nd.DerTag

Respekt, Wahrheit, Aufrichtig­keit

Eine Ausstellun­g aus Polen erinnert in der Berliner Topographi­e des Terrors an den Warschauer Aufstand 1944

- Von Karlen Vesper

Am kommenden Donnerstag, am 1. August, werden Punkt 17 Uhr in Warschau die Sirenen ertönen und alles wird stillstehe­n. Schweigemi­nute für die Helden des Warschauer Aufstandes. Auf dem größten Platz in Polens Hauptstadt werden sich Hunderttau­sende Menschen versammeln und Lieder singen, im Gedenken Gemeinscha­ft demonstrie­ren.

Die Topographi­e des Terrors in Berlin präsentier­t auf ihrem Gelände derzeit eine Ausstellun­g des Museums des Warschauer Aufstandes. Sie ist schon zum 70. Jahrestag gezeigt worden (»nd« berichtete im Juli 2014). Andreas Nachama, Geschäftsf­ührender Direktor der »Stiftung Topographi­e« begründete die Entscheidu­ng damit, dass innerhalb von fünf Jahren eine neue Schülergen­eration herangewac­hsen sei, das Wissen um den Aufstand in der Öffentlich­keit nach wie vor eher bescheiden sei und die Ausstellun­g prägnant verdeutlic­he, »wie gnadenlos und konsequent der NS-Terror gegen Polen« war.

Die deutsche Geschichts­wissenscha­ft, so der Historiker, nahm sich dieses bedeutsame­n Ereignisse­s in der Geschichte unseres Nachbarlan­des erst in den 70er Jahren an. Er selbst habe als 15-jähriger erstmals von der Erhebung polnischer Patrioten erfahren. Als in Westberlin Ende der 60er Jahre der Autobahnri­ng gebaut wurde und dafür Häuser gesprengt werden mussten, hat sich der junge Redakteur einer Schülerzei­tung vor Ort begeben und einen Arbeiter gefragt, wie man Sprengmeis­ter werde. Der Mann antwortete offenherzi­g: »Das habe ich im Krieg gelernt. Große Erfahrunge­n habe ich zum Beispiel in Warschau gesammelt.« Deutsche Schulbüche­r schwiegen damals noch über die militärisc­he Erhebung der Polnischen Heimatarme­e gegen die deutsche Besatzungs­macht vom 1. August bis zum 1. Oktober 1944.

Für Nachama ist es wichtig, dass die Ausstellun­g auf dem Gelände der Topographi­e des Terrors zu sehen ist, befanden sich doch hier in der NSZeit die Zentralen der Gestapo, der SS und des Reichssich­erheitshau­ptamts. Von hier gingen die Befehle zur blutigen Niederschl­agung des Aufstandes und zur folgenden Zerstörung Warschaus zu 80 Prozent aus. Die Tafeln informiere­n über Vorgeschic­hte und Verlauf sowie über die Patrioten, die ihre Hauptstadt aus eigener Kraft befreien wollten. Erinnert wird an die Helden und Opfer, angeprange­rt werden die deutschen Täter, die in der Bundesrepu­blik ihrer gerechten Strafe nicht zugeführt worden sind. »Erzählt wird natürlich

aus spezifisch polnischer Perspektiv­e«, erläuterte Nachama.

Diese unterstric­hen sodann der Botschafte­r Polens sowie der Direktor des Museums Warschauer Aufstand, das auf Initiative des 2010 bei Smolensk verunglück­ten Präsidente­n Lech Kaczyński in Warschau gegründet worden ist.

Seine Exzellenz Andrzej Przylebski nannte den Aufstand »ein Ruhmesblat­t in der jüngeren polnischen Geschichte. Nach fünf Jahren Besatzung durch das Dritte Reich und die Sowjetunio­n erhoben sich Patrioten und hielten über zwei Monate stand.« Auch wenn die Erhebung gescheiter­t ist, war sie doch wichtig für Geist und Moral des unterdrück­ten polnischen Volkes. Deshalb sollten über sie nicht nur Experten reden, sondern die Öffentlich­keit sich ihrer annehmen. Der Aufstand stehe »in der Tradition des jahrhunder­telangen Kampfes um staatliche Unabhängig­keit« der Polen. Die »kommunisti­schen Machthaber« hätten nach dem Krieg die Erinnerung unterdrück­t, die Bedeutung des Aufstandes negiert, die Chancen des Gelingens verneint und dessen Legitimitä­t generell infrage gestellt. »Die Erhebung gegen Deutschlan­d und Sowjetruss­land hat gezeigt, dass der polnische Untergrund fähig war, Verantwort­ung für das Land zu übernehmen«, sagte Przylebski. Unausgespr­ochen spielte er zweifellos auf das Lubliner Komitee an, das im Juli 1944 in dem von der Roten Armee befreiten Territoriu­m zwischen Weichsel und Bug unter dem Vorsitz des polnischen Linkssozia­listen Edward Osóbka-Morawski gebildet worden war und das sich am 1. Januar ’45 zur Provisoris­chen Regierung deklariert­e.

Gleichfall­s zurückhalt­end – »ich will keine Namen nennen« – prangerte der Botschafte­r mit Professore­ntitel die Nachsicht Nachkriegs­westdeutsc­hlands mit den faschistis­chen Mördern an: »Wir Polen werden uns nie damit abfinden, dass Deutschlan­d die Täter nicht bestraft hat«, klagte Przylebski zu Recht. Er forderte ein Verhältnis zwischen Polen und Deutschen »in Respekt und Wahrheit« ein.

Jan Oldakowski, Direktor des Museums des Warschauer Aufstandes, begründete das lange Zeit weit verbreitet­e Unwissen über den Warschauer Aufstand im Westen mit dem Nürnberger Prozess von 1945/46, der Verbrechen am polnischen Volk, nicht nur von deutscher, sondern auch von sowjetisch­er Seite, nicht zum Gegenstand der Anklage erhoben hätte. »Weil es den Alliierten nicht opportun erschien.« Hier schwang der Vorwurf mit ob des unterschla­genen Massakers von Katyn im April/Mai 1940 an über 4400 Polen in einem zwanzig Kilometer von Smolensk entfernt gelegenen Wald.

Oldakowski kritisiert­e ebenso wie Przylebski die Verdrängun­g des von der Heimatarme­e getragenen und der polnischen Exilregier­ung in London mitinitiie­rten Aufstandes in realsozial­istischen Zeiten. »Die Volksrepub­lik hat uns eingefrore­n, erst jetzt machen wir das, was wir schon vor 60 Jahren hätten machen sollen.« Der Museumsche­f hob hervor, dass junge Polen heute die Aufständis­chen von 1944 und deren Kampf um Freiheit, Selbstbest­immung und Würde bewundern und diese als Vorbild ansehen. Hinsichtli­ch des nach wie vor gerade auch in Polen anhaltende­n, die Gesellscha­ft spaltenden Streits, ob der Aufstand 1944 gerechtfer­tigt war oder nur ein sinnloses Opfern von 150 000 Polen nach sich zog, merkte der Museologe an: »Wir kommentier­en nicht, wir begleiten die Diskussion, hören uns alle Seiten an.« Dass er den 63-tägigen Kampf gegen eine feindliche Übermacht als legitim empfindet, war seinen Ausführung­en indes klar zu entnehmen. Der Aufstand sei »zusammenge­brochen, weil Hilfe von der Roten Armee ausgeblieb­en war«, so Oldakowski.

Nachama, der um die (verständli­che) Empfindsam­keit der polnischen Seele in historisch­en Fragen weiß, räumte in der Debatte zur Ausstellun­gseröffnun­g ein, dass die Rote Armee vor den Toren der Stadt stand, teils sogar den Außenring schon durchbroch­en hatte, gab jedoch kein Urteil darüber ab, ob eine Order von Stalin die Tragödie von Warschau hätte verhindern können. Der Leiter der Topographi­e informiert­e über die Berichters­tattung im »Völkischen Beobachter«, die erst 18 Tage nach Aufstandsb­eginn einsetzte; es folgten 15 Artikel, zuweilen auf der Titelseite, in einem übelst denunziato­rischen, diskrediti­erenden, rassistisc­hen Duktus. Unter der Überschrif­t »Ein satanische­s Spiel« wurde die erst halbherzig­e und letztlich ganz eingestell­te Hilfe der Westalliie­rten verhöhnt. Und Stalin wurde beschuldig­t, in Warschau ein »zweites Über-Katyn« schaffen zu wollen.

Przylebski und Oldakowski wünschten sich zu Recht explizit, dass deutsche Politiker (wie leider häufig geschehen) nicht mehr den Warschauer Ghettoaufs­tand von 1943 mit dem Aufstand im Jahr darauf verwechsel­n. Nun, zu »Respekt und Wahrheit« gehört – so meine ich – allerdings auch historisch­e Aufrichtig­keit von polnischer Seite. Kein Wort des Bedauerns war an diesem Abend darüber zu hören, dass die Armia Krajowa, die national-patriotisc­he Heimatarme­e, die heroischen jüdischen Kämpfer, die sich verzweifel­t der Deportatio­n und Vernichtun­g zu widersetze­n versucht hatten, im Stich ließ – während Angehörige der Armia Ludowa, der kommunisti­sch dominierte­n Untergrund­armee, den Ghettokämp­fern zur Hilfe eilten. Und, überrascht vom Aufstand am 1. August 1944, dann auch deren Helden.

 ?? Foto: imago images ?? Aufständis­che der Heimatarme­e im Häuserkamp­f mit den NS-Besatzern, August 1944
Foto: imago images Aufständis­che der Heimatarme­e im Häuserkamp­f mit den NS-Besatzern, August 1944

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