Möbel erzählen vom Rechtsradikalismus
Das Werk Henrike Naumanns im Kunstverein Hannover kreist um die Nachwendejahre im neuen Osten der Republik
Auf dem Plakat zu ihrer Ausstellung im Hannoveraner Kunstverein sieht man die Künstlerin Henrike Naumann in einem seltsamen farbigen Plüschkostüm. Zur Expo 2000 trugen Animateure es auf dem Gelände der Weltausstellung in Hannover. Auf über 160 Hektar präsentierten sich insgesamt 155 Länder in eigens dafür entworfenen Pavillons. Das Gelände besteht bis heute.
Das noch junge und einigermaßen überschaubare Werk Henrike Naumanns kreist um die Nachwendejahre im neuen Osten der Republik, dessen Fantasien, Hoffnungen und Enttäuschungen sowie die Auswüchse des Rechtsradikalismus. Das Jahr der Expo markiert den Endpunkt des ersten Jahrzehnts nach dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik.
Das Material, mit dem Naumann diese Geschichte verhandelt, entstammt dem Alltag der späten 80er und 90er Jahre. Es sind Zimmereinrichtungen, vor allem billige Schrankwände aus dunkel lackiertem Sperrholz. Naumann baut aus den Möbeln, die sie auf eBay ersteigert und sammelt, Parcours für ihr Publikum. Ihre Ausstellungen sind niedrigschwellig. Wohnungseinrichtungen kennt jeder, das Betreten der Teppichböden und das Sitzen auf den Sofas der 90er Jahre sind gewollt. Die Schrankwände nutzt Naumann als Displays, in denen sie die jüngere deutsche Geschichte verhandelt. Man findet darin etwa ein Stück »Lux«-Seife, vor der Wende im Westen billig, im Osten sehr begehrt. Auch ein paar Baseballschläger sind in den offenen Regalen zu finden. Baseballschläger sind in Deutschland seit den Nachwendejahren kaum mit der US-amerikanischen Sportart assoziiert, sondern mit deutscher Gewalt. Die Schläger passen sich in die Einrichtung fabelhaft ein. Eine Vase greift ihre Form wieder auf, auch ein Stück Schrankwand scheint aus demselben Holz gemacht zu sein.
Der Umstand, dass zwischen diesen unschuldigen Möbeln in den 90er Jahren der Rechtsterrorismus des NSU heranwuchs, war der ursprüngliche Antrieb für die 1984 in Zwickau geborene Künstlerin, die zunächst eine Ausbildung zur Bühnenbildnerin absolviert hatte. Ihre Schränke bestückt Naumann auch mit Sound und Video. Eine Installation aus zwei kleinen Röhrenfernsehern zeigt zwei Varianten des Auf
wachsens in diesem Umfeld, zwischen der abgebrochenen Vergangenheit der DDR, einer verstellten Zukunft in der BRD und ästhetischer Desorientierung. Die einen stürzen sich in Drogen-, die anderen in Gewaltexzesse.
Ihren Ursprung haben die Schrankwände im teuren und aufwendigen italienischen Möbeldesign der 80er Jahre. Man sprach von Metropol-Möbeln, worin die urbanen Zukunftsfantasien dieser Jahre bereits aufgehoben waren. Die Möbel erinnern an eine moderne Skyline, wie die von Tokio oder Manhattan. Städte also, die bis heute für von den 80er Jahren aus gedachte Zukunft stehen. Diese Zeugnisse einer westlichen Zukunftsvision landeten in einer schlecht verarbeiteten und billigen Variante quasi als ästhetischer Modernisierungsschub in den Haushalten der DDR. Auch wenn die Plagiatsmöbel im Vergleich zu ihren italienischen Originalen billig waren, mussten sich die Menschen im Osten der neuen Republik für ihren Erwerb verschulden.
Ähnlich wie diese Möbel hat auch das neue Deutschland ein grundlegendes Formproblem. Sie sind bestimmt von der Diskrepanz zwischen einem riesigen und unerfüllten Bedürfnis und der Unfähigkeit, ebendieses Bedürfnis näher zu bestimmen. Ein Formproblem indes, auch das zeigt Naumann in ihrer Ausstellung, hat die neue, erweiterte Bundesrepublik ebenfalls. Diese Möbel wie auch die BRD sind großspurig, ausufernd und manieristisch. Ein bestimmendes Merkmal der 90er Jahre in Deutschland war, dass man das Denken in Kategorien der Zukunft aufgegeben hatte. Die Geschichte war mit dem Ende des real existierenden Sozialismus und der Wiedervereinigung an ihr Ende gelangt. So wie es war, war es gut. Was konnte schon noch werden? Und vor allem – wozu?
Von einem so grundlegenden Formproblem ist auch Twipsy geprägt. Das Expo-Maskottchen ist so eine Gestalt, die in die Zukunft weisen soll, aber eigentlich nur Reklame für die Gegenwart macht. Twipsy ist in verschiedenfarbige Abschnitte unterteilt, als wäre die Figur aus Bausteinen montiert. Der Kopf ist sichelförmig, die Nase dick und blau, die rechte Hand schier riesig. Man könnte die Unförmigkeit als hybride und liquide verstehen, also als digital. Mit der großen Hand ließe sich anpacken und gestalten oder vertragsbindend Hände schütteln.
Unter den Kuriositäten der ExpoSammlung findet man in der Ausstellung ein schlecht gemaltes ÖlPorträt aus Saudi-Arabien, ein Geschenk an die Generalkommissarin der Expo, Birgit Breuel. Man sieht ihr Gesicht vor dem Leinen eines Zeltes, im Hintergrund bäumt sich ein Hengst auf. So kommt zusammen, was nicht zusammengehört – Heroismus und eine blasse Verwalterin. Die CDU-Politikerin war in den frühen 90er Jahren als Chefin der Treuhand für die Abwicklung zahlreicher DDR-Betriebe verantwortlich. Und so treffen sich schließlich der Abbruch der Vergangenheit und die Vortäuschung einer Zukunft.
Die Schrankwände nutzt Naumann als Displays, in denen sie die jüngere deutsche Geschichte verhandelt.
»Es gibt Maler, die die Sonne in einen gelben Fleck verwandeln. Es gibt aber andere, die dank ihrer Kunst und Intelligenz einen gelben Fleck in die Sonne verwandeln können.«
Pablo Picasso
Henrike Naumann: »2000 – Mensch. Natur. Twipsy.«, bis 25.8., Kunstverein Hannover, Sophienstraße 2, Hannover