Der Mann, der Dynamit war
Ästhetik als grobe Zumutung für jegliche Form von Feingeistigkeit: Ein Nachruf auf den Tanztheaterpionier Johann Kresnik
Einen »Berserker« nannte man ihn, doch er selbst wollte nie so bezeichnet werden. Denn seine Wut sei nicht blindwütig, sondern immer konkret. Das sagt sich leicht, aber was man auf der Bühne von Johann Kresnik sah, das waren hochenergetische Ausbrüche. Es drückte einen förmlich in den Sessel im Zuschauerraum, und ein unbehagliches Gefühl stieg auf: Meint der etwa mich?
Johann Kresnik war ein sanftmütiger Mensch, der sich seine Ausbrüche für die Bühne vorbehielt. Doch seine Ästhetik hatte etwas, das jede Form von Selbstgewissheit angriff, jeden Schutzpanzer aufsprengte, und sei es mit Gewalt.
Am Staatstheater Cottbus sah ich 2010 »Fürst Pücklers Utopia«, ein orgiastisches Jahrmarktsfest, und alle im Saal fragten sich zunehmend besorgt, ob das denn wohl eine kongeniale Pückler-Auslegung sei. Es gab gerade ein Pückler-Jubiläum, dazu hatte man Kresnik eingeladen. Aber mit feierlichen Anlässen, gar mit Fragen der Auslegung und Interpretation oder sogar dem Einwand, etwas mehr an Differenzierung sei der Wahrheitsfindung sicher dienlich, musste man ihm nicht kommen. Nietzsches »Ich bin Dynamit!« hätte ihm Losung sein können, wenn er nicht Nietzsche verdächtigt hätte, ein Wegbereiter des Faschismus zu sein. Dennoch, auch für Kresnik gehörte eine gehörige Ladung Sprengstoff an die Fundamente des Kapitalismus.
Die alten Theatertiere sterben aus. Und mit ihnen eine ganz eigene Sicht auf die Geschichte, diese menschenmordende Maschine, die jede Idee sofort in Ideologie verwandelt. Die sich aufrichtig gebenden Prediger des Guten und Richtigen, das wusste diese Generation, sind sämtlich eitle Lügner, entlaufene Sektengurus, die anderen die Richtung vorgeben wollen.
Kresnik wollte keine Gefolgsleute, nicht dass man ihn nachbetet. Er wollte eine Erschütterung sein für alle, die es sich in ihren Weltanschauungen bequem gemacht haben. Tabula rasa – damit begann für ihn Aufklärung.
Geboren wurde Johann Kresnik 1939 in Kärnten als Bauernsohn. So gab er sich auch bis zum Schluss. Das allzu Intellektuelle war ihm suspekt. Er lernte Werkzeugmacher in Graz und begann nebenbei eine Tanzausbildung. Mit der war er so erfolgreich, dass er danach als Tänzer in Graz, Bremen und Köln arbeitete. Nebenbei las er marxistische Schriften, wurde 1957 Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs. Ab 1967 begann er eigene Tanzchoreografien zu entwickeln, die waren anderes als getanztes Agitprop. Seine Ästhetik, die Tanz und Theater zusammenführte, hatte etwas Archetypisches. Ihm ging es um den Ursprung von Machtfragen, um Utopie als deren Korrektiv, die sich von keiner Ideologie ersticken lässt.
So entstanden Befreiungs-TanzStücke sehr grundsätzlicher Art, die sich gern auf den ersten Blick nicht naheliegender Quellen bedienten. »O Sole Pei« hieß 1967 in Köln seine erste Tanztheater-Arbeit, eine Adaption von Textcollagen SchizophrenieKranker für die Bühne. Gleich darauf entstand das Stück »Paradies?« über Rudi Dutschke, das sofort verboten wurde.
Immer wieder waren es die Verquickungen von Kunst und Politik, die ihn interessierten. Deutsche Mythen in ihrer unheilvollen Gestalt. Für die Bundesrepublik der 70er und 80er Jahre waren Kresniks subversive Tiefenbohrungen über den fortlebenden NS-Geist im bundesdeutschen Wohlleben eine Zumutung. Von »Kriegsanleitung für Jedermann« (1973) bis »Ulrike Meinhof« (1990) riss er mit seinem »choreografierten Theater« immer wieder Wunden auf, von denen die Gesellschaft mehrheitlich behauptete, es gäbe sie gar nicht.
Seine Ästhetik blieb eine grobe Zumutung für jegliche Form von Feingeistigkeit. Dafür waren andere zuständig, er kultivierte die derbe Provokation. Konnte es da ein Zufall sein,
So raste Kresnik mit seinem Tanztheater durch alle Zeiten und Gegenden: sein Feind die großen Namen, die Ikonen, die er genüsslich zerschredderte. War er immer nur im Kampfmodus gegen angemaßte Größe? Kannte er selbst keine Demut, Verehrung und Liebe? Manchmal schien es so, aber ich glaube, es stimmt nicht. Seine letzte, seltsam verunglückte Arbeit war 2015 an der Volksbühne eine zu »Die 120 Tage von Sodom« von Pier Paolo Pasolini. Den hat er bewundert, angebetet geradezu. Auch er war also – wie berührend, das zu wissen – ein manchmal schwacher Mensch, der den eigenen starken Maximen nicht immer folgen wollte.
Am 27. Juli ist Johann Kresnik in Klagenfurt an Herzversagen gestorben.