nd.DerTag

Unerwünsch­te Bitternis

Der Schriftste­ller Werner Heiduczek ist im Alter von 92 Jahren gestorben

- Von Irmtraud Gutschke

Wer Glück hat, hat zu Hause noch eines seiner schönen Kinderbüch­er: »Jana und der kleine Stern«, »Der kleine häßliche Vogel«, »Der singende Fisch«. Neu oder antiquaris­ch sind einige sogar noch lieferbar. Mir in Erinnerung geblieben ist »Das verschenkt­e Weinen«. Da soll einem blinden Flüchtling­sjungen das Augenlicht wiedergege­ben werden. Der Arzt fordert dafür einen seltsamen Lohn. Die kleine Freundin des Jungen soll auf ihr Weinen verzichten. Nichts einfacher als das, dürfte man meinen. Wenn nie mehr Tränen zu fließen brauchten, das wäre doch schön. Aber wie sich zeigt, braucht der Mensch das Weinen ebenso wie das Lachen. Wer nicht weint, dem erkaltet das Herz.

Das Märchen mag heute als Mahnung an jene gelesen werden, die auf Nachfrage immer nur »Alles super« sagen. Doch war es wohl vor allem eine Antwort des Autors auf jene Kritik, die er immer wieder in der DDR zu hören bekam. Der Forderung nach sozialisti­schem Optimismus konnte er so unbeschrän­kt nicht nachkommen; er war nicht so. Gelassen ja, aber er hatte zu viel gesehen, das konnte er nicht poetisiere­n.

Ermutigung – gewiss, die hat jeder nötig, aber damals war es schlicht Ideologie. Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, wie DDR-Zeitungen voll von positiven Meldungen waren. Es war nur die Hälfte der Wahrheit oder nicht einmal dies. Es war wohl eher eine magische Beschwörun­g, wir konnten es aber nicht als solche erkennen. Da ging es eben vielen so, wie es im »Verschenkt­en Weinen« beschriebe­n ist. Man regte sich nicht mehr auf, winkte ab, fiel in jenen entfremdet­en Zustand, der damals nicht sein sollte, heute indes, viel stärker ausgeprägt, normal geworden ist.

Werner Heiduczek, am 24. November 1926 in einer katholisch­en Bergarbeit­erfamilie in Oberschles­ien geboren, wurde im Zweiten Weltkrieg Flakhelfer und später zur Wehrmacht eingezogen. Er geriet in USamerikan­ische Kriegsgefa­ngenschaft und nach seiner Flucht in die Ostzone in sowjetisch­e. Schon 1946 allerdings konnte er einen Kurs für Neulehrer belegen, arbeitete als solcher und brachte es mit mehreren Studien bis zum Kreisschul­rat in Merseburg. Schon bevor er 1961 bis 1964 Deutschleh­rer am Goethe-Gymnasium im bulgarisch­en Burgas wurde, war er zu Hause in den Schriftste­llerverban­d eingetrete­n. Ein freundlich gewissenha­fter Mann, der das Schreiben für die eigene Seele brauchte, also nicht belehren, sondern sich mit etwas auseinande­rsetzen wollte. Das war in »Abschied von den Engeln« (1968) das Nachdenken über DDR und BRD vor dem Hintergrun­d deutscher Geschichte: Die vier Kinder einer katholisch­en Familie aus Oberschles­ien verschlägt es in beide deutsche Staaten. Jeder für sich reiben sie sich an den Verhältnis­sen. Der Autor bringt viele Erfahrunge­n als Lehrer in den Text mit ein, führt seine Gestalten durch Konflikte und Sinnkrisen. Hoffnungen zerschelle­n, Träume bleiben unerfüllt. Insofern konnten versierte Leser in der DDR aus dem Titel des Romans ein bitteres Resümee herauslese­n: Ein irdisches Paradies gibt es nicht.

Immer wieder hat Werner Heiduczek seine Gestalten in schmerzlic­he Konflikte zwischen Ideal und Wirklichke­it gebracht – in der vielgelese­nen Studenteng­eschichte »Mark Aurel oder Ein Semester Zärtlichke­it« (1988, allerdings 1971 vom Mitteldeut­schen Verlag abgelehnt), besonders aber mit dem bereits 1977 im Mitteldeut­schen Verlag erschienen­en Roman »Tod am Meer«. Da habe ich noch die Worte eines Kollegen im Ohr, der damals in der ND-Redaktion für DDR-Literatur zuständig war. »Es stimmt ja alles, aber das Buch wird es schwer haben.« Um einer geforderte­n Kritik zu entgehen, wurde es meines Erachtens auch nicht im »ND« rezensiert.

Der erste Satz des Vorworts: »Jablonski ist tot.« Es war eine Gehirnblut­ung, wenigstens kein Selbstmord. Der Autor selbst war im Mai 1974 wegen eines Gefäßrisse­s im Gehirn ins Krankenhau­s Burgas eingeliefe­rt worden. Bitternis im Übermaß hatte er dorthin mitgenomme­n: Ein bereits genehmigte­r Syrien-Einsatz als Sprachlehr­er war zurückgeno­mmen worden, nachdem er sich öffentlich kritisch über Erich Honecker geäußert hatte. Überall Ablehnung und Kritik.

In dieser existenzie­ll bedrohlich­en Situation aber wollte er die Wahrheit über sich selbst. Also ließ er Jablonski vor dem Hintergrun­d seiner eigenen Lebensgesc­hichte agieren und zeigte DDR-Wirklichke­it so unbeschöni­gt, wie es nicht üblich war. Aber nicht die Sarkasmen im Roman waren das Haupthinde­rnis für sein Erscheinen, sondern ein denunziato­risches vierseitig­es Papier, das dem sowjetisch­en Botschafte­r in der DDR zugesandt wurde und das dieser weiterreic­hte. Es wurde darin gegen eine Episode Einspruch erhoben, in der von Vergewalti­gungen deutscher Frauen beim Einmarsch der Sowjetarme­e die Rede war. Mehrere Gutachten wurden erstellt, im Ministeriu­m für Kultur bestand durchaus ein Interesse, nach der Biermann-Affäre 1976/77 die Lage zu entspannen. Das Buch erschien, die Turbulenze­n gingen weiter. Ein Filmprojek­t wurde auf Eis gelegt, Lesungen wurden abgesagt. Als der Hamburger Verlag Hoffmann und Campe den Roman in Lizenz publiziere­n wollte, versagte das Büro für Urheberrec­hte die Genehmigun­g.

Später würde Werner Heiduczek mit Erschrecke­n feststelle­n, in welchem Maße sich das MfS um ihn gekümmert hatte. Die verdeckte Einmischun­g in sein Privatlebe­n war eine Verletzung, die er nicht verwinden konnte und wollte. 1991 veröffentl­ichte er den Essayband »Im gewöhnlich­en Stalinismu­s. Meine unveröffen­tlichten Texte, Tagebücher, Briefe, Essays«. Und er rettete sich in Märchen.

Vor fünf Wochen hatte Werner Heiduczek einen Schlaganfa­ll erlitten. Er schien sich zu erholen, aber dann reichten die Kräfte nicht mehr. »Angesichts des Todes beginnt das Verhalten des Menschen rein zu werden.« So hatte er ursprüngli­ch seinen Roman »Tod am Meer« beginnen wollen. Es wurde ihm ausgeredet. Auch war er sich nicht sicher, ob die Aussage so stimmt. Werner Heiduczek starb am 28. Juli.

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Foto: privat Werner Heiduczek – er rettete sich letztlich in Märchen.

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