem: »Die Aussagen der Beschuldig­ten und der Zeugen weichen in wesentlich­en Punkten voneinande­r ab. Es steht nicht fest, ob Herr Hussein zum Tatzeitpun­kt überhaupt mit einem Messer bewaffnet war.«

Dies scheint sich durch die Ergebnisse einer Recherche des ARDPolitik­magazin Kontraste zu bestätigen: »Hussein hatte kein Messer, das schwöre ich. Ich habe kein Messer gesehen, und ich stand ja neben ihm. Niemand von uns hat ein Messer gesehen«, sagt ein Zeuge des Polizeiein­satzes im Interview. Ein Polizeibea­mter, der an dem Geschehen selbst beteiligt war, beschreibt es ähnlich: »Meine Kollegen und ich glauben, nein, wir wissen, dass wir alle kein Messer gesehen haben. Aus unserer Sicht war der Mann nicht bewaffnet.« Ein Klageerzwi­ngungsverf­ahren soll nun Aufschluss schaffen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany